Ian James: „Wir sind dazu verpflichtet, unsere Synergien auch zu nutzen“.
Das ausgegebene Ziel des Mercedes-EQ Formel E Teams ist, die Titelverteidigung! Hinter dem Steuer des Mercedes-EQ Silver Arrow 02 nehmen für diese Zielsetzung erneut Weltmeister Nyck de Vries sowie Teamkollege Stoffel Vandoorne ihren Platz ein. Zum Saisonauftakt in Saudi-Arabien wirkten die Ziele schon Phasenweise sehr realistisch, mit Luft nach oben. Der Teamchef ist auch in der Saison: Ian James.
Mit Nyck und Stoffel setzt Mercedes weiterhin auf die bewährte Paarung. Wie wichtig ist denn diese Kontinuität für das Team?
Ian James: Kontinuität und Stabilität spielen definitiv eine Rolle. Wie heißt es so schön: „Wenn etwas nicht kaputt ist, versuch auch nicht es zu reparieren“. Aber es gibt auch die alte Weisheit, dass Erfolg zu haben nicht automatisch bedeutet, dass man nichts mehr verbessern könne. Auf der einen Seite haben wir an den Plänen festgehalten, uns hier in Großbritannien in Brackley und Brixworth zu konsolidieren und sicherzustellen, dass wir hier die notwendigen Synergien erreichen, die wir auch benötigen, um Leistung abzuliefern. Aber das müssen wir auch mit einer gewissen Stabilität ausgleichen und es ist fantastisch, dass das Kernstück des Teams auch in dieser Saison weiterhin bestehen bleibt. Nyck und Stoffel spielen dabei sogar eine entscheidende Rolle für uns. Sie waren bislang nicht allein nur phänomenale Fahrer, sondern auch Bestandteil der Weiterentwicklung dieses Teams, das wir aufgebaut haben. Diese Kontinuität zu haben, ist in der Saison absolut von Vorteil.
Wie fühlt es sich für die Mannschaft an, erstmals die gejagte Crew zu sein?
Ian James: Ich glaube nicht, dass sich unsere Herangehensweise verändern wird, da wir nun vom Jäger zum gejagten Team geworden sind. Uns erwarten immer noch die gleichen Herausforderungen wie in den Vorjahren und die Tatsache, dass wir die Weltmeisterschaft in der vergangenen Saison gewonnen haben, bedeutet für diese Saison nicht wirklich etwas. Wir wissen, wie eng es in dieser Meisterschaft zugeht und wie stark unsere Konkurrenten sind. Es wird erneut ein harter Kampf!
Steigt dadurch aber der Druck auf das Team?
Ian James: Der Druck ist immer da. Wenn ich mir aber vor Augen halte, wie viele Stunden derzeit alle im Team arbeiten, ist es fantastisch zu sehen, dass der Hunger, um unser Potenzial auszuschöpfen, innerhalb des Teams noch immer vorhanden ist. Wir gehen die Saison mit der nötigen Bescheidenheit an, denn wir wissen, wie stark unsere Gegner sind und wie hoch die pure Wahrscheinlichkeit ist, dass die Entscheidung wieder erst am Ende fallen wird. Aber der Druck ist immer vorhanden und das ist auch gut so. Wir wachsen mit dem Druck und begrüßen ihn.
Was waren denn die allerwichtigsten Lehren aus der vergangenen Saison?
Ian James: Wir haben während der letzten Saison viel gelernt, besonders durch die Herausforderungen, die wir meistern mussten. Wir hatten einen guten Saisonstart, aber zur Saisonmitte hatten wir zu kämpfen. Dadurch haben wir gelernt, dass wir in ein paar Bereichen zu hart gepusht haben, die uns schließlich gar nicht nach vorne gebracht haben. Stattdessen befanden wir uns sogar leicht in der Defensive. Daraus haben wir gelernt: Wenn wir aus diesen Analysen die richtigen Schlüsse ziehen und mutig genug sind, unsere Arbeit in Frage zu stellen und uns gestatten, einen Schritt zurück zu machen, um die Richtung zu ändern, dann können wir wieder zurück in die Spur finden. Es wäre sehr schön, wenn dies auch am Ende von dieser Saison so aufgehen würde. Das ist das Wichtigste. Wenn wir einen Weg eingeschlagen haben, von dem wir glauben, dass er nicht funktioniert, müssen wir direkt den Reset-Button drücken und sicherstellen, dass wir die notwendige Korrektur vornehmen.
Also ist Anpassungsfähigkeit eine Rolle dabei?
Ian James: Ja, die Anpassungsfähigkeit und der Mut, Dinge in Frage zu stellen und sich dort anzupassen, wo es notwendig ist. Die Kombination aus HPP in Brixworth sowie den Formel 1 und Formel E Teams in Brackley bildet ein starkes Dreigestirn. Ich denke, wir sind eigentlich schon sehr gut für diese Saison aufgestellt.
Und wie profitiert das Formel E-Team von diesen angedeuteten Synergien?
Ian James: Uns war schon immer bewusst, dass unsere Leistung an die Mercedes-Benz Motorsportfamilie weitergegeben wird, das sehen wir in der Zusammenarbeit mit Mercedes AMG High Performance Powertrains in Brixworth. Die Erkenntnisse, die wir aus der Arbeit und Entwicklung ziehen konnten, die im Rahmen des Formel 1-Engagements stattgefunden hat, und die Tatsache, dass wir unseren Lernprozess in der Formel E damit vorantreiben können, sind Bereicherungen für uns. Hoffentlich können wir einiges davon durch unsere Entwicklung in der Formel E zurückgeben, damit die Formel 1 Power Unit auch in der Zukunft so leistungsstark bleibt.
Ich habe schon oft darüber gesprochen, was wir von den kulturellen Aspekten sowie dem Erfolg des Teams in Brackley direkt lernen können. Die viel zitierte „No-Blame“-Kultur, die wir hier haben, ist ein entscheidendes Element für den Erfolg. Wir sind stolz darauf, Teil dieser Familie zu sein. Das hat uns zweifelsohne die Gelegenheit gegeben, unsere Entwicklungen zu beschleunigen. Damit hat es auch einen Teil zu unserem Titelgewinn beigetragen. Die Synergien, die es in der Motorsport-Familie gibt, sind nicht nur in dieser Saison relevant, sondern auch in Zukunft. Diese Kultur und dieses Know-how, das wir aufgebaut haben, werden uns weiterhin helfen und auch langfristig einen zentralen Bestandteil unseres Unternehmens bilden.
Warum wird die Saison die beste Saison generell?
Ian James: Seit Einführung der Formel E haben wir im Laufe der Jahre gesehen, dass die Serie und das Wettbewerbsniveau immer besser geworden sind. Aber die Pandemie hat diese Entwicklung zu einem gewissen Grad eingebremst. Es war eine enorme Herausforderung, überhaupt Events durchzuführen und der FIA, FEO sowie allen beteiligten Menschen gebührt eine riesige, riesige Anerkennung dafür, dass sie den Fortbestand sichergestellt haben. Jetzt kommen wir hoffentlich in eine Phase, in der bei der Austragung der Events wieder mehr Normalität herrscht. Das gibt uns eine fantastische Gelegenheit, um unser komplettes Potenzial zu zeigen. So können wir den Aufwärtstrend fortsetzen. Das neue Reglement dreht die Gen2 noch einmal voll auf und das ist großartig für diese Saison. Wir dürfen aber auch die Zukunft mit Gen3 nicht aus den Augen verlieren. Uns stehen unheimlich spannende neun oder zehn Monate bevor, das ganze Team freut sich von Anfang an darauf. (SW)