Henrik Rödl: „Die Teilnahme an Olympia war etwas ganz Besonderes“.
Ein Jahr Pandemie, auch für den Bundestrainer der Basketball-Nationalmannschaft Henrik Rödl keine einfache Zeit. Schon im letzten Jahr musste der Traum „Olympia“ verschoben werden. Und auch dieses Jahr ist noch nicht klar, ob das Team um den gebürtigen Offenbacher dabei sein kann. In den exklusiven Auszügen des Podcasts „Talkin’ Basketball“ geht es nicht nur um Olympia, auch um eine „besoffene Stadt“.
Henrik, in der Pandemie kann man den Freizeitaktivitäten kaum frönen. BBL, Euroleague und NBA laufen aber. Wie viele Stunden Basketball schaust Du im Durchschnitt am Tag?
Henrik Rödl: Eine meiner Hauptaufgaben ist der Kontakt mit meinen Spielern. Ich muss wissen, in welchem Zustand befinden sie sich gerade. Im Zweifelsfall melde ich mich, wenn es ihnen nicht so gut geht, um heraus zu finden, warum einer nicht spielt oder verletzt ist, um zu helfen, wo ich nur kann. Vor der Pandemie war ich viel unterwegs. Mit dem Auto reiste ich bis zu 80.000 Kilometer im Jahr, um Leute zu treffen. Das fällt jetzt natürlich aus. Ein Jahr war ich so gut wie gar nicht unterwegs. So muss ich jetzt alles von zu Hause aus machen. Das bedeutet, dass ich so viele Spiele wie möglich schaue, um zu sehen, wie die Leute so drauf sind. Das können an einem Tag mal fünf Spiele sein, es kann auch mal nur ein Spiel sein, aber es gibt kein Tag ohne Basketball schauen. Da vor dem letzten Qualifikationsfenster viele BBL-Spieler dabei waren, habe ich viel BBL geschaut. Um auf der Höhe zu bleiben, kommen die Euroleague und die NBA noch dazu. Ich versuche auf dem Laufenden zu bleiben, was gar nicht so einfach ist. Unser Kader hat durch die verschiedenen Nationalmannschaftsfenster eine Größe von 30 bis 40 Spielern. Das muss man sich mal vorstellen, alle zu sehen ist nahezu unmöglich.
Du überprüfst also den Zustand Deiner Spieler. Aber wie ist eigentlich so Dein körperlicher Zustand? Spielst Du noch aktiv Basketball? Wirfst Du manchmal noch den Ball?
Henrik Rödl: Im November war Moritz Wagner in Berlin, weil er sich hier auf die NBA vorbereitete, wir hatten dadurch die Möglichkeit, um gemeinsam zu trainieren. Da war ich fast drei Wochen lang jeden Tag in der Halle. Fit halte ich mich mit der gesündesten Einrichtung die der Mensch haben kann, mit meinem Hund. Mit dem gehe ich jeden Tag raus, laufe und halte mich fit. Und im Nationalmannschaftsfenster in der Halle mit den Spielern arbeite ich individuell. Das macht mir sehr viel Spaß, so lange das der „alte Kadaver“ noch hergibt.
Stichwort „alter Kadaver“ … gehorcht Dein Körper denn überhaupt noch so, dass es halbwegs nach Basketball aussieht?
Henrik Rödl: Ich bin sehr dankbar, dass ich mit den Spielern noch im individuellen Bereich etwas machen kann. Da geht es mehr um passen oder dem Ball hinterher laufen, mal eine Verteidigungshaltung einzunehmen, schnelle Schritte zu machen, den Spieler einmal zu drücken. Alles was nicht viel mehr als drei schnelle Schritte beinhaltet, kann ich noch ganz gut. Alles was länger dauert, hält mein Knie nicht aus. Deswegen habe ich ja damals auch aufgehört.
Wie bist Du denn zum Basketball gekommen? Dein Vater war Lehrer, aber auch Basketballtrainer. Lag die Sportart somit schon in Deiner Wiege? Warst Du bei der Geburt schon so groß, dass klar war, dass Du Basketballer wirst?
Henrik Rödl: Wie groß ich bei der Geburt war, weiß ich nicht. Da müsste ich schnell meine Mama anrufen … ich war meistens mit älteren Jungs unterwegs und war fast immer der Kleinste. Deswegen habe ich auch immer Point Guard oder auch Guard gespielt. Der große Wachstumsschub kam mit 13, 14, 15 Jahren.
Mein Vater war begeisterter Basketballer beim EOSC Offenbach. Da hat er auch sehr erfolgreich gearbeitet. Dementsprechend war es für mich selbstverständlich auch in dem Bereich zu sein. Das habe ich immer mit Leidenschaft von Anfang an gemacht. Der Ball war immer mein Freund, egal, was wir gemacht haben. Ich habe auch viele andere Sportarten gemocht, aber nie so wie Basketball.
War Dein Vater auch Dein erster Trainer im Verein oder jemand anders?
Henrik Rödl: Nein, in der damaligen D-Jugend hatte ich Jugendcoaches. In der A-Jugend bzw. U20 gab es ein Jahr, wo er mich dann auch trainiert hat.
War Dein Jugendzimmer ein Basketballzimmer? Was für Poster hattest Du so über Deinem Bett hängen?
Henrik Rödl: Dr. Julius Irving! Mein erstes wirklich großes Poster! Poster, Körbe, irgendwelche Wimpel, ich hatte definitiv ein Basketballzimmer.
Du hast damals noch als Regionalliga-Spieler unter Svetislav Pesic bei der Nationalmannschaft debütiert. Wann kam Dein Entschluss, dass Du Deine Skills im Mutterland des Basketballs, in den USA verbessern willst?
Henrik Rödl: Die Entscheidung hing auch mit meinem Elternhaus zusammen. Mein Vater war sehr affin mit der englischen Sprache, er hatte in Amerika ebenfalls ein Austauschjahr als Schüler gemacht, später auch als Lehrer. Ich wollte dann auch diese Erfahrung machen. Vom Deutschen Basketball-Bund gab es die Empfehlung auf eine Highschool zu gehen, weil man davon ausging, dass die Jugendarbeit dort besser sei als in Deutschland. Kaderspielern wurde angeraten, mal für ein Jahr im Ausland zu verbringen und sich im Basketball weiterzubilden. Das habe ich dann gemacht und bin mit 17 Jahren für ein Jahr an die Highschool nach North Carolina gegangen. Danach habe ich in Deutschland meine Schule beendet. Ich war vom amerikanischen College-Sport fasziniert. Dann hatte ich ein Angebot von einer der besten Universitäten Amerikas. Das war dann ein Selbstläufer. Meine jetzige Frau habe ich dort kennengelernt. Es gab viele Gründe in die USA zu gehen.
Wie waren für Dich die ersten Wochen dann privat in den USA? Wie bist Du zurechtgekommen? Wer hat Dich unterstützt?
Henrik Rödl: In der Highschool war es schon ein Kulturschock, den ich so nicht erwartet habe. Ich habe auch mein zu Hause in der Anfangsphase sehr vermisst. Es war schon nicht so einfach, wie man sich das vorgestellt hatte. Es war aber auch eine interessante Zeit in North Carolina. An dem Tag, wo ich hingeflogen bin, hat sich das „drinking age“, also das Alter, mit dem man öffentlich Bier kaufen konnte, von 18 auf 21 Jahre verändert. Das war an dem Tag ein riesiges Ding! Und in der Collegestadt Chapel Hill kann man sich ja vorstellen, was die Studenten an diesem Tag gemacht haben. Mein damaliger Gastbruder ist mit mir in die Stadt gegangen, das war der absolute Wahnsinn. Da war Feuer an jeder Ecke, die Leute waren total besoffen und haben es genossen, dass man noch einmal legal Bier trinken durfte. Das war ein krasser Schock an diesem Tag. Danach habe ich mich aber sehr gut eingelebt. Ich durfte meine jetzige Frau dort kennenlernen. Und diese Stadt ist ein bisschen meine zweite Heimat geworden.
Nimmt man am College am normalen Studentenleben teil oder ist man wegen des Sports unter Trainer Dean Smith in einer Art „Bubble“?
Henrik Rödl: Der Trainer Dean Smith war eine Legende. Ihm war es wichtig, dass wir Teil dieser Studentengemeinschaft waren. Wir mussten im ersten Collegejahr mit anderen Studenten im Studentenheim leben. Es wurde immer geprüft, ob wir in die Schule gingen, wir mussten gute Noten haben. Man war schon ein großer Teil der Universität. Die Unterstützung an dieser Uni, was Basketball anging, war unfassbar. 25.000 Studenten, die jeden Schritt von Dir verfolgen.
Was hat Dir besagter College-Aufenthalt sportlich etwas gebracht? Wann hast Du gemerkt, dass das Deiner Karriere hilft?
Henrik Rödl: Das College hat einiges bestätigt, aber auch einiges zurückgeworfen. Am Anfang habe ich gar nicht viel gespielt. Ich gab viele Sachen, die ich in Europa machen konnte, dort aber nicht, beispielsweise habe ich weniger geworfen. Plötzlich wurde aus mir ein Verteidiger, was ich vorher nicht unbedingt wahrgenommen habe. Später war es ja bekannt, dass ich ein besserer Verteidiger in Europa war. Ich habe sehr viel davon profitiert, weil ich gelernt habe, wie man Basketball spielt und wie man am Ende gewinnt. Was die Basketballkultur angeht, habe ich unfassbar viel mitgenommen. Rein individuell waren es auch Sachen, die nicht immer gut für mich waren. Ein College kann sehr gut für Spieler sein, aber man kann und darf es nicht verallgemeinern. Die Gefahr, dass man dort untergeht und auf Positionen spielen muss, die einen später nicht helfen, ist sehr groß.
Es gibt Leute, die sagen, Dean Smith habe Henrik Rödl das Scoring abtrainiert. Trotzdem war er ein wichtiger Einfluss. Ein weiterer wichtiger Trainer war für Dich Svetislav Pesic. Wer hatte den größeren Einfluss für Dich?
Henrik Rödl: Es gibt schon einen Unterschied zwischen der amerikanischen und jugoslawischen Schule. Aber es geht bei beiden um Disziplin und die Leidenschaft im Sport. Auch ein Dean Smith konnte sehr laut werden und benutzte Schimpfworte. Er konnte so schneidend mit einem reden, dass man für ein paar Tage nicht mehr geradeaus laufen konnte. Svetislav hat auch eine Art mit jemanden umzugehen, die einen definitiv beeindruckt und verändert. Beide haben ähnliche Ansichten: Harte Arbeit, Zusammenarbeit, sehr viel Disziplin innerhalb des Teams und im Umfeld.
Olympia in Tokio steht vor der Tür. Du warst selbst bei Olympia in Barcelona 1992 dabei. Was hast Du noch für Erinnerungen?
Henrik Rödl: Ich habe glücklicherweise an vielen Meisterschaften teilnehmen dürfen. Die Teilnahme an Olympia war etwas ganz Besonderes! Vielleicht ist es das Größte für jeden Sportler. Ich habe sehr viele Erinnerungen, deswegen bin ich auch extrem motiviert, dass wir uns für Olympia qualifizieren. Für den Basketball waren die Spiele 1992 ganz außergewöhnlich, denn zum ersten Mal waren die NBA-Spieler dabei und wir haben gegen das „Dreamteam“ gespielt. Eröffnungsfeier, Abschiedsfeier, jede Sekunde im olympischen Dorf mit den besten Athleten der Welt, sie dann zu sehen, zu treffen, zu Events zu gehen, selber zu spielen bei diesem unfassbaren Turnier. Das ist der große Traum des Bundestrainers, da im Sommer wieder dabei sein zu dürfen.
Reden wir mal über das mögliche Team. Wir haben ein sehr großes Angebot bei den „Big Men“. Wirst Du das Team traditionell bauen, wirst Du es kleiner bauen oder machst Du es bewusst groß? Wie kreisen da Deine Gedanken? Welche Möglichkeiten spielst Du im Kopf durch?
Henrik Rödl: Ich spiele alle Möglichkeiten durch. Meine Hauptaufgabe ist zu sehen, welche Spieler fit sind. Welche Spieler zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Es wird wohl so sein, dass die Halbfinalisten in der NBA nicht teilnehmen können. Das trifft dann die Nationalmannschaft besonders, die dort Spieler haben. Die LA Lakers sind beispielsweise wieder ein großer Favoriten. Das verändert extrem viel. Auf den Position 3, 4 und 5 habe ich die Qual der Wahl. Man muss dann sehn, wie es auch zusammenpasst. Die Vorbereitungszeit in diesem Jahr ist ungewöhnlich knapp … wenn die Saison zu Ende ist, dann haben wir gerade mal zwei Wochen mit dieser Mannschaft. Wir werden jetzt im Vorlauf versuchen, die Runde wieder zu machen, mit den Spielern zu sprechen und zu checken, wie fit die Leute sind, wie motiviert sie überhaupt sind, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Die große Variante wird definitiv eine Möglichkeit sein, weil wir einfach so viele gute Spieler haben, auch so viele große Spieler wie etwa Isaac Bonga oder Moritz Wagner, der gerade in der NBA sehr gut spielt. Spieler über zwei Meter haben wir sehr viele, mit denen man sicherlich eine sehr spannende Mannschaft bauen kann. Es wird nicht einfach, da eine Auslese zu finden, die auch mannschaftlich passt. Es ist sehr viel Talent da. Ich bin sehr gespannt und freue mich riesig darauf. Aber die endgültigen Zwölf habe ich noch nicht in der Schublade.
Dennis Schröder könnte also zu dem Zeitpunkt noch NBA-Playoffs spielen. Theoretisch ja auch Daniel Theis. Wenn Dennis nicht dabei sein wird, wie wäre denn der Plan B? Mit Mao-do Lo alleine geht es ja nicht. Ist das dann vielleicht eine Chance für Bastian Doreth, der aktuell ein gutes Jahr in Bayreuth spielt oder gehst Du dann doch eher mit den Jüngeren?
Henrik Rödl: Wir haben einige Varianten. Mao-do Lo spielt eine sehr gute Saison. Auch Isaac Bonga hat die Chance auf europäischem Niveau zu spielen, auch Ismet Akpinar. Wir haben schon Möglichkeiten. Die Chancen, dass Bastian Doreth wieder in den Kader zurückkommen wird, sind gering. Ich will es nicht ganz ausschließen, zumal er wirklich eine gute Saison spielt, aber es ist eher unwahrscheinlich.
Der Traum „Olympia“! Aber es könnte ja passieren, dass die Spiele in Tokio wieder abgesagt werden. Wie geht ihr damit um?
Henrik Rödl: Die Pandemie belastet die ganze Welt. Ein ganzes Jahr schon leiden Menschen, sterben Menschen. Wir sind eingeschränkt wie noch nie. Man hat den Eindruck, dass mit dem neuen Impfstoff ein Ende in Sicht ist. Wir sind natürlich voll in der Planung. Wir versuchen, alles vorzubereiten. Wir kriegen außerdem auch die Bestätigung, dass es stattfinden wird, allerdings ohne Touristen außerhalb Japans. Man muss dann auch sehen, wie die Situation in Japan dann ist, die ja jetzt zum Teil sehr schlecht war. Wir planen jetzt, so perfekt wie möglich. Wir machen so gut wie möglich eine vernünftige Vorbereitung. Wenn es am Ende nicht stattfindet, war es wieder umsonst. Wir haben das im letzten Jahr auch schon erlebt. Wir hatten alles in der Schublade. Ich war damals bei Maxi Kleber in Dallas, wo es mit dem Lockdown losging. An dem Tag wurde die NBA-Saison abgebrochen. Weltweit leiden alle, aber der Profisport, vor allem der internationale Profisport auf eine Weise, die schon sehr belastend ist. Es ist schwierig bestimmte Ligen in diesem Jahr zu beurteilen. Viele Vereine waren zum Teil zwei bis vier Wochen in Quarantäne, viele Spieler waren krank. Die Belastung ist schon sehr hoch. Aber es bringt nicht viel zu jammern, weil es allen so geht und alle damit leben müssen. Wir versuchen das Beste daraus zu machen. Ich finde es ein Wahnsinn, dass die Ligen haben spielen dürfen. Das hat in vielerlei Hinsicht auch ohne Zuschauer sehr gut geklappt. Wir hoffen, dass Olympia im Sommer stattfindet und wir uns dafür qualifizieren. (SK/OD)
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