Andreas Richter: „Die Formel 1 war endlich wieder einmal absolut spannend“.
Andreas Richter ist Live-Moderator, -Kommentator, -Simultandolmetscher und vieles mehr, doch vor allem ist der gebürtige Darmstädter ein echter Motosportenthusiast. Erst als „kleiner“ Fan, dann als Mitarbeiter für verschiedene Rennteams oder Piloten und schließlich in seiner Funktion als Moderator oder Kommentator. Im exklusiven Interview geht es darum nicht nur um die gerade beendete Saison in der Formel 1.
Andreas, Du hast in den unterschiedlichsten Funktionen in und rund um die Formel 1 gearbeitet. Aus langen gemeinschaftlichen Fahrten weiß ich aber, Du bist vor allem Fan. Wie hat Dir die Saison 2021 gefallen?
Andreas Richter: Zu meiner eigenen Überraschung sehr gut! Ich hatte vor dem Saisonstart einen solchen Verlauf überhaupt nicht erwartet. Aber in einer solchen Hinsicht täusche ich mich jederzeit gerne.
Der Titelkampf hatte alle Zutaten für eine Heldengeschichte. Ist es am Ende ein verdienter Weltmeister in Deinen Augen?
Andreas Richter: Definitiv. Wobei ich das auch im Falle von Lewis Hamilton gesagt hätte, denn es war ein Duell auf Augenhöhe. Insofern passt der historisch immer schwierige Vergleich mit der Saison 1974, als erstmals und bis 2021 letztmals die beiden WM-Führenden vor dem Finale punktgleich waren. Natürlich war damals die Situation mit Emerson Fittipaldi (McLaren) und Clay Regazzoni (Ferrari) anders.
Mehr als an 1974 erinnert mich die aktuelle Situation vor und nach dem Saisonfinale allerdings an 1984: Damals gewann bekanntlich Niki Lauda seine dritte und letzte Weltmeisterschaft gegen seinen Stallgefährten Alain Prost, beide in einem McLaren. Mit einem halben Punkt Vorsprung! Das war ein Generationenwechsel, anders als im Jahr 1974, aber ebenso wie bei Lewis Hamilton und Max Verstappen.
Wobei ich Lewis Hamilton noch einen weiteren WM-Titel zutraue. Voraussetzung: Das Team muss sich am besten auf das völlig neue Reglement 2022 einstellen.
Bleibt Dir ein Rennen oder eine Aktion besonders in Erinnerung? Oder anders gefragt: Was war denn Dein Highlight der Saison 2021?
Andreas Richter: Meine Antwort wird Dich eventuell überraschen, aber es war das Podium von Lando Norris in Monaco. Was er für sich und für McLaren geleistet hat, war für mich der Höhepunkt 2021 in der Formel 1 abseits des Top-Duells zwischen den beiden Spitzenreitern in der WM.
Ich hatte ihn in mehreren Interviews vor Saisonbeginn als kommenden Weltmeister bezeichnet … dabei bleibe ich auch.
Auch wenn es nicht fair ist, Yuki Tsunoda mit den Piloten von Haas direkt zu vergleichen, aber wie haben sich die drei Rookies gemacht? Wer hat wirklich das fahrerische Talent für die Formel 1?
Andreas Richter: Puh … das ist wirklich kaum absolut fair zu beantworten. Dafür ist der AlphaTauri samt Honda-Triebwerk zu stark im Vergleich zum Haas.
Nikita Mazepin hat einige Fehler gemacht. Besonders wenn er, wie zum Beispiel in Zandvoort, gefährliche Situationen heraufbeschwört, die sogar zu schweren Unfällen führen könnten. Dennoch schätze ich ihn nach seiner Zeit in Formel 3 und Formel 2 stärken ein, als viele ihn darstellen. Also Talent darf man ihm nicht absprechen.
Teamkollege Mick Schumacher, da bleibe ich bei meiner Meinung vom Saisonstart, ist der Mann der zweiten Saison. Damit meine ich seine Erfolgsgeschichten in den Nachwuchsklassen Formel 3 und Formel 2, in denen er auch nicht der Überflieger war, sondern jeweils in der zweiten Saison stärker fuhr und Meister wurde.
Das Team Haas hat verständlicherweise die Entwicklungen am Auto für 2021 früh eingestellt, um als kleineres Team wichtige Gelder für das Auto nach dem neuen Reglement für 2022 zu sparen. Dies könnte im kommenden Jahr im hinteren Feld oder gar im Mittelfeld dann zu entscheidenden Vorteilen für beide Fahrer führen.
Yuki Tsunoda hatte ich letzten Winter stark eingeschätzt, aber nicht so stark. Auch nicht den AlphaTauri. Beide haben mich positiv überrascht. Gut so, sonst wäre es ja auf Dauer langweilig. Er hat Zeit benötigt, bis er sich zurechtgefunden hat. Aber die zweite Saisonhälfte war für mich überzeugend. Stallintern und auch im Feld.
Wenn wir schon über Mick Schumacher sprechen, dann bitte ich Dich auch um eine Einordnung der Saison von Sebastian Vettel?
Andreas Richter: Ich hatte einerseits von ihm deutlich mehr erwartet. Andererseits ist ein Premierenjahr in einem neuen Rennstall auch immer mit Risiken behaftet. Vor allem damit, mit dem Fahrzeugkonzept oder einigen Schlüsselpersonen noch nicht aus dem Stand gut zurechtzukommen.
Die Leistungen von Lance Stroll, den ich seit seinem Debut in der Königsklasse bei Williams sehr stark einschätze, haben gezeigt, dass Aston Martin ein gutes Auto gebaut hat. Aber Sebastian Vettel ist ganz offensichtlich nicht so gut damit zu Recht gekommen. Dass seine Saison eine Enttäuschung war, steht außer Frage. 2022 wird für seine Karriere entscheidend: Läuft es ähnlich wie in diesem Jahr, könnte es das Ende seiner Zeit in der Formel 1 bedeuten. Kommt der Erfolg, sehe ich ihn noch gut zwei, drei Jahre in der Spitze fahren.
Auch hier gilt wie bei allen Piloten und Teams: Wer das neue Reglement am besten
interpretiert, fährt vorne, zumindest 2022. Ich freue mich auf Überraschungen. Auch gerne auf Siege im Falle von unserem hessischen Piloten von der Bergstraße. Er darf Dich und mich gerne überraschen.
Generell spreche ich nicht gerne über negative Aspekte des Lebens, aber weil ich weiß, Du hattest eine ganz besondere Beziehung zum Williams Team, wie war Sir Frank Williams denn als Mensch?
Andreas Richter: Nun, der 28. November 2021, der 1. Advent, ist auch für mich mit der traurigen Nachricht von seinem Tod verbunden. Andererseits hat er mindestens 25 Jahre länger gelebt, als es sehr viele Mediziner 1986 nach seinem fürchterlichen Autounfall in Südfrankreich erwartet hatten.
Als Kind lernte ich seinen Namen Anfang der 1970er Jahre beim Lesen von Artikeln kennen. Persönlich dann ganz kurz in den Boxen von Hockenheim beim Großen Preis von Deutschland 1979, als ich als Abiturient auf der Suche nach einem Job bei einem Team war.
Ab Sommer 1980 bis 1984 habe ich dann tatsächlich für ihn als „Go-for“ gejobbt und ihn hinter den Kulissen ohne Kameras erlebt. Bei den europäischen Rennen, denn für Reisen nach Übersee hatte ich als Bankkaufmann-Azubi gar kein Geld. Er war ehrgeizig, knallhart, aber nahbar und Mensch. Dazu sehr sportlich: Ich beobachtete ihn gerne bei Lauftrainings rund um die Rennstrecken, wenn er sich als Hobbyläufer auf Straßenläufe oder Marathons vorbereitete.
Und 1997/98 war ich Mediensprecher von Heinz-Harald Frentzen, der zufällig zu der Zeit für Sir Frank Williams, denn alle in der Formel 1 lediglich kurz „Frank“ nannten, fuhr. Zu der Zeit saß er bereits sehr lange im Rollstuhl. Das hatte natürlich zu einer anderen Physis geführt, aber der Typ, der er war, blieb, soweit ich das beobachten konnte, unverändert.
Als er sein Unternehmen Anfang 2020 an einem US-Investor verkaufte, habe ich zu Freunden und auch zu Dir gesagt, dass ich nun durchaus damit rechne, dass sein Lebenswille erlischt. Warum? Seine Frau Virginia war bereits einige Jahre zuvor an Krebs verstorben, und seinen großen Lebensinhalt, seinen erfolgreichen Rennstall, besaß er nun auch nicht mehr. Ich ziehe meinen Hut vor seiner Lebensleistung: Vom absoluten Hinterbänkler zu dem dritterfolgreichsten Rennstall in der Formel 1, gemeinsam mit Ferrari und McLaren.
Was erhoffst Du Dir von der völlig neuen Saison 2022?
Andreas Richter: Dass Haas Konstrukteurs-Weltmeister und Mick Schumacher den Titel bei den Piloten holt … das wird wohl ein Wunschtraum bleiben! Aber ich erhoffe mir im Sinne des Sports schon, dass wir Umwälzungen erleben. Dass also zum Beispiel Mercedes und Red Bull für eine Saison etwas den Anschluss verlieren und McLaren, Williams oder Alpine um die beiden WM-Kronen kämpfen. Doch ab 2023 befürchte ich dann wieder eine Hackordnung, die mehr der aktuellen ähnelt.
Mein Wunsch ist es aber, dass mit 2022 eine neue Ära beginnt, wie wir sie immer wieder in der Formel 1 erleben. Seit dem Start 1950 gab es immer epochal starke Teams und Fahrer, die nach einigen Jahren abgelöst wurden. Mercedes mit Lewis Hamilton ist schon viel länger ganz oben, als andere in den 70 Jahren davor.
Drei große Karrieren sind mit diesem Jahr zu Ende gegangen. Wobei alle drei schon haben durchblicken lassen, Rentner werden sie nicht. Wie ordnest Du die Karrieren von Kimi Räikkönen, Valentino Rossi und Sébastien Ogier ein? In welcher Art werden Sie sogar fehlen?
Andreas Richter: Drei extrem große Namen, drei Ausnahmekönner. Fangen wir mit Kimi Räikkönen an. Seinen ersten Grand Prix für Sauber in Melbourne habe ich als Fernseh-Moderator und -Kommentator damals bei Premiere beziehungsweise beim DSF erlebt. Ein Ausnahme-Talent, das am Ende viel zu wenige Weltmeisterschaften gewonnen hat. Aber immer eine absolute Bereicherung für die moderne Formel 1 war. Auch als Typ, von seiner Art.
Valentino Rossi habe ich 1996 live am Mikrophon als Fernseh-Kommentator bei Eurosport bei seinem ersten Grand Prix Start, bei seinem ersten Grand Prix Sieg und 1997 bei seinem allerersten WM-Titel erlebt! Eine Sternstunde für die heutige MotoGP. Und er war mit 17 Jahren ja fast noch ein Kind … einer der Besten auf zwei Rädern die es jemals gab, der auch meinen damaligen Co-Kommentator Dieter Braun, selbst zweifacher Motorrad-Weltmeister, stark beeindruckt hatte.
Sébastien Ogier hätte vermutlich noch weitere Weltmeisterschaften im Rallyesport gewonnen. Aber er hat aus meiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt aufgehört: Ganz oben! Er hat über die Jahre so viele andere Weltklassepiloten geschlagen, dass mir langsam die Superlative ausgehen. Seine vielfältigen Stärken auf Asphalt, Eis und Schotter waren exquisit. Er steht für mich mit Valentino Rossi und Lewis Hamilton ganz oben in der Hierarchie des Motorsports.
Alle drei sind einerseits ein Verlust für den Motorsport. Andererseits ist das Leben in jeder Hinsicht so: Nämlich zeitlich begrenzt. Also alles ganz normal!
Wie hat Dir generell die MotoGP 2021 gefallen?
Andreas Richter: Ganz ausgezeichnet. Gerade wenn ich sie mit meiner Zeit am Eurosport-Mikrophon 1996 und 1997 vergleiche: Die ganze Leistungsdichte in allen drei Kategorien, 125er, 250er und 500er, ist heute so unfassbar hoch!
Dass und wie ein Neuling wie Pedro Acosta in der kleinsten Kategorie sofort den Durchmarsch geschafft hat, einfach phänomenal.
Dass mit Remy Gardner der Sohn eines ehemaligen Weltmeisters, Wayne Gardner 1987 bei den 500ern, den Titel in der mittleren Klasse holt: Ein Genuss.
Und dass schließlich mit Fabio Quartararo ein Franzose mit seiner Yamaha bei den großen Maschinen weitgehend dominiert, und am Ende doch noch ein wenig zittern muss: Besser geht es für die Zuschauer fast nicht!
Am Wochenende findet das letzte Rennen in der Extreme E statt. Sportlich bin ich noch nicht überzeugt, aber ich finde die Idee dahinter wichtig, glaube aber, es kann sich zu einem guten sportlichen Format entwickeln. Wie hast Du die Saison verfolgt? Was denkst Du?
Andreas Richter: Ich war und bin von der Idee, über den Motorsport auf Klima-Probleme und Gefahren für Mensch und Natur aufmerksam zu machen, begeistert.
Dennoch bleibe ich skeptisch, ob das Konzept sein Ziel erreichen wird. In jedem Fall ist es den Versuch wert.
Die ersten Schritte waren etwas wacklig: Unfälle, technische Probleme mit den SUV, noch keine wirkliche Medienresonanz. Aber ich warte ab … Saison 2 und 3 sollten zeigen, wohin sie fahren.
Im Januar startet bereits die Formel E in die neue Saison. Es hat sich sehr viel getan. Was erwartest Du für Rennen für 2022?
Andreas Richter: Die Formel E hat sich bislang gut durch die Pandemie bewegt, Hut ab. Und sie hat sich generell sehr positiv entwickelt. Muss aus meiner Sicht aber aufpassen, dass 2022 und vor allem 2023, mit den Gen3-Fahrzeugen, nicht zum Negativ-Knick führt. Denn Audi und BMW sind als Werke bereits weg und Mercedes wird sich werksseitig Ende 2022 verabschieden.
Sowas kenne ich aus der Formel 1 gut, bin also entspannt. Von allem, was ich über die Fahrzeuge der dritten Generation weiß, die ab 2023 eingesetzt werden, bin ich begeistert. Aber erst einmal kommt 2022. Das Reglement ist noch viel zu kompliziert für Zuschauer. Die Fahrer und die Teams sind stark, die Technik passt. Ich erwarte eine starke Saison mit Sam Bird im Jaguar an der Spitze, da lege ich mich schon heute fest. Die Auswirkungen der Pandemie sowie die politischen Entscheidungen kann ich dabei natürlich leider nicht vorhersehen.
Im Januar steht auch wieder die Rallye Dakar an, auch wenn ich mir mit dem Namen mittlerweile ein wenig schwer tue. Obwohl ich Stunden neben Dir im Auto, in der Bahn oder in Fliegern verbracht habe, habe ich keine Ahnung wie Du zu Rallye-Raids stehst? Hast Du die Rallye Dakar verfolgt und wie findest Du den „grünen“ Ansatz von Audi?
Andreas Richter: Stimmt, wir beide haben uns darüber nie groß unterhalten. Nun, da ich seit meiner Kindheit, so ab ca. 1970, Motorsport-Fan bin, habe ich auch die Rallye Dakar ganz gut verfolgt. Aber nie so detailliert wie die Formel 1, die IndyCar mit meinem Lieblingsrennen, dem Indy 500, oder die MotoGP … meine vier großen Leidenschaften im Motorsport.
Rallye-Raids finde ich aus sportlicher Sicht und aus der Position der Hersteller sehr spannend. Allerdings waren die 1970er und 1980er Jahre für meinen Geschmack die bessere Epoche. Einfacher … puristischer!
Und der Name „Dakar“ wirkt auch auf mich inzwischen etwas seltsam, wenn ich mir die Austragungsorte beziehungsweise Länder oder Kontinente anschaue. Aber sei’s drum: Ich wünsche auch Audi, dass sie die richtige Entscheidung, auch in „grüner Hinsicht“, getroffen haben.
Abschließend: Hättest Du gedacht, dass die DTM mit GT3-Wagen so spannend wird und Gerhard Berger die Rettung realisiert?
Andreas Richter: Nein, das hätte ich nicht. Umso besser, wie die Saison 2021 so gelaufen ist. Das Finale war leider etwas unwürdig, aber natürlich hochdramatisch und hochspannend. Ich wünsche Gerhard Berger, der DTM und ihren vielen Fans, dass die kommenden Jahre alle Beteiligten belohnen werden! (SW)
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