Kevin Kühnert: „Der Traum ist doch, das Hobby zum Beruf zu machen“.
Kevin Kühnert ist sportbegeistert. In einer Sportfamilie groß geworden ist der SPD-Politiker bis heute für alle Facetten des Sports zugänglich. Im „sportflash.online“-Interview verrät der stellvertretende Vorsitzende der SPD, dass man fast Kollegen geworden wäre. Der Sportjournalismus war eine berufliche Option. So ist es ein Gespräch über Schulsport, Berliner Fußball, den DFB und die persönlichen sportlichen Ziele …
Kevin, welche Rolle spielt der Sport in Deinem Leben?
Kevin Kühnert: Eine riesige Bedeutung. Ich kann die Politik heute nicht mehr als Freizeitgestaltung bezeichnen, der Zeitpunkt ist vorbei. Deswegen ist der Sport jetzt meine wichtigste Freizeitgestaltung. Ich bin mit Sport groß geworden. Ich komme aus einer Sportfamilie, Mutter Volleyball, Vater Handball. Bei mir selbst hat sich das Pendel dann zum Handball ausgeschlagen. Ich bin damit groß geworden, dass die Wochenenden in Sporthallen stattgefunden haben und der Wochenplan der Familie nach Trainingszeiten sortiert wurde. Das kriegt man nicht mehr aus der DNA raus.
Wenn Du die Augen schließt und an Deinen Schulsport früher denkst, welches Bild kommt da als erstes?
Kevin Kühnert: Leider Turngeräte … genau der Teil, mit dem ich nichts anfangen konnte. Am schönsten war der Sport in der Oberstufe, weil man Sportkurse wählen konnte und sich gezielt entscheiden, welchen Sport man machen will. Da hatte ich super Noten: Handball, Volleyball und Badminton. Das war das Nonplusultra. Der Cooper-Test war auch immer super, Ausdauerlaufen war für mich gar kein Problem. Aber alles, was mit Turnen zu tun hatte, das war nicht meins.
Gibt es eine Sportart, die Du unbedingt noch mal ausprobieren willst?
Kevin Kühnert: Ich würde gerne mal etwas in der Luft machen, aber habe großen Respekt davor. Ich habe Höhenangst, wenn es direkt an einer Kante runter geht. Aber Paragliding reizt mich total. Das geht doch im weitesten Sinne als Sport durch.
Wann bist Du zum ersten Mal in einen Sportverein gegangen?
Kevin Kühnert: Mit 4 oder 5 Jahren. Ich habe vor kurzem beim Aufräumen meinen Mitgliedsausweis vom Handballverein gefunden. Die Trainerin der Mini-Mannschaft war damals eine Freundin meiner Mutter und ich wurde einfach hingeschickt.
Kam bei Dir dann irgendwann Fußball dazu und Du bist jetzt eher Fußballer anstatt Handballer?
Kevin Kühnert: Nein, bis heute bin ich in erster Linie Handballer. Das ist ja auch so eine Schicksalsgemeinschaft mit Leuten, die mal Handball gespielt haben. Das ist durch die Härte und Körperintensität ein besonderer Mannschaftssport. Mit anderen Handballern hat man immer tolle Gesprächsthemen. Ich bin aber immer umfassend sportinteressiert gewesen. Bei uns lief immer Sport. Natürlich hat man damals „Ran“ geguckt, die Bundesliga verfolgt, aber genauso haben wir die großen Tennisturniere geguckt oder auch Skispringen auf RTL mit Dieter Thoma und Günther Jauch. Es lief einfach alles, Wintersport, Sommersport, Olympische Spiele, das war damals der Grundsound am Wochenende bei uns im Hintergrund. Deswegen bin ich auch so ein genereller Sport-Nerd geworden.
Da warst Du ja eigentlich prädestiniert dafür, Sportjournalist zu werden. War das eine Option?
Kevin Kühnert: Total. Der Traum ist doch, das Hobby zum Beruf zu machen. Wenn man viele Jahre seines Lebens mit Sport verbringt und sich irgendwann abzeichnet, Profi wirst du jetzt selber nicht, bleiben ja nicht mehr so viele Möglichkeiten, mit dem Sport später seine Brötchen verdienen zu können. Der Sportjournalismus war eine reizvolle Sache. Ich hatte auch das Gefühl, dass Handball so im Kommen war, dass man hätte mehr machen können. Im Gegensatz zum Fußball laufen im Handball nicht so viele Leute rum, die sich berufen fühlen, ganze Spiele zu kommentieren. Es war immer reizvoll. Ich war bei Tennis Borussia ehrenamtlich im Fußball unterwegs, habe die Gegnervorstellungen für das Stadionheft geschrieben, Spielberichte für die Webseite geschrieben und habe Online-Radio gemacht, wo ich dann im Netz die 2. Halbzeit kommentiert habe. Das hat mir richtig Spaß gemacht, es gab auch gutes Feedback. Ich hatte schon Lust zu gucken, wie weit man damit eigentlich kommt.
Und dann kam der Tag, wo Du Dich für Politik entschieden hast und nicht für den Sportjournalismus. Warum?
Kevin Kühnert: Das ist einfach so passiert. Das war gar nicht so eine bewusste Entscheidung. Bei der Politik bewirbt man sich ja nicht. Dinge passieren und wenn man nicht Stopp sagt, dann können sie immer weiter passieren. Irgendwann muss man sich eingestehen, dass der ganze Alltag mit Politik voll ist und die Entscheidung getroffen wurde, was dein Haupttätigkeitsbereich ist. Mit Sport bekomme ich heute meinen Kopf frei. Das verbinde ich mit Wochenendgefühl.
Du bist gebürtiger Berliner und Fan von Arminia Bielefeld. Beide Klubs haben in der Fußball-Bundesliga ein Problem, denn sie können noch absteigen. Für wen drückst Du denn die Daumen? Auch wenn ich weiß, dass Du kein Hertha-Fan bist, aber vielleicht bist Du ja Lokalpatriot … oder ist es Dir Wurscht, wenn die Hertha absteigt?
Kevin Kühnert: Das ist mir wirklich Wurscht. Es gibt absolut nichts Schlimmeres in der Politik, wenn Leute so ein peinliches Lokalpatriotismus-Fantum entwickeln. Wo du als Fußballfan sofort merkst, der hat nichts damit zu tun. Den meisten Fans ist es lieber, wenn der Politiker sagt, er habe keine Ahnung oder ist als Oberbürgermeister der Stadt Fan vom Nachbarort. Das schätzen die Fans eher, als wenn man sich bei jedem Besuch in einer Stadt den Schal des örtlichen Vereins um den Hals wirft. Das ist doch das Schlimmste, dieses „Rankumpeln“ an Vereine, mit denen man nichts zu tun hat.
Nimmt man in Berlin wahr, dass es mit Viktoria nun einen dritten Verein in der Stadt gibt, der dann im Profifußball eine Rolle spielen wird? Was hat der Klub für ein Standing in der Stadt?
Kevin Kühnert: Viktoria ist in meinem Bezirk, in Tempelhof-Schöneberg, wo ich für den Bundestag kandidiere und wo ich Kommunalpolitik mache, beheimatet. Viktoria hat im Moment ein großes Problem, sie haben noch keine Spielstätte für die 3. Liga. Unter diesem Vorbehalt steht die Erteilung der Lizenz. Das Olympiastadion können sie sich nicht leisten. Von allen Standorten außerhalb Berlins gab es eine Abfuhr. Jetzt steht aktuell das Mommsenstadion, die Heimstätte von Tennis Borussia, zur Diskussion, wo aber im Sommer kräftig investiert werden müsste, um überhaupt die Voraussetzungen für die 3. Liga zu schaffen. In den nächsten Wochen wird es sich zeigen, ob das darstellbar ist. Aber das muss klappen, es wäre eine Schande, wenn ein Verein das Aufstiegsrecht in so einer großen Stadt mit so vielen Stadien nicht wahrnehmen kann. Der Verein ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Viktoria ist ein Breitensportverein und ein Fusionsergebnis aus zahllosen Fusionen. Der Verein war nie darauf ausgelegt, dass in ihrem putzigen Stadion in Lichterfelde irgendwann mal Profifußball gespielt wird. Wie baut man eine Identität auf und zieht Publikum, ohne dass man eine richtige Geschichte erzählen kann.
Wenn wir beim Fußball sind, dann sind wir thematisch schnell beim DFB. Du hast die letzten Wochen bestimmt verfolgt. Was muss beim DFB passieren?
Kevin Kühnert: Als jemand, der große Organisationen von innen kennt und auch grundsätzlich versteht, welchen Dynamiken sie unterliegen, würde ich sagen, dass der DFB in seiner Struktur nicht funktional ist. Er erfüllt nicht die Aufgaben, welche er eigentlich soll, nämlich die Plattform der verschiedensten Spielarten von Fußball in Deutschland zu sein. Ein Schmelztiegel für alle, die etwas mit Fußball zu tun haben. Der DFB ist ein Schlachtfeld von ganz unterschiedlichen Interessen, die miteinander ausgefochten werden. Ich nehme wahr, dass dort etwas passiert, was immer sehr gefährlich in Organisationen ist. Wenn Leute das Gefühl haben, ihre Interessen nicht durchsetzen zu können, dann beschränken sie sich gerne darauf, andere Ideen von anderen Menschen zu verhindern. Daraus resultieren dann Präsidenten, die nur als Übergangsleute reingeholt werden. In der Kommunalpolitik spricht man in dem Fall von Amtsverwesern. Das sind dann Kompromiss-Persönlichkeiten, die mögen nette Menschen und honorig sein, sind aber überfordert mit der Aufgabe der Führung im Verband. Sie sind überfordert mit dieser gesamten Dimension von gesellschaftlicher Verantwortung, die man als Großverband in Zeiten wie diesen mittlerweile hat. Man ist nicht mehr der „Fußball-Dödel“, wenn man Vorsitzender vom DFB ist, sondern man ist ein gesellschaftlicher Akteur. Man ist mit der Frage der Gleichstellung, mit Diversität, sowohl in punkto Migrationsgeschichte als auch auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Gesellschaft, beschäftigt. Dazu kommen schließlich noch die Fragen zur Antidiskriminierung, zur Prävention von Kindesmissbrauch, wie auch der Trainerausbildung und alles, was sonst noch dazu gehört. Man muss gegenüber der Politik auftreten, wenn es beispielsweise um Übungspauschalen geht. Man ist also eigentlich im Range eines Gewerkschaftsvorsitzenden. Nur dass man überwiegend Ehrenamtliche vertritt. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Strukturen und auch viele handelnde Personen des DFB vorbereitet sind, auf das Spotlight, in dem sie in der Öffentlichkeit stehen. Deswegen scheitern sie immer wieder, an irgendwelchen Luxusuhren oder an rassistischen Äußerungen. Da muss man ihnen noch nicht mal unterstellen, das sie überzeugte Rassisten sind; Fritz Keller sicherlich nicht … Das lässt tief blicken.
Also hätte Fritz Keller sofort Konsequenzen aus seinem Fehler ziehen müssen und direkt danach zurücktreten müssen?
Kevin Kühnert: Ja. Man kann hier Parallelen zur Politik ziehen. Einerseits, was die Rücktrittskultur angeht, andererseits gilt auch hier das alte geflügelte Wort aus der Politik: „Man stolpert nicht über Fehler, sondern man stolpert über den Umgang mit Fehlern“. Das ist meistens so. Der Glaube, sich immer noch durch Seilschaften und Gefallen, die man bei irgendwem gut hat, in Ämtern halten zu können, obwohl die gesamte Öffentlichkeit sieht, dass „der Kaiser nackt ist“. Ein Irrglaube, der schon zu oft widerlegt wurde. Von wem will Fritz Keller denn noch ernst genommen werden? Gegenüber wem in der Gesellschaft glaubt er denn noch, rein für den Fußball als Interessenvertreter auftreten zu können? Es hat doch keiner mehr Lust, mit ihm in Zukunft ein Foto zusammen zu machen. Da kriegt man nur eine Shitstorm.
Wen würdest Du denn als Nachfolger von Fritz Keller beim DFB sehen wollen? Einen Sympathikus wie Philipp Lahm oder einen CEO aus der Wirtschaft, wie es Christian Seifert bei der DFL war? Er hat nachweislich gute Arbeit gemacht.
Kevin Kühnert: Das stimmt, das sehe ich auch so. Ich bin zwar nicht mit allem da einverstanden, aber handwerklich hat Christian Seifert bei der DFL saubere Arbeit gemacht. Insbesondere hat er vielen im Profifußball den Arsch gerettet, rundum die Wiedereröffnung des Spielbetriebs nach der Frühphase mit dem Corona-Virus, weil es maßgeblich seine kommunikative Umsicht gewesen ist, nicht zu überziehen und solidarisch alles im großen Ganzen bei der Gesellschaft einzuordnen. Das war ein Vorbild, wie man gesellschaftliche Verantwortung auch mit einer gewissen Demut verkörpern kann. Ich wünsche mir eine Doppelspitze für den DFB. Dem DFB hat die Fokussierung auf einzelne Figuren, die Heilsbringer sein sollen, nicht gut getan. Es ist dort ein strukturelles Problem. Der Apparat ist nach innen hinein durchsetzt von Abhängigkeiten und Loyalitäten, die dazu führen, dass der DFB unregierbar ist. Man muss es in einer klassischen Doppelspitze auflösen, eine Frau, ein Mann, ein Profi- und ein Amateurhintergrund. Damit nicht der Apparat, der total undurchsichtig ist und für Außenstehende nicht transparent ist, darüber entscheidet, wer in Gremien die Mehrheiten hat, sondern zwei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und das stellvertretend für die Organisation austragen müssen. Vielleicht kann man das mit einem linkem und einem rechtem Flügel in einer Partei vergleichen. Anstelle dieser Generalsekretäre, die nach innen eine große Rolle haben, aber für Außenstehende total unsichtbare Figuren sind.
Wir haben heute so viele Themen rund um den Sport … braucht ein Land wie Deutschland nicht einen eigenen Sportminister?
Kevin Kühnert: Ich glaube nicht. Ich habe ein generelles Allergiegefühl dagegen, dass Themen, die vermeintlich zu wenig besprochen und behandelt werden, immer als Lösung ein Ministerium bekommen sollen. Das kennen wir aus der Digitalpolitik. Wie kann die Digitalisierung in der Politik eine größere Rolle spielen? Da wird sofort gesagt, dass man ein Digitalministerium braucht. Darüber ist nichts gesagt, was in diesem Ministerium stattfindet. Wer hat dort die Kompetenzen? Was sind die Ideen? Was soll es genau machen? Ich fände es zunächst im ersten Schritt einmal schön, wenn wir einen für Sport zuständigen Minister hätten, der sich auch für das Thema interessiert. Das sehe ich beim aktuellen Minister nicht. Der Sport ist ja traditionell beim Innenministerium angesiedelt, also bei Horst Seehofer. Er ist der Sportminister, aber eben nicht nur, sondern er ist auch Sportminister. Er hat mir nicht den Eindruck gemacht, als hätte er eine besondere Leidenschaft für das Thema Sport. Insofern fehlt es dem Sport an Fürsprache in der Politik. Das ist sicherlich so. Ich würde mir auch wünschen, dass mehr Leute aus dem Sport den Weg in die Politik gehen. Sportpolitik ist im deutschen Bundestag und in der Regierung zu sehr „Nebenbei-Thema“. Sport finden alle nett, es sagt gar keiner etwas dagegen, aber du brauchst Leute, die die richtige Leidenschaft mitbringen, für die der Sport das Prioritätsthema Eins ist. Von denen haben wir sehr wenige.
Kommen wir langsam zum Ende … möglicherweise könntest Du bald für den FC Bundestag auflaufen …
Kevin Kühnert: Nee, das werde ich nicht machen … ich habe nie Fußball gespielt und es nie richtig gelernt. Da spielen auch schon Leute mit, die einen spannenden Fußballhintergrund haben. Mein SPD-Genosse Michael Schrodi hat tatsächlich mal Regionalliga gespielt. Ich glaube es war Fürstenfeldbruck. Fußball selber spielen hat mich nie so gereizt. Wenn ein Ball rumliegt, dann interessiert es mich, dass ich ihn in die Hand nehmen kann. In diese Richtung bin ich versaut. Vielleicht gründe ich dann den HC Bundestag. Es gibt im deutschen Bundestag ja auch eine Halle.
Hast Du denn sonst noch sportliche Ziele?
Kevin Kühnert: Ich habe eine Lebens-to-do-Liste mit Blick auf Sport-Events. Da stehen natürlich alle großen Sachen drauf. Wimbledon, Riders-Cup oder ähnliches, was ich gerne mal sehen möchte. Ein sehr großer Wunsch ist es auch, mit meinem besten Freund ein paar Tage lang, bei Etappen der Tour de France in so einem Wohnwagen mitzufahren. Wirklich nach Alpe d’Huez am Anstieg einer der vielen weißen Wohnwägen zu sein, wo die Leute den ganzen Tag auf Liegestühle draußen liegen und warten, dass irgendwann 20 Sekunden das Peloton an ihnen vorbeifährt und dann ist der Tag auch schon vorbei. Da habe ich total Bock drauf, so etwas zu machen. Ally Pally, also die Darts-WM in London, solche Sachen müssen einfach irgendwann mal passieren … (OD)
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