Andreas Richter: „Ich erwarte zunächst eine gute Leistung von Sebastian Vettel“.
Andreas Richter ist Live-Moderator, -Kommentator, -Simultandolmetscher und vieles mehr, doch vor allem ist der gebürtige Darmstädter ein echter Motosportenthusiast. Erst als „kleiner“ Fan, dann als Mitarbeiter für verschiedene Rennteams oder Piloten und schließlich in seiner Funktion als Moderator oder Kommentator. Grund genug, mit dem ehemaligen Leistungssportler über den Grand Prix von Monaco zu reden.
Andreas, seit diesem Donnerstag gastiert die Formel 1 im Fürstentum an der Côte d’Azur. Am Sonntag steht der Grand Prix von Monaco an. Dramatische Positionskämpfe und viele Überholmanöver auf der Strecke wird es auch 2021 nicht geben, trotzdem versprüht ausgerechnet das Rennen einen besonderen Charme. Was macht für Dich den Grand Prix von Monaco aus?
Andreas Richter: Seit meiner frühen Kindheit und bis heute unverändert sind meine großen Favoriten im Motorsport die Formel 1, die 500 Meilen von Indianapolis, die IndyCar-Serie insgesamt und die MotoGP. Und dabei habe ich auch seit jeher drei Lieblingsrennen weltweit: Den Großen Preis von Monaco, eben die 500 Meilen von Indianapolis und den Großen Preis von Brasilien der Formel 1 in Interlagos auf der alten, der langen Streckenvariante aus den 1970er Jahren.
Der für mich besondere Charme, den der Grand Prix von Monaco ausmacht ist ganz klar auf die folgenden Umstände zurückzuführen: Es ist ein Straßenrennen in einer sehr kleinen Stadt, angeschmiegt an die Felsen der Côte d’Azur. Es ist einfach ein sehr schöner und attraktiver, auch pittoresker Kursverlauf. Und die Kombination aus Sport, Glanz und Glamour der Welt des Jetsets.
Nach einer Besonderheit in Monte Carlo wurde ich oft von Fernsehzuschauern, aber auch heute noch von Freunden gefragt: Warum findet der erste Trainingstag immer am Donnerstag? Die Antwort liegt in der Geschichte des Großen Preises und banal in der heutigen Verkehrsdichte im Fürstentum begründet. Heißt: Seit dem Jahr 1929 fand das Rennen immer am Sonntag nach Christi Himmelfahrt statt. Und an einem Feiertag war auch in Monte Carlo viel weniger auf den Straßen los, als an einem Werktag. Die Straßensperrungen hatten also weniger Folgen für die Anwohner und Gäste. Irgendwann wurde der Grand Prix dann losgelöst von Christi Himmelfahrt ausgetragen, aber man hat die Donnerstag-Regelung beibehalten, weil der Verkehr immer dichter wurde, und weil auch mangels Platz die Rahmenrennen der Formel 1 in Monaco während des Wochenendes mehrfach zwischen Fahrerlager und Boxen umziehen müssen. Da kommt allen ein freier Trainingstag am Freitag sehr gelegen.
Wie würdest Du den Grand Prix in der heutigen Zeit einordnen, mit Blick auf die heutigen Boliden samt der Technik und Kommandozentralen? Man könnte auch Fragen: Passt das Rennen überhaupt noch in die moderne Formel 1?
Andreas Richter: Ich werde dieses Renne immer lieben, so anachronistisch es auch sein mag. Diese Kritik habe ich immer akzeptiert, sehe die Berechtigung des Rennens dennoch weiter gegeben. Die Formel 1 ist Sport und Show zugleich. Und was passt zu einer weltweiten Show denn besser als dieses glitzernde Monte Carlo beziehungsweise Monaco?
Erwartest Du ein ähnlich elektrisierendes Rennen wie vor rund zwei Wochen, als die Formel E dort gefahren ist? Dramatik bis zur Zielflagge!
Andreas Richter: Ich wünsche es mir in dieser Form wirklich jedes Jahr. Bin aber zurückhaltend, was meine ganze Erwartung für den kommenden Sonntag angeht. Ein Spektakel ist es aber in jedem Fall. Ich war seit 1978 schon des Öfteren live vor Ort: Beruflich ebenso wie privat. Und es ist einfach unbeschreiblich aufregend in den engen Straßen einer solchen Stadt Rennwagen mit teilweise über 300 km/h fahren zu sehen! Ebenso faszinierend wie verrückt.
Die Saison 2021 macht mir mehr Spaß als die letzten Jahre. Lewis Hamilton und Mercedes haben in Max Verstappen und Red Bull endlich wieder einen Kontrahenten auf Augenhöhe. Wer ist für Dich der Favorit am Sonntag und wie glaubst Du verläuft die restliche Saison zwischen den zwei Mannschaften?
Andreas Richter: Ich erwarte zunächst eine sehr gute Leistung von Sebastian Vettel in seinem Aston Martin. Nicht gleich einen Sieg, aber erstmals einen Platz in den Top 5. Die ganzen Nachteile seines Wagens, vor allem die Aerodynamik, fallen in Monte Carlo nicht so sehr ins Gewicht.
Zu Lewis Hamilton und Max Verstappen bin ich absolut deiner Meinung: Ein toller Zweikampf dieses Jahr um die Weltmeisterschaft zwischen Beiden! Im Zweifel ist der Mercedes nicht mehr das bessere, aber noch immer das schnellere Auto als der Red Bull. Meine Einschätzung: Verstappen gewinnt in Monaco und Hamilton wird Weltmeister, ebenso Mercedes.
Betrachtet man die aktuelle Formel 1, ist es auch ein Kampf der Generationen. Wir haben die „alten Herren“, mit Lewis Hamilton an der Spitze, und wir haben die „jungen Speedheads“, angeführt von Max Verstappen. Dazwischen sitzt kaum etwas im Cockpit. Was zählt für einen Rennen im Fürstentum mehr: Die jugendliche Unbekümmertheit, oder doch die pure Erfahrung?
Andreas Richter: Ganz klar die pure Erfahrung, das Abwarten-können, das Ruhe-bewahren. Nur ein kleiner Fehler und du bist auf diesem Stadtkurs ausgeschieden. Anders als auf klassischen Rennstrecken mit Auslaufzonen. In der Geschichte von Monaco haben überwiegend Fahrer mit Erfahrung gewonnen, und nicht die jungen Wilden. Das wird so bleiben, Ausnahmen natürlich immer inklusive.
Wem traust Du für diesen Grand Prix von Monaco eine Überraschung zu?
Andreas Richter: Sebastian Vettel wie eben schon beschrieben. Und Lando Norris. Er ist beflügelt von seiner Vertragsverlängerung in einem wieder erstarkten Team.
Einmal aus dem Nähkästchen geplaudert, unter uns. Was für ein persönliches Erlebnis fällt Dir ein, wenn ich Formel 1 und Monaco sage …
Andreas Richter: Mein erstes Live-Erlebnis dort 1978. Mein Vater ist mit mir per Zug hingefahren, ich war knapp 17 Jahre jung. Und ich durfte den Premieren-Sieg meines damaligen Lieblingsfahrers in meinem Lieblingsteam erleben: Der Franzose Patrick Depailler gewann auf Tyrrell-Ford 008 für das Team Tyrrell des ehemaligen dreifachen Weltmeisters Jackie Stewart aus Schottland. Mein großes Idol in meiner Jugend. Übrigens ist das heutige Mercedes-Team das Nachfolge-Team von Tyrrell … Und 20 Jahre später, 1998, hatte ich beruflich eine Begegnung mit einer tollen Kollegin des italienischen Fernsehsender RAI, Carla Consalvi. Sie war eine überaus kompetente F1-Moderatorin und eine sehr charmante Frau. Leider ist sie knapp ein Jahr später in ihrer Heimatstadt Rom bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Das hat mich sehr berührt.
Ich weiß, Dein Herz schlägt aus den unterschiedlichsten Gründen für Williams. Ein anderer Traditionsrennstall aus England ist McLaren. Auch hier drohte der langsame Abstieg ans Ende des Feldes. Überrascht vom Aufwärtstrend?
Andreas Richter: Nein, das habe ich grundsätzlich so erwartet. Ich wünsche mir, dass McLaren wieder dorthin kommt, wo sie waren: Unter die besten drei Formel 1-Teams aller Zeiten, neben Ferrari und Williams beziehungsweise bald Mercedes.
Als Andreas Seidl als Teamchef von Porsche zu den Briten mit neuseeländischen Wurzeln gewechselt ist, war das für mich der entscheidende Schritt nach vorne. Und der Passauer hat genau die richtige Entwicklung eingeleitet. Da hatte Zak Brown klar den richtigen Riecher. Dazu kommen zwei sehr gute Fahrer. Wobei ich Lando Norris als perspektivisch stärkeren Piloten einschätze. Daniel Ricciardo scheint mir immer etwas überschätzt.
Und ich erwarte auch, dass McLaren in Kürze wieder an die erfolgreicheren Jahre beim Indy 500 anknüpft.
Könnte die neue Teamführung auch Williams neu beflügeln?
Andreas Richter: Hier bin ich auch als sehr treuer Williams-Fan seit den 1970ern vorsichtiger. Die Menschen an den Schaltstellen kenne ich noch nicht gut und kann deren Fähigkeiten nicht einschätzen. Ausnahme: Jost Capito. Er ist Kompetenz pur und könnte Ähnliches in Grove bewirken wie Andreas Seidl beim Kiwi-Team.
Zum Abschluss eine Frage, die ich Dir immer schon einmal stellen wollte. Auf www.andreasrichter.tv steht: „Nur mit dem Unmöglichen als Ziel kommt man zum Möglichen“. Was will uns der Künstler mit dem Lebensmotto sagen?
Andreas Richter: Nun, natürlich konnte ich den ehemaligen Schriftsteller und Philosoph aus Spanien nicht persönlich fragen … denn er lebte vor gut 100 Jahren. Auch bin ich überhaupt kein Fachmann auf dem Gebiet der Literatur. Aber ich fand die Philosophie, die dahinter steckt, einfach überzeugend. Und habe sie schon lang, bevor ich diese Formulierung aus seiner Feder entdeckte, für mich so gelebt, privat wie beruflich. (SW)
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