Allan McNish: „Es ist eine unglaubliche Reise“.
Allan McNish war in vielen herkömmlichen Rennserien ein erfolgreicher Rennfahrer, seit drei Jahren ist der 51-jährige Schotte der Teamchef von Audi in der Formel E. In dieser Zeit hat der dreimalige Gesamtsieger von Le Mans einiges erlebt: Höhen und Tiefen! Im Interview spricht der schottische Teamchef über seine Berührungen mit dem E-Motorsport, die besonderen Herausforderungen und seine Zukunftswünsche.
Herr McNish, wie geht es Ihnen in der Pandemie?
Allan McNish: Mir und meiner Familie geht es gut, danke. Aber wie für jeden ist die Situation sehr surreal. Wir unterrichten unsere Kinder zu Hause, unsere 11-jährige Tochter hatte Mathe und es fühlt sich an, als ob wir wieder zur Schule gehen. Die erste Hausaufgabe bestand darin, den Umfang eines Kreises mit Pi zu berechnen; was glücklicherweise irgendwie mit der Fahrhöhe eines Wagens zusammenhängt. Also holten wir einen Reifen auf unsere Außenterrasse und maßen den Radius und die mit einer Umdrehung zurückgelegte Strecke. Abgesehen von diesen Punkten, die im Vergleich zum gesamten Szenario natürlich winzig sind, wird ein Großteil der Zeit hier zu Hause mit der Vorbereitung und dem Warten auf den Moment verbracht.
Das gibt uns Zeit, ein wenig zurückzublicken: Im September 2017 wurden Sie als Teamchef verkündet. Wie war Ihre bisherige Reise?
Allan McNish: Es war eine sehr interessante und intensive Reise, mit vielen Hochs, aber natürlich auch einigen Tiefs. Aber wenn man sich andererseits anschaut, was in dieser Zeitspanne geschehen ist, dann gehört dazu: Mit Audi in die Meisterschaft zu kommen, die Teammeisterschaft zu holen, auf den Gen2-Wagen zu wechseln, den Gen2 EVO und den Gen3 zu konzipieren. Es ist eine Menge Arbeit, aber die ständig wachsende Konkurrenz hält mich und uns alle auch jung und agil.
Verglichen mit dem Job eines Rennfahrers, ist es anspruchsvoller, für ein so großes Team verantwortlich zu sein?
Allan McNish: Ich würde nicht sagen, dass es anspruchsvoller ist, aber auf eine andere Art und Weise anspruchsvoll. Wenn man als Fahrer in einem Rennen wie Le Mans antritt, ist das der ultimative Druck, das kann ich versichern. Auf dem Niveau zu fahren, das ist ein 24/7-Job, und zwar 365 Tage im Jahr. Jetzt, als Teamchef, muss ich nicht so fit sein, und es ist eine etwas andere Intensität, aber man spürt die größere Verantwortung. Jetzt hat man seine beiden Fahrer und muss dann auch immer den Rest des Teams auf der Rennstrecke und zu Hause mit einbeziehen, und dabei muss man ständig versuchen, alle zu pushen und dafür sorgen, dass sich niemand auf den Erfolgen von gestern ausruht.
Ist das der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Jobs?
Allan McNish: Der Hauptunterschiede ist ein anderer: Als junger Fahrer verfolgt man das größtmögliche Ziel für sich. Man hat nur die eine Chance. Als Teamchef muss man nun das gesamte Team betrachten. Und das bedeutet, dass man zwei Fahrer und zwei Chancen hat.
Was war für Sie bisher die größte Herausforderung?
Allan McNish: Das Schwierigste war für mich in gewisser Weise der Schritt aus dem Cockpit. Normalerweise bin ich klar im Kopf: Wenn ich eine Tür schließe, dann ist sie geschlossen und ich gehe direkt weiter. Aber ich muss zugeben, dass man als Rennfahrer für immer ein Rennfahrer bleibt, und man sieht alles instinktiv von dieser Position aus, also war es eine ziemliche Herausforderung, nicht mehr im Cockpit zu sitzen. Wenn ich mir während eines Renntages die Onboard-Aufnahmen ansehe, dann sitze ich quasi mit im Cockpit: Du willst es so sehr kontrollieren, aber du kannst es einfach nicht. Zum Glück haben wir zwei gute Jungs, sodass ich mich ein wenig entspannen kann, wenn das Rennen läuft.
Selbst die Kontrolle zu haben: Ist es das, was Sie am meisten vermissen, seit Sie kein Rennfahrer mehr sind?
Allan McNish: Nein. Was ich am meisten vermisse, ist das Gefühl des Sieges mit dem Podium und dem Champagner. Nicht jedoch wegen des Podiums oder wegen des Champagners, sondern wegen der Reise, die einen dorthin gebracht hat, und wegen des puren Glücks in den Augen aller, wenn man mit eben dieser Trophäe zurückkommen. Glücklicherweise hatten wir dieses Gefühl als Mannschaft seitdem mehrmals. Dieses Gefühl, wenn man mit allen feiert, ist unglaublich. Es spielt keine Rolle, ob als Fahrer oder als Teamchef.
Können Sie sich an Ihre erste Erfahrung mit der Formel E erinnern?
Allan McNish: Ich kann mich definitiv an einen lustigen Moment erinnern, als ich in der dritten Saison mein erstes Rennen als Gast in Hongkong besuchte. Ich habe im Cateringzelt Tee getrunken, fast das gesamte Training verpasst, weil ich die Autos nicht hörte. Von dem Moment an war es einfach, sich an die Formel E zu gewöhnen.
Können Sie einen Moment aus Ihrer Zeit in der Formel E benennen, den Sie nie vergessen werden?
Allan McNish: Jeder würde wahrscheinlich jetzt einen unserer Siege erwarten. Aber für mich ist es ein anderes Ereignis, das einen harten Tag zu etwas Besonderem gemacht hat: Ich werde nie vergessen, wie das gesamte Team nach Daniels Unfall in Mexiko zusammengearbeitet hat. Die Jungs wechselten in absoluter Rekordzeit das Chassis, tauschten die Batterie, gingen zur Technischen Abnahme und haben das Auto dann im Laufen zurück an die Box geschoben, um noch das Parc Fermé einzuhalten. Alles, um das Auto rechtzeitig zum Qualifying für ihren Fahrer bereit zu haben. In diesen Stunden hat jeder eindrucksvoll gesehen, welche Leidenschaft und Hingabe unser Team auszeichnet.
Wie sehen Sie den Weg und den Erfolg der Formel E bisher?
Allan McNish: Es ist eine unglaubliche Reise. Als ich mich im Jahr 2013 aus dem Rennsport zurückzog, wurde ich gefragt, ob ich daran interessiert sei, in der Formel E zu fahren. Abgesehen davon, dass ich meine Entscheidung getroffen hatte, war ich skeptisch, denn ich habe viele neue Meisterschaften kommen und gehen sehen. Aber was ich bisher nicht gesehen hatte, war die Dynamik und die ganze Start-up Mentalität, die diese Jungs hatten. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, wie sie in der Lage sind, mit all den Anforderungen umzugehen, die die Hersteller und Rennen in den Stadtzentren so mit sich bringen, und wie sie das Line-up zusammenstellen. Und man muss immer daran denken: Wir sind keine etablierte Motorsport-Kategorie mit jahrzehntelanger Geschichte, wie einige der anderen, mit denen wir manchmal verglichen werden. Wir sind erst ein Kind, das gerade erst zur Schule geht. Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt. (Audi/SW)
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