Marvin Willoughby: „In negativen Erfahrungen steckt wieder eine Chance“.
Marvin Willoughby ist der Macher der Hamburg Towers. Herzensangelegenheit, ein Begriff, den man so oft einfach daher sagt. Aber für der 43-jährigen Ex-Profi ist die Arbeit im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg wirklich eine Herzensangelegenheit. Im Podcast „Talkin’ Basketball“ nimmt Marvin Willoughby die „sportflash.online“-Reporter mit auf beachtenswerte Zeitreise, von der Vergangenheit bis in die Zukunft!
Marvin, Du verbindest Dein soziales Engagement mit dem Leistungssport. Die Hamburg Towers sitzen genau da, wo Du auch groß geworden bist. Wie war Deine Jugend? Was hat Dich geprägt?
Marvin Willoughby: Ich bin da schon in einer Schublade, die man aus den Hiphop-Videos kennt. Alleinerziehende Mutter, dann gab es in den 70er, 80er Jahren auf der Straße nicht so viele Leute, die so aussahen wie du selbst. Mein Vater kam aus Nigeria, meine Mutter war Deutsche. Ich sah nicht aus wie der typisch Deutsche. Das war auch Challenging in der Jugend. Aber ich habe dadurch auch gelernt, mich durchzusetzen. Das war die Grundausbildung, welche mich für den Sport vorbereitet hat. Ich war bestimmt nicht der technisch beste Spieler, aber ich wollte besser sein als der Nächste. Mein größtes Talent war der Ehrgeiz und der Wille, ganz hart zu arbeiten. Das habe ich aus der Jugend sicher mitgenommen.
In der Jugend hast Du Schach gespielt und Kampfsport betrieben. Welche Sportart hat Dir für Deine Basketballkarriere mehr geholfen? Anders gefragt, was hat Dir Schach und was hat Dir Kampfsport für den Basketball gegeben?
Marvin Willoughby: Schach hat mir Spaß gemacht, aber ich habe nicht jahrelang gespielt. Das hat ja nichts mit physischer Kraft zu tun, sondern man muss seinen Kopf benutzen. Das hat mir schon etwas gebracht. Der Kampfsport hat mir durch das Techniktraining und das Bewegen Körpergefühl gegeben. Aber ich habe auch Fußball gespielt, ich habe alles ausprobiert.
Du sagst, dass Du im Sport alles ausprobiert hast. Wann war der Moment, als Dir klar war, dass Du Basketballer werden möchtest?
Marvin Willoughby: Relativ spät. Ich habe erst mit 13 oder 14 im Klub gespielt. Ich habe angefangen, Basketball zu spielen, als ein Lehrer von uns eine AG angeboten hat und meinte, ich soll es mal versuchen. Ich war sehr früh, sehr groß. Ich habe es eigentlich nur gemacht, weil die Leute mich damit genervt haben, warum ich denn nicht Basketball spielen würde. Daher habe ich es dann ausprobiert. Wir wurden in Hamburg mit der AG sogar Meister, danach hat mich eine Trainerin angesprochen. Eigentlich war ich so gar nicht bereit dazu, in den Stadtteil nebenan zu gehen. Wir waren in Wilhelmsburg irgendwie ganz für uns. Aber es war echt wichtig, dass die Trainerin hartnäckig war. Dadurch habe ich dann im Verein angefangen zu spielen. Ich wurde dann in einem Hamburger Sichtungsturnier ausgewählt, ein Jahr später war ich schon im Sommercamp der Nationalmannschaft für zwei Jahre ältere. Ich habe so schnell so viel Erfolg gehabt und durch den Basketball schnell Bestätigung bekommen. Durch diese Bestätigung bin ich dann dabei geblieben. Ich war sehr schnell infiziert.
Es muss aber irgendetwas gegeben haben, wo Du gemerkt hast, Basketball ist mein Sport, da kann ich auch mehr erreichen?
Marvin Willoughby: Es war wirklich diese Bestätigung. Es war ja etwas Besonders, dass man in der Hamburger Auswahl spielen durfte. Ich hatte viel Ehrgeiz auch besser zu werden und Sachen zu lernen. Ich durfte mit den Älteren spielen, hatte dann einen Coach aus Amerika, der mal ein Camp begleitet hat. Der hat mich total beeindruckt, wie er Fäden auf den Boden gelegt hat und aufgezeigt hat, wie man Passwege spielt. Da habe ich gesehen, dass hinter diese Sportart so viel mehr ist, als den Ball in den Korb zu schmeißen. Es ging dann rapide schnell. Schon mit 16 habe ich meinen ersten Profivertrag unterschrieben, weil ich nach Amerika wollte und ein Bundesligaverein mir einen Vertrag angeboten hat. Ich konnte das gar nicht verstehen. Ich habe einen Vertrag und Geld bekommen, bevor ich mir überhaupt Gedanken darüber machen konnte, dass ich Profi werden möchte.
Das war damals Bayreuth, aber Du bist trotzdem direkt in die USA gegangen. Da warst Du 16 Jahre alt. Wie waren Deine Erfahrungen?
Marvin Willoughby: Als ich mit dem Basketball infiziert wurde, habe ich auch nachts die Spiele von Michael Jordan geschaut. Damals wollte ich unbedingt nach Amerika. Dann kam mit Bayreuth die Möglichkeit zu Stande, die wollten, dass ich irgendwann mal für sie spiele und bezahlten mir den Amerika-Aufenthalt. Als Person hat mich die Zeit total geprägt. Ich habe in „weißen“ sowie in „schwarzen“ Familien gelebt. Da habe ich mich auch selbst als Person gefunden und gelernt, mit mir selbst klar zu kommen. Ich bin dann dort zum jungen Mann geworden.
Du bist in den USA, erlebst dort, was der Sport für eine Bedeutung hat, kannst möglicherweise dort auf dem College eine Karriere starten, träumst davon, ein NBA-Star zu werden. Dann sagt die Mama, dass Du zurück nach Deutschland kommen sollst, um Dein Abitur zu machen?
Marvin Willoughby: Ehrlich gesagt, es war genauso. Meine Mutter hat mir immer sehr viele Freiheiten gelassen. Wir hatten ein offenes, sehr gutes Verhältnis. Es gab zwei, drei Sachen, die sie nicht wollte. Da war es für mich auch richtig, diese Dinge nicht zu machen. Das eine war, dass ich mich nicht tätowieren sollte. Dazu hat sie mir sehr früh klar gemacht, dass ich in dieser Gesellschaft nicht nur genauso gut bin wie ein Bewerber für eine Ausbildung oder für eine Job, sondern dass ich etwas besser sein muss. Deswegen war klar, Abitur muss sein.
Hast Du diese Entscheidung mal bereut?
Marvin Willoughby: Nein, ich habe ganz tolle Jahre in den USA erlebt, konnte mit meinen Freunden Basketball spielen und meinen Lieblingssport zu meinem Beruf machen. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Im allerersten Jahr wieder in Deutschland habe ich schon gedacht, dass ich mal wieder zurück in die USA gehe. Aber ich bereue es auf keinen Fall.
Du hast also dann Abi gemacht. Was waren denn Deine Leistungskurse und welche Abi-Note hast Du?
Marvin Willoughby: Ich hatte Englisch, Biologie, Philosophie und natürlich Sport. Meine offizielle Abi-Note ist 1,0!
Schauen wir mal auf die Zeit in Würzburg. Du mit Jahrgang 1978, Dirk Nowitzki Jahrgang 1978, Robert Garrett Jahrgang 1977, Demond Greene Jahrgang 1979 … das Sinnbild dieser Würzburger Zeit. Was hat Dir das an Kameradschaft, an Freundschaft bis heute gegeben?
Marvin Willoughby: Wir haben immer noch Kontakt. Wo Dirk noch gespielt hat, bin ich einmal im Jahr nach Dallas geflogen und habe ihn besucht. Und alle zusammen haben wir vor einem Jahr für einen guten Zweck online Uno gespielt. Das war schon emotional, dass wir uns alle da wiedergesehen haben. Da ist immer noch eine enge Bindung. Das war damals eine unvergessliche Zeit und für uns alle, eben auch für Dirk, der Anfang.
Wenn man über Deine Karriere spricht, dann muss man auch über Deinen Trainer Holger Geschwindner sprechen. Was hat er Dir vermittelt, was für Dich heute als Mensch und als Basketballfunktionär ganz wichtig ist?
Marvin Willoughby: Es geht ihm darum, dass du deinen Weg gehst und es muss aus dir kommen. Es geht nicht darum, dass er mir sagt, was ich machen muss. So war das auch mit dem Training. Er hat nicht einmal gesagt, dass dann und dann Training ist. Es ging ihm darum, entweder du kommst oder du kommst nicht. Wenn du kommst, ist er da, egal wann. Das war die größte Lektion für mich. Dass es mein Weg ist, das war sicher das Wichtigste, das er mir mitgegeben hat. Er hat mich als Person am meisten geprägt.
Du warst kurze Zeit in Italien und in Frankreich. Warum war es nicht länger?
Marvin Willoughby: Das war diese klassische Geschichte im Basketballsport. Ich hatte damals ganz gut gespielt und wollte den Schritt nach Europa in die italienische Liga wagen. Ich hatte einen ganz tollen Vertrag unterschrieben und war happy. Aber am Ende des Tages war es ein Verein, der nicht in der Lage war, die Rechnungen zu zahlen. Dann habe ich die Kehrseite des Profisports gesehen. Du sitzt dann fest. Auf der einen Seite willst du dein Geld, auf der anderen Seite willst du Basketball spielen. Dann siehst du, wie nach knapp sechs Wochen die Hälfte der Mannschaft ausgetauscht wird. Da habe ich ziemlich gezweifelt und gedacht, dass ich gar nicht Basketball spielen will. Wenn das so läuft, dann will ich das alles nicht. Der Ausweg war dann der Wechsel nach Frankreich nach Pau-Orthez, damals ein Euroleague-Team. Das Geld war mir egal, ich wollte einfach nur spielen. Der Vertrag ging über sechs Wochen, weil ich einen verletzten Spieler ersetzen sollte. Als er gesund war, musste ich wieder weg. Dann bin ich zurück nach Köln, wo es dann zum Unfall kam, der meine Karriere beendete. Alles innerhalb von ein paar Wochen, vom Höhepunkt mit einem tollen Vertrag in Italien bis zum Karriereende.
Helfen Dir diese negativen Erfahrungen, um sich selber auch zu entwickeln?
Marvin Willoughby: Ja, denn in negativen Erfahrungen steckt wieder eine Chance, etwas anderes zu machen. Ich würde wahrscheinlich heute nicht hier sitzen, wenn ich normal bis 32, 33 Basketball gespielt hätte. Diese Zeit, basketballerisch vor dem Nichts zu stehen, zwang mich dazu, mir neue Gedanken zu machen, was ich mit meinem Leben machen soll. Im Endeffekt bin ich froh darüber.
Wann wusstest Du, was Du machen würdest? Bist Du in ein Loch gefallen und hast Orientierung gesucht, oder war es schnell klar, dass Du den Weg gehen willst, den Du jetzt gehst?
Marvin Willoughby: Ich habe immer gesagt, ich werde nie Lehrer und ich werde nie Trainer … und ich bin dann sofort Trainer geworden. In Köln habe ich mit Spielern Individualtraining gemacht und bin vom DBB angesprochen worden, ob ich nicht mit Harald Stein die U16-Nationalmannschaft betreuen möchte. So bin ich dann Trainer gewesen und habe auch meine A-Lizenz gemacht. Ich habe so meine Erfahrungen gemacht, die ich später hier in Hamburg benötigte, um hier zu starten. Ich habe die ersten Basketballprojekte angefangen und relativ schnell gemerkt, dass Basketball mehr bietet als nur den Sport, sondern dieser Teamgedanke, das gesellschaftliche Ding, dass man in eine Gruppe agiert. Es war klar, weil ich auch hier her kam, dass ich mich für junge Leute engagieren möchte, die eine bessere Chance bekommen, in der Gesellschaft klar zu kommen. Das waren die Grundlagen, für das, was ich heute mache. Aber ich wusste damals nicht, dass es eine Bundesligamannschaft wird und dass wir Unterricht in Schulen geben dürfen.
Du verbindest Sozialarbeit mit Leistungssport. In wie weit hat sich der Anteil, was Du machst, von Sozialarbeit hin zum Leistungssport verschoben?
Marvin Willoughby: Diese Frage schmerzt … es hat sich natürlich verschoben. Früher habe ich Kurse und Camps selber gemacht, bin rumgereist. Irgendwann fing es an, dass wir die Chance bekommen haben, Strukturen zu schaffen. Es war kein anderer da, der alles voranbringen konnte. Es musste dann ich sein. Einerseits ist das cool und man kann sich feiern, weil man der Chef ist, andererseits bringt mir am meisten Spaß, mit einem 16-jährigen Jungen in der Halle zu stehen, sein Feuer in den Augen zu sehen und ihm zu zeigen, wie er seine Technik verbessern kann, der den Hunger hat, Profi zu werden. Das ist sicherlich besser als mit irgendwelchen Menschen im Bauamt zu sitzen.
Warst Du zu der Zeit als Du noch selber in der Halle stehen konntest ein glücklicherer Mensch als Du es jetzt bist?
Marvin Willoughby: Jetzt kommen aber die harten Fragen … jetzt feiern wir hier in dieser Saison Erfolge. Das ist schon toll. Aber ein Philosoph hat mal gesagt: „More success, more Problems“. Das Leben damals mit der U16 war schon simpler und man war so glücklich darüber. Ismet Akpinar ist ein Spieler, der damals dabei war und jetzt Erfolg hat. Das zu sehen, wie der sich entwickelt hat und zu sehen, dass dieser Typ es schaffen wird. Er ist der Point Guard der Nationalmannschaft. Das hat mich immer sehr glücklich gemacht, die Jungs zu sehen. Und jetzt bin ich auch sehr glücklich, habe aber sehr viel Stress.
Wie ist denn Dein Leben als Funktionär?
Marvin Willoughby: Ich komme gut durch den Alltag, weil ich ein Mensch bin, wenn er mit jemanden zu tun hat, der nicht unbedingt darauf guckt, was die Punkte sind, die nicht zu mir passen, sondern es wird etwas geben, auf was ich mich einlassen kann. Ich bin so aufgestellt, dass ich mit jeder Person ein Thema finde. Es gab in der Geschäftswelt natürlich Situationen, wo ich mit Menschen im Raum war, wo ich mich nicht wohlgefühlt habe oder wo ich wusste, dass die es nicht so cool fanden, dass ich da war. Da bin ich aber zu ehrgeizig, dass ich mich dadurch von dem Weg abbringen lasse. Ich akzeptiere es, dass ich nicht jeden toll finde, mit dem ich den ganzen Tag zu tun habe oder mit dem ich nicht bester Freund bin. Ich habe aber ein ganz tolles Team von Leuten um mich rum, von Menschen, die mit mir zusammen arbeiten. Da haben wir schon sehr darauf geachtet, dass es auch Menschen sind, die mit uns in dieser Gruppe sein wollen.
Wenn man Erfolg hat, dann weckt man auch Begehrlichkeiten. Bist Du jemand, der offen ist für Angebote oder bist Du jemand, der erst mal weiter in Hamburg sein Ding macht und sich für andere Dinge momentan nicht interessiert?
Marvin Willoughby: Es ist in den letzten Jahren schon mal passiert, dass man gefragt wurde, ob man nicht mal etwas anderes machen möchte. Das kam für mich bisher nicht in Frage. Es ist ja hier nicht nur mein Beruf. Es ist mehr eine Berufung als ein Beruf. Ich sehe da schon mehr und nicht als Arbeit. Ich mache das gerne.
Reden wir über Spieler. Ihr habt es geschafft mit Maik Kotsar zu verlängern. Das war sicher nicht einfach. Jetzt gibt es Diskussionen über Kameron Taylor. Nicht nur Du weckst Begehrlichkeiten, sondern auch Deine Spieler …
Marvin Willoughby: Generell ist es so, dass wir her etwas aufgebaut haben. Wir sind aufgestiegen und spielen jetzt eine gute Saison. Ähnlich wie Crailsheim vor gut zwei Jahren. Wir spielen eine bessere Saison als viele erwartet haben und das ist schon ein Problem. Es wird schwierig, das im nächsten Jahr genauso zu machen. Wir haben die Spieler nicht, weil wir sie so gut bezahlen. Wir haben zum Glück eine gute Auswahl getroffen. Der Wert der Spieler wächst. Aber wir können ja nicht das doppelte Gehalt zahlen, und gar nicht in diesen Zeiten. Wir sind noch nicht auf dem Niveau, dass wir regelmäßig da oben sind und haben noch nicht die Infrastruktur und die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Wir sind ein Team, das völlig überperformt. Das im nächsten Jahr zu wiederholen ist das viel größere Kunststück. Ich bin froh, dass es mit Maik Kotsar so geklappt hat. Wir versuchen den Kern der Mannschaft zusammen zu halten. Ob es uns gelingen wird, werden wir sehen. Die Aufgabe für Coach Pedro Calles und für mich ist riesig. Wir wollen uns so hoch wie nur möglich etablieren. Das heißt jetzt nicht, dass wir jedes Jahr Meister werden wollen. Dazu wäre es nötig, Leute wie Maik Kotsar, Kameron Taylor, T.J. Shorts, diese Spieler, die eine Riesensaison spielen, zu halten und den nächsten Maik Kotsar nächstes Jahr zu finden. Um konkret zu werden, Kam Taylor ist ein klasse Spieler und ich wünsche ihm, dass er nächstes Jahr in einem europäischem Wettbewerb spielt, am besten sogar im höchsten europäischem Wettbewerb. Er hat ein paar Argumente für sich, dass er das schaffen kann. Wir werden nächstes Jahr nicht in der Euroleague spielen, deswegen können wir nicht davon ausgehen, dass er bei uns spielt.
Wie verbringst Du generell die Zeit, wenn Du nicht für die Hamburger Towers unterwegs bist?
Marvin Willoughby: Ich bin dann auch jemand, der sich gerne auch mal nicht mit Basketball beschäftigt. Ich muss aber auch ehrlich sagen, ich bin gerne sehr faul, schalte gerne ab und will dann auch gar nichts machen… (SK/OD)
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