Susie und Toto Wolff: „So wie vorher wird es nicht wieder sein“.
Susie und Toto Wolff, beide bekannte Persönlichkeiten des Motorsports, wissen, was es gerade in schwierigen Zeiten bedeutet, den Job fokussiert und entschlossen weiterzuführen. Als Paar, das zudem in der gleichen Branche beschäftigt ist, teilen die gebürtige Schottin und der gebürtige Österreicher einige Erfahrungen und ihre Vorstellung von Erfolg: Nimm dich zusammen und lerne aus deinen Schwächen!
Susie, Sie waren eine erfolgreiche Rennfahrerin in verschiedenen Rennserien; jetzt sind Sie Teamchefin in der Formel E und kümmern sich um alle Fragen des Managements. Wie hat Sie denn Ihre Karriere als Rennfahrerin auf diese Führungsrolle vorbereitet?
Susie Wolff: Ich habe den Großteil meines Lebens im Motorsport verbracht, damit kenne ich mich aus und hier habe ich natürlich auch mein Netzwerk. Als Fahrerin bist du jedoch die meiste Zeit auf dich allein gestellt und einzig und allein für die eigene Performance verantwortlich. Im Management dagegen sind ganz andere Fähigkeiten gefragt, weil du für die Leistung des gesamten Teams verantwortlich bist. Durch meinen beruflichen Hintergrund als Rennfahrerin kenne ich beide Seiten und weiß genau, womit es die Fahrer zu tun haben, ich habe das schließlich alles selbst erlebt. Ich war in der glücklichen Position, meinen Mann in den vergangenen Jahren dabei beobachten zu können, wie er einen Formel 1-Rennstall erfolgreich managt. Das hat mir ein grundlegendes Verständnis gegeben, was es bedeutet, ein erfolgreiches Team aufzubauen. Als ich die Aufgabe dann aber selbst übernahm, musste ich noch viel lernen! Als ein Mensch, der sich selbst gerne aus der eigenen Komfortzone herausbewegt, habe ich die Herausforderung tatsächlich genossen.
Toto, bevor Sie zum Motorsport kamen, haben Sie in der Finanzbranche als Investor gearbeitet. Welche Ihrer persönlichen Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach am nützlichsten, wenn es darum geht, mit der gleichzeitigen Belastung durch so viele verschiedene Anforderungen umzugehen?
Toto Wolff: In meinem Berufsleben innerhalb der Finanzbranche war ich etwa für die Zusammenstellung kompetenter Teams verantwortlich … was bedeutet, fähige Mitarbeiter zu finden. Die damit verbundenen Erfahrungen helfen mir enorm bei der Zusammensetzung einer leistungsorientierten Organisation, wie einem F1-Team. Was den Umgang mit der Vielzahl von Aufgaben betrifft, geht es nur darum, sich klarzumachen, welchen Beitrag man selbst am besten leisten kann, dabei den Fokus auf die eigenen Stärken zu richten, für die persönlich schwächeren Bereiche geeignete Unterstützung zu suchen.
Was erwarten Sie von den Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Toto Wolff: Sie sollten sich an Veränderungen anpassen können. Das ist definitiv einer der zentralen Faktoren für den Erfolg eines Teams. Denn wie beim Prinzip des Darwinismus geht es nicht um das Überleben des Stärksten, sondern allein nur des Anpassungsfähigsten. Plötzlich ändert sich das Umfeld, wir müssen uns mit einer Krise auseinandersetzen. Wir werden also zum Umdenken gezwungen, müssen uns etwas Neues einfallen lassen und uns auf die veränderte Situation einstellen. Das meiste lernen wir an unseren schwersten Tagen. Wenn man in der Lage ist, ein Problem zu analysieren, ohne die Schuld bei einer Person zu suchen, sondern beim Problem selbst, kann deine Organisation sogar aus einer schmerzlichen Erfahrung gestärkt hervorgehen.
Susie Wolff: Im Automobilrennsport liegt uns allen der Wettkampf im Blut. Es ist die Härte des Sports im Allgemeinen: Am Ende kann immer nur einer gewinnen. Mit dem Formel E-Team kämpfen wir noch nicht um Podiumsplätze, deshalb müssen wir gerade in schwierigen Momenten stark bleiben, denn da lernen wir am meisten. In unserer Situation haben wir mit Niederlagen zu kämpfen, und es gilt, was Toto sagte: So schmerzlich solche Tage sein mögen, letztendlich sind diejenigen am erfolgreichsten, die aus den Niederlagen lernen, sich folglich am schnellsten wieder aufraffen und einfach weitermachen.
Und worauf kommt es beim Thema Führung für Sie an?
Toto Wolff: Dieses Wort mag ich überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, dass in einer erfolgreichen Organisation jeder Verantwortung tragen, Entscheidungen treffen und dann dafür geradestehen muss. Daher gibt es nie die eine Führungskraft, sondern eine ganze Menge davon! Wir haben in unserem Team einige grundlegende Werte aufgestellt, als ich dazukam. Es dauerte seine Zeit, aber sie sind zu dem zentralen Leistungskennzeichen bei Mercedes geworden. Es geht im Wesentlichen um die richtige Haltung. Wir haben alle absolut die gleiche Einstellung, was Loyalität und Transparenz hinsichtlich unserer Handlungen betrifft. Wir sind jederzeit aufrichtig, stärken uns gegenseitig und fördern eine Kultur, in der niemand an den Pranger gestellt wird. Wer als Organisation erfolgreich sein will, muss diese Werte tatsächlich verinnerlichen, sie jeden Tag leben, darf sie nicht nur als Chart an die Wand werfen.
Dennoch, irgendjemand muss doch in dem ganzen Betrieb den Hut aufhaben. Ausgehend von Ihren persönlichen Erfahrungen; welche Fähigkeiten muss eine Führungspersönlichkeit unbedingt mitbringen?
Toto Wolff: Empathie. Interesse für die Menschen, mit denen man arbeitet und ein Verständnis für deren individuelle Stärken und Schwächen. Sie muss eigenständiges Arbeiten fördern und vertrauen können.
Susie Wolff: Eines der vielen Dinge, die ich von Toto gelernt habe, ist, dass man als Führungspersönlichkeit authentisch sein muss, jederzeit. Mein Mann und ich haben ganz unterschiedliche Charaktere, ich werde nie so führen wie er. Aber ich folge seinem Beispiel, wenn es darum geht, mir selbst treu zu bleiben. Für Totos Führungserfolg sprechen ja ganz offensichtlich die Ergebnisse von Mercedes in der Formel 1. Und das ist das Großartige am Sport: Wenn du deine Führungsaufgabe gut machst, hat dein Team Erfolg. Da bleibt kein Raum für Missverständnisse, weil du im Sport nur so gut bist wie deine Leistung.
Wie wichtig, Susie, sind Ihrer Meinung nach Frauen-Netzwerke wie etwa She’s Mercedes, wenn es um den Austausch von Erfahrungen und die Entwicklung von Führungsqualitäten geht?
Susie Wolff: Dank She’s Mercedes habe ich eine große Menge Frauen aus den verschiedensten Bereichen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen kennengelernt, und ich konnte bei jeder Begegnung etwas lernen. Ich habe die Veranstaltungen von She’s Mercedes immer mit einem Gefühl besonderer Motivation und Inspiration verlassen. Der Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen kommt uns allen zugute. Ich bin überzeugt davon, dass wir auch die nächste Generation inspirieren und stärken sollten. Es gibt da draußen eine Vielzahl an Möglichkeiten für Frauen, gerade im Motorsport. Dort gibt es eine Menge talentierter Frauen, die Großartiges leisten, sie stehen nur nicht so im Rampenlicht. Ich habe mich als Frau in diesem Umfeld noch nie benachteiligt gefühlt! Worauf es aber im Zusammenhang mit She’s Mercedes meiner Meinung nach ankommt, ist die Tatsache, dass das Unternehmen erkannt hat, wie wichtig es ist, der weiblichen Stimme zuzuhören, nicht zuletzt, weil wir auch eine gewisse Kaufkraft haben.
Wie gehen Sie als Führungskräfte mit der aktuellen Situation rund um COVID-19 und mit den möglichen Auswirkungen auf Ihre Teams um? Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Toto Wolff: COVID-19 ist eine globale Herausforderung und betrifft uns ebenso wie jedes andere Unternehmen auf der Welt. Niemand war darauf eingestellt und wenn uns vor Monaten jemand gesagt hätte, dass wir einen Lockdown erleben würden und die ganze Branche fast vollständig zum Erliegen kommt, wir hätten es nicht geglaubt. Um damit klarzukommen, müssen wir jetzt die neuen Regeln akzeptieren und uns darauf einstellen. Denn wie ich bereits sagte, geht es nicht ums Überleben des Stärksten, sondern des Anpassungsfähigsten. Es ist gar nicht so leicht, dafür zu sorgen, dass alle strukturiert und motiviert bleiben, denn die Umstände betreffen nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Privatleben.
Susie Wolff: Aufgrund der Situation rund um COVID-19 hatten wir die Möglichkeit, innezuhalten. Wir konnten analysieren, wo wir als Organisation aktuell standen, und konnten in einigen Bereichen neu starten. Weil Reisen zu unserem Firmensitz in Monaco momentan nicht möglich sind, haben wir unsere Arbeit mithilfe technischer Unterstützung neu organisiert. Das hat mich davon überzeugt, dass wir tatsächlich anders, sogar effizienter, arbeiten und dabei Beruf und Familie besser miteinander in Einklang bringen können, auch dann, wenn wir wieder reisen dürfen. Bis zum Lockdown bin ich wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die anderswo arbeiten, ständig zu Meetings nach Monaco gereist. Einige unserer wichtigsten Mitarbeiter waren bereits an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, dabei hatten wir das Ende der Saison noch gar erreicht. Wir kehren garantiert nicht zur alten Normalität zurück.
Das Leben als verheiratetes Paar, Ihre Kinder und der Beruf … wie schaffen Sie das alles?
Susie Wolff: Die Familie muss Zugeständnisse machen, damit wir unsere Arbeit machen können. Der gewaltige Erfolg von Mercedes in der Formel 1 in all diesen Jahren hat dazu geführt, dass Toto seine Familie immer seltener sah. Wir haben diese Entscheidung alle unterstützt und sind unheimlich stolz darauf, was er erreicht hat. Aber dafür musste jeder Einzelne auch Zugeständnisse machen. Und deshalb genießen wir die gemeinsame Zeit, wenn sich tatsächlich einmal die ganze Familie trifft, für uns ist Qualität wichtiger als Quantität. Ich hatte das Glück, als junge Mutter nicht in das Berufsleben zurückkehren zu müssen, allerdings ist mir klar geworden, dass ich die berufliche Herausforderung brauchte. Ich war in meiner gesamten Karriere ausgesprochen zielorientiert und mir hat, plötzlich ohne ein berufliches Ziel vor Augen, einfach etwas gefehlt. Daher habe ich mich dazu entschieden, wieder zu arbeiten. Ich bin unheimlich froh, dass ich so viel Unterstützung erhalte und auch Eltern habe, die bereit sind einzuspringen. Dadurch kann ich der Arbeit nachgehen, die ich liebe. Ich bin überzeugt davon, dass die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, den ich mag, mich zu einer besseren Mutter macht. Das heißt aber auch, dass entsprechende Unterstützung vorhanden sein muss und alle Beteiligten gewisse Opfer bringen müssen, damit wir unserer Leidenschaft nachgehen und in unseren Jobs erfolgreich sein können.
Haben Sie während der COVID-19 Ausnahmesituation etwas gemeinsam erlebt oder erfahren, dass Sie zuvor nicht kannten, weil beispielsweise keine Zeit dafür war?
Susie Wolff: Zuvor hatten wir immer einen ganz eng getakteten Terminplan, jetzt können wir gemeinsam einen Spaziergang machen und sorgen uns nicht darum, wann wir wieder zu Hause sein müssen. Toto geht in den Supermarkt einkaufen, ich kann mich nicht erinnern, wann dies vorher das letzte Mal der Fall gewesen ist. Außerdem kocht er oder badet abends unseren Sohn. Diese Zeit hat uns dazu gebracht, die kleinen Dinge im Leben wieder mehr zu schätzen, uns daran erinnert, wie wichtig es ist, auch als Paar Zeiten miteinander zu verbringen.
Toto Wolff: Das stimmt! Ich konnte Zeit mit unserem dreijährigen Sohn verbringen, den ich nicht so oft sehe, sobald der normale F1-Betrieb wieder aufgenommen wird. Außerdem hatten Susie und ich viel mehr gemeinsame Zeit. In den letzten Jahren waren wir ständig unterwegs, Susie mit der Formel E und ich mit der Formel 1. Jetzt haben wir festgestellt, dass wir außer zwei kleinen Unterbrechungen tatsächlich ganze fünf Monate gemeinsam verbracht haben. Fünf Monate lang waren wir jeden Tag zusammen, und unsere Beziehung ist stärker als je zuvor! (Daimler/SW)