Thomas Füßler: „Klar, leere Stadien, das war hier die einzige Lösung“.
Was sind Sportveranstaltungen ohne die dazugehörigen Bilder? Ohne Fotos, auf denen man die ganze Faszination des Sports entdecken kann! Verantwortlich für das Ablichten von Emotionen, Protagonisten sowie der Sportarten sind zahlreiche Sportfotografen. Einer ist Thomas Füßler. Die Freude auf die neue Motorsportsaison vermischt sich in dieser Zeit mit den Sorgen rundum die Pandemie.
Thomas, wie bist Du als Sportfotograf durch die ganze Pandemie gekommen? Hattest Du noch genügend Aufträge?
Thomas Füßler: Im Grunde ist die Pandemie eine Katastrophe für uns alle. Mitte März 2020 brach plötzlich das gesamte Auftragsgefüge zusammen. Bis hinunter in die unteren Spielklassen. Dann gab es ja Kollegen, die hatten sich auf die Fußball-Europameisterschaft vorbereitet. Oder auf Olympia. Die sind teilweise für Flug- und Hotelkosten in Vorlage gegangen und ich weiß nicht, wieviel Geld sie dabei verloren haben. Ohne anderswo Einnahmen generieren zu können. Einige von uns hatten Glück, als die Saison im Fußball fortgesetzt werden konnte. Über eine solidarische Poollösung, bei der zuerst ein einzelner Kollege den Rest der Berufsfotografen mit Bildmaterial aus den Stadien versorgt hat, konnten wenigstens wieder ein paar Einkünfte generiert werden. Dann wurden nach und nach mehr Fotografen in den Stadien zugelassen. Mir fällt aber auf, dass man einige Gesichter, die man sonst wöchentlich gesehen hat, nicht mehr sieht. Weil sie wohl aufgegeben haben.
Was hat sich durch diese Pandemie alles in Deiner Arbeit geändert? Durch die fehlenden Zuschauer musst Du ja auch auf viele Motive verzichten.
Thomas Füßler: Fußball ohne Fans ist so, als würde Metallica im ausverkauften Stadion nur unplugged auftreten. Auf Dauer ist das unerträglich. Im Fußball fehlen die Gesänge der Fans, ihr Jubel, ihre Leidenschaft, was sich schlussendlich auch auf die Spieler und die Trainerbank überträgt. Klar, leere Stadien, das war hier die einzige Lösung. Aber seitdem schaue ich privat im Fernsehen kaum noch Fußball. Es fehlt die Musik zur Kunst. Was haben wir an schönen Szenen verpasst, die es in einem vollen Stadion in Kiel zu sehen gegeben hätte, als Holstein die Bayern aus dem DFB-Pokal geworfen hat. Nur ein Beispiel aus meinem Berufsleben: Als der 1. FC Kaiserslautern 2018 zum Abstieg sein vorerst letztes Spiel in der 2. Liga hatte, habe ich einen Fan fotografiert, dem nach Abpfiff richtig die Tränen übers Gesicht geflossen sind. Es hat förmlich weh getan, dieses Motiv zu fotografieren. Das Foto wurde aber oft gedruckt. Diese Bilder fehlen. Im Guten, wie im Schlechten.
Was war für Dich das einschneidendste Erlebnis in dieser Pandemie?
Thomas Füßler: Ich hoffe, das kommt noch. Das ist der Moment, indem sich die Stadien wieder für alle Fans öffnen und ich dann zum ersten Mal wieder eine volle Westtribüne in Kaiserslautern erlebe, von der der Fangesang zu „You’ll never walk alone“ erklingt. Ich bin mir sicher, da werde ich mit Tränen kämpfen. Und verlieren.
Mal ein Blick in die Vergangenheit. Was und wo war Dein erster Einsatz als Sportfotograf? An was erinnerst Du Dich da besonders gern?
Thomas Füßler: 1991 durfte ich im Auftrag eines Darmstädter Stadtmagazins ein Rennen der DTM in Hockenheim fotografieren. Ich hatte mich in den Jahren zuvor immer wieder in die Boxengassen oder an die Strecken geschlichen. Nun durfte ich mich da endlich offiziell aufhalten. Alleine das war schon ein Wahnsinn. Dann hat Ellen Lohr den 1. Lauf dort gewonnen. Das war historisch und ist bis heute keiner Frau mehr gelungen. So etwas ist unvergesslich. Und im Fußball war es sicher der Klassenerhalt des 1. FC Kaiserslautern 2008. Als man im entscheidenden letzten Spiel gegen den schon aufgestiegenen 1. FC Köln gewinnen konnte und die Fans danach das Stadion fluteten. Ich habe damals mit meinem Tele-Objektiv freihändig über dem Kopf ein Foto gemacht, das zeigt, wie die Fans damals Milan Sasic auf den Schultern durch das Stadion tragen.
Was war Dein tollstes Erlebnis in Deiner Zeit als Sportfotograf?
Thomas Füßler: Boah, das ist schwer. Über Kaiserslautern haben wir ja schon gesprochen. Da gab es so viel. Persönlich würde ich mich spontan für den ersten Sieg von Timo Bernhard in der FIA WEC am Nürburgring im Jahr 2015 entscheiden. Ich habe den Saarländer schon 1999 kennengelernt. Da hatte er noch nicht einmal den Porsche Carrera Cup gewonnen. 2014 kehrte Porsche in den ganz großen Motorsport und mit einem Sportwagen nach Le Mans zurück. Fachleute streiten sich bis heute, ob die WEC damals mit Audi, Toyota und Porsche in der LMP1-Klasse nicht drauf und dran war, der Formel 1 den Rang als Königsklasse des Motorsports streitig zu machen. Weil Audi und Porsche sich bis aufs Messer bekämpften. Teilweise in Rad an Rad Duellen nach fünfeinhalb Stunden Rennzeit. Und dann gewinnt der Junge, den man so lange kennt, mit Mark Webber und Brendon Hartley endlich seinen ersten Weltmeisterschaftslauf. Und ich bin dabei. Auf dem Weg zur Siegerehrung damals haben wir uns abgeklatscht. Timo wurde in diesem Jahr auch Weltmeister. Da schloss sich ein Kreis für mich.
Was macht ein guter Sportfotograf aus?
Thomas Füßler: Im Motorsport muss man heute einen Riecher und ein Verständnis für Motive haben, die einst nie von Redaktionen akzeptiert worden wären. Früher mussten Autos gestochen scharf sein. Die Räder am Auto standen bleiern still. Heute versuche ich, Geschwindigkeit im Bild einzufrieren. Bis in das Extrem hinein. Auch der Blickwinkel ist wichtig. Das klassische Foto, Fahrer in der Mitte zum Portrait, das ist tot. Es ist heute sehr schwer, sich von der Masse abzuheben. Da draußen fotografieren so viele fabelhafte Kollegen. Deren ganze Ergebnisse sind Inspiration und Ansporn, es selbst anders, besser oder wenigstens genauso gut zu machen. Man sollte dabei aber seinen eigenen Stil finden. Im Fußball ist natürlich das Gespür dafür wichtig, wie der Ball läuft, wer das Tor gleich schießt. Und dann geht es um die pure Emotion im Drumherum. Die wegen der Pandemie eben fehlt.
Wie schwierig ist es für Deine Branche in der heutigen Welt der Smartphones? Jeder Zuschauer bei den Events fotografiert.
Thomas Füßler: Im Sport sind die Smartphones heute Gott sei Dank noch wertlos. Diese fiesen kleinen Dinger können leider recht viel und ich gestehe, dass das eine oder andere von mir gedruckte Foto auch mit einem Smartphone entstanden ist. Weil es in dem Moment nicht anders ging. Aber in Sachen Sport sind Smartphones zum Glück noch wertlos, wenn es um das gute Foto geht. Bei Bewegtbildern sieht das natürlich schon wieder anders aus.
Du bist ja öfter auf dem Betzenberg bei Heimspielen des 1. FC Kaiserslautern. Wie nimmst Du als indirekter Beteiligter die Krise beim Traditionsklub wahr?
Thomas Füßler: Diese Krise ist unerträglich. Die Ränkespiele, das Gezeter, die Streitigkeiten, die unter den Leuten aufkeimten, die alle nur das Beste für den Verein wollen, sind abstoßend und der Sache unwürdig. Was da in den letzten Jahren passiert ist, ist für mich völlig unverständlich. Ich versuche, die Fan-Seele zu Hause zu lassen, wenn ich dort arbeiten gehe. Das ist aber ganz schön schwer. Meine ganz persönliche Empfehlung wäre: Vergesst Fritz Walter. Zumindest nur eine Zeit lang. Das, was dieser großartige Mensch nach dem II. Weltkrieg für den deutschen Fußball und den FCK geleistet hat, ist eine Last für die Truppe, die im Moment gegen den Abstieg in die Regionalliga kämpft. Dem Erbe von Fritz Walter kann der FCK in einer 3. Liga nicht gerecht werden. Die Jungs müssen von dieser Last befreit werden, sich wie ein gewöhnlicher Drittligist verstehen und Gas geben. Ich denke, dann geht vieles leichter. Wobei: Marco Antwerpen gefällt mir als neuer Trainer und als Typ. Er hat sich in den ersten Spielen vom Schiri gleich mal zwei gelbe Karten abgeholt, weil er für seine Jungs und den Verein brennt. So geht das. Und was er mit den Jungs bisher angestellt hat, ringt mir Respekt ab.
Wie kommt Deine besondere Affinität zum Motorsport? Was war hier Dein besonderes Highlight? Was fasziniert Dich am Motorsport?
Thomas Füßler: 1974 hat mich mein Vater zum Jim-Clark-Rennen in Hockenheim mitgenommen. Das war ein Rennen um die Formel 2 Europameisterschaft, vor etwa 80.000 Leuten. Da fuhren gestandene Formel 1 Piloten mitten im Nachwuchs. So, als wäre Mick Schumacher in der heutigen Formel 2 ab und an auch gegen Charles Leclerc und Max Verstappen als Gastfahrer angetreten. Damals gab es dazu noch das allererste Rennen zum Renault 5 Pokal. Die Autos hatte mit Harald Grohs ein Profi für alle anderen Fahrer abgestimmt. Die Amateure im Feld waren aber mit dem Handling überfordert. Das halbe Feld hat sich damals überschlagen. Die R 5 sind in den Kurven einfach umgekippt. Auch im Motodrom. Wie findet das ein 9-jähriger wohl? Im selben Jahr war ich am Nürburgring zum ersten Mal bei der Formel 1. 1976 wurde ich dort Zeitzeuge des Unfalles von Niki Lauda. Den Unfall selbst habe zwar ich nicht gesehen. Aber das Wrack schon. Es ist unmöglich, aus den ganzen Jahrzehnten ein Highlight zu wählen. Ich entscheide mich für die 24 Stunden von Le Mans, wo man über eine Woche Zeit unter seinesgleichen verbringt. Ich liebe diese alten Wildbahnen, die gar nicht mit den sterilen neuen Rennstrecken von heute vergleichbar sind. In Spa-Franchorchamps, in der Senke von Eau Rouge, spürst Du sogar den Luftdruck der Formel 1 Autos, die mit 300 Sachen an Dir vorbeifliegen. Während du fotografierst. Für mich gibt es wenig Schöneres.
Wen hattest Du diesbezüglich schon so alles vor Deiner „Linse“? Und wen möchtest Du unbedingt noch mal fotografieren?
Thomas Füßler: Da ich schon lange im Motorsport aktiv bin, Fußball kam erst später dazu, habe ich eigentlich alle vor der Linse gehabt, die es in Europa und in diesen Jahrzehnten zu fotografieren gab. Nur die Formel 1 war ein recht schwieriges Thema. Wegen Michael Schumacher damals. Da wollten einfach zu viele Medien hin. Drei Lieblinge suche ich mir aus. Zuerst Ayrton Senna. Sein Tod tut mir bis heute weh. Senna galt unter manchen als im Umgang schwierig. Als unnahbar. Das war er aber nicht. Man musste ihm nur den Raum geben, den er für sich als Mensch beanspruchte. Wenn man sich respektvoll vorantastete, konnte es vorkommen, dass er dich zu sich rief und lächelte. Ich war 2001 am Lausitzring, als Alex Zanardi bei diesem fürchterlichen Champcar-Unfall seine Unterbeine verloren hat. Er war dem Tode näher, als dem Leben. Nur zwei Jahre später fährt er als Beinamputierter die letzten 13 Runden seines Rennens von damals in einem Champcar zu Ende. Über die Streckenbeschallung lief dazu „Heroes“ von David Bowie. Seine schnellste Zeit hätte für einen Startplatz unter den Top 10 im nachfolgenden Rennen gereicht. Das war Gänsehaut pur. Ich durfte Alex ein Jahr später sogar interviewen. Er ist ein grandioser Mensch. Er hat mir damals Sätze gesagt, die mir Gold wert wurden, als ich mich selbst in einer problematischen Situation befand. Wenn ich an die Fahrer von heute denke, würde ich mir eine ausführliche Reportage mit Sebastian Vettel wünschen. Er ist locker, offen, zugänglich. Wenn er donnerstags an die Strecken kommt, nimmt er sich viel Zeit für Freunde und Fans. Auf Seb hätte ich richtig Bock. Und im Fußball würde ich mir noch die Rückkehr der Lauterer in die Bundesliga wünschen. Aber das wird wohl noch einige Jahre dauern.
Die neue Formel1-Saison steht in den Startlöchern. Wer kann Lewis Hamilton im Mercedes denn überhaupt noch gefährden? Was wird Sebastian Vettel mit seinem neuen Rennstall erreichen können?
Thomas Füßler: 2020 habe ich auf Max Verstappen als Weltmeister gesetzt. Das war dann aber nix. Ich denke, Lewis Hamilton wird 2021 die achte Weltmeisterschaft einfahren und dann schauen, ob er noch Lust hat, weiterzumachen. Valtteri Bottas ist einfach nicht konstant genug, um Lewis mit dem gleichen Auto zu besiegen. Natürlich wird Max Verstappen wieder Rennen gewinnen. Vielleicht auch Sebastian. Es gab schon zuvor Fahrer, die man abgeschrieben hatte, wie Vettel. Nelson Piquet hatte als dreifacher Weltmeister bei Lotus in zwei Jahren kein Rennen gewonnen und machte danach Benetton zum Siegerteam. Damon Hill wurde als Weltmeister bei Williams gefeuert und fuhr bei Arrows in fast allen Rennen hinterher. Er machte danach Jordan siegfähig. Das Gleiche traue ich Vettel bei Aston Martin zu.
Wirst Du an einer der Formel 1-Rennstrecken Deine Kamera zücken?
Thomas Füßler: Das steht in den Sternen. Die Formel 1 hat ein ausgeklügeltes Hygienekonzept und lässt derzeit nur sehr wenige Journalisten zu. Und die mussten sich an den Rennwochenenden im Vorjahr je sechs COVID-Tests pro Wochenende unterziehen. Kostenpunkt: 900 Euro. Ich persönlich plane mit den Rennen in Spa-Franchorchamps und Zandvoort im Spätsommer. Ich hoffe sehr, dass das klappt.
Was ist in der Zukunft noch Dein größter beruflicher Wunsch?
Thomas Füßler: Es gibt eine Triple Crown des Motorsports. Die gewinnst Du, wenn Du es schaffst, den Grand Prix von Monaco, die 500 Meilen von Indianapolis und die 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen. Das hat bis heute allein nur Graham Hill geschafft. Und ich habe bisher nur in Le Mans „gewonnen“. Die beiden anderen Rennen habe ich noch nicht fotografiert. Generell würde ich mich freuen, wenn sich die Gelegenheit ergibt, wieder mehr Motorsport zu fotografieren. Denn da komme ich schließlich als Fotograf her.
Was wünscht man einem Fotografen eigentlich? Hals- und Beinbruch oder genug Wasser unterm Kiel wohl nicht.
Thomas Füßler: Nein, das nicht. Klassisch sagt man: Allzeit gut Licht. (OD)
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