Silvia Neid: „In England ist gerade ein Frauenfußball-Boom ausgebrochen“.
Silvia Neid, 111-fache Fußball-Nationalspielerin und langjährige Bundestrainerin, hat mit dem DFB-Team mehrfach den EM- und WM-Titel gewonnen sowie 2016 in Rio de Janeiro noch dazu Gold. Für dieses große Lebenswerk wurde die 58-jährige Ex-Fußballerin von der Deutschen Sporthilfe mit der „Goldenen Sportpyramide“ geehrt. Im Interview mit der Deutschen Sporthilfe blickt Silvia Neid voll Vorfreude zur EM.
Frau Neid, Sie wurden in diesem Jahr von der Deutschen Sporthilfe mit der „Goldenen Sportpyramide“ für Ihr Lebenswerk geehrt. Wie fühlt sich das an, sind Sie bereits „fertig“?
Silvia Neid: Tatsächlich musste ich mich mit dem Begriff „Lebenswerk“ erst einmal auseinandersetzen. Aber letztlich spiegelt es mein Leben mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft wider, und das war toll und erfolgreich. Ich habe danach einige Angebote bekommen, für andere Nationen oder auch für Vereine zu arbeiten, aber in gewisser Weise war die Frauen-Nationalmannschaft immer mein „Baby“, deshalb fällt es mir schwierig, anderswo als Trainerin zu arbeiten. Aktuell bin ich beim DFB beschäftigt und meine primären Ziele sind, den deutschen Frauenfußball weiter zu unterstützen, indem ich Impulse gebe. Hier habe ich die Möglichkeit, den Fußball mit offeneren Augen zu betrachten und den Blick auf das große Ganze zu haben. Das macht mir sehr, sehr viel Spaß!
Jetzt steht für die Frauen die Europameisterschaft an. Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft?
Silvia Neid: Wir haben eine wirklich gute Mannschaft, mit bestens ausgebildeten Spielerinnen. Viele sind beidfüßig, viele haben unheimliches Tempo und Spielwitz, wir haben einen guten Mix aus Erfahrung und jugendlicher Unbekümmertheit.
Martina Voss-Tecklenburg kann auf einen ausgeglichenen Kader zurückgreifen, die Qualität ist da. Ich traue unserer Mannschaft diesmal sehr viel zu, für mich gehören unsere Frauen zum Kreis der Top-Favoritinnen bei der Europameisterschaft.
Deutschland konnte acht von bisher zwölf EM-Turnieren gewinnen, sechsmal hintereinander, war also ein Abonnementmeister. Heute ist dieser Titel jedoch kein Selbstläufer mehr?
Silvia Neid: Es war immer schwer, Titel zu gewinnen. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Viertel-, Halbfinale oder Finale, egal ob bei einer EM, WM oder den Olympischen Spielen, einfach war. Darin steckt immer viel Arbeit. Es gefällt mir nicht, wenn diese Leistungen heute abgewertet werden nach dem Motto „früher war ja alles einfach“. Das war es nicht. Wir haben uns immer gut darauf vorbereitet. Und es war immer so, dass drei, vier, fünf Nationen hätten Europameister oder Weltmeister werden können. Es ist oft ein schmaler Grat und es hängt viel davon ab, wie so ein Weg bei einem großen Turnier verläuft!
Wie sieht es mit Druck aus?
Silvia Neid: Damals vor der Heim-WM 2011 hieß es, es wäre ohnehin klar, dass Deutschland gewinnt. Der Druck war extrem hoch und es war wirklich schwer, damit klarzukommen. Die Aufmerksamkeit, die wir hatten, war für uns neu und belastend. Heute ist es vielleicht nicht so schlecht, wenn wir in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unbedingt der Top-Favorit sind und am Ende befreiter aufspielen können!
Wichtige Themen im Frauenfußball, die immer wieder diskutiert werden, sind das Ansehen sowie der Respekt. Wo sehen Sie persönlich den Frauenfußball in Deutschland aktuell?
Silvia Neid: Der Frauenfußball hat in Deutschland eine große und gute Entwicklung genommen. Von 1982 bis heute haben wirklich viele Personen, zum Beispiel DFB-Präsidenten, Trainerinnen, Spielerinnen, für den Frauenfußball gekämpft … anfangs war es nicht immer schön, sich Macho-Sprüche anhören zu müssen. Heute gibt es sehr viel Respekt, weil einfach guter Fußball gespielt wird. Aber was wir brauchen, ist, dass die Entscheider hinter dem Frauenfußball stehen, in den Vereinen und in den Verbänden. Dann passiert auch etwas. Dann interessieren sich die Medien, die Sponsoren und so weiter. Nur so können wir es schaffen, den Frauenfußball künftig weiterhin effektiv zu pushen.
Dabei helfen nur Erfolge …
Silvia Neid: Wir müssen bei dieser EM die Gelegenheit nutzen, dass vier Wochen tagtäglich über Frauenfußball berichtet wird. Man wird gesehen … und dann muss man eben auch gut spielen und weit kommen. Das hilft! Dann gibt es einen großen Zulauf von Mädchen in die Vereine und unsere Randsportart, die Frauenfußball im Vergleich zum Männerfußball simpel gesagt noch ist, kann weiter gut wachsen.
Diese Europameisterschaft findet im „Mutterland des Fußballs“ statt, welche Stimmung erwarten Sie?
Silvia Neid: In England ist gerade ein Frauenfußball-Boom ausgebrochen. Und dort passiert genau das, was ich eben meinte: Alle sind sich einig. Der Fußball ist hipp, und dies wird von allen gelebt, sie haben gute TV-Verträge und es fließt auch Geld. Die Stadien werden voll sein! (Deutsche Sporthilfe/TX)