Selin Oruz: „Ohne die Sporthilfe wäre ich bestimmt nicht da, wo ich jetzt bin“.
Nach Silber bei der Europameisterschaft endeten die Olympischen Spiele in Tokio für Hockeyspielerin Selin Oruz mit dem sechsten Platz. Nach Olympia bestand die 25-jährige Medizinstudentin das zweite Staatsexamen. Seit Mai 2022 leistet Selin Oruz ihr praktisches Jahr im Klinikum. Grund genug für die Deutsche Sporthilfe die Krefelderin als „Sport-Stipendiatin oder -Stipendiat des Jahres 2022“ zu nominieren.
Selin, nach den Olympischen Sommerspielen hast Du Dich schnell wieder in Dein Medizinstudium gestürzt. Wie sahen die Monate nach Tokio aus?
Selin Oruz: Während Tokio lief noch mein Semester, ich hatte daher ein paar Folien dabei und immer wieder zwischendurch reingeschaut. Im Wintersemester habe ich die Klausur, die ich wegen der Spiele verpasst hatte, nachgeholt, daneben musste ich noch für weitere intensivere Abschlussklausuren und das zweite Staatsexamen lernen. Das war so viel, dass ich bis in den April im Lernmodus war, von morgens bis abends Bücher wälzen musste. Daneben habe ich aber auch schnell wieder mit Bundesliga-Hockey in meinem Team in Düsseldorf angefangen. Dieser Ausgleich war und ist mir sehr wichtig.
Wie gelingt es Dir, schon seit Jahren diese Doppelbelastung zu meistern?
Selin Oruz: Das werde ich von jüngeren Spielerinnen oft gefragt … und ich frage es mich auch selbst, weil ich manchmal durchaus mit der Doppelbelastung aus sehr aufwendigem Studium und intensivem Leistungssport gehadert habe. Denn auch als Leistungssportler musste ich bei 80 Prozent der Veranstaltungen anwesend sein, das ist kaum zu schaffen. Das Studium erfordert daher sehr viel Struktur, Disziplin, Vorausplanung und es bleibt zudem vieles auf der Strecke, etwa Freunde, Familie oder Freizeit. Trotzdem hat mich die Berufsaussicht immer extrem angespornt, weil der Arztberuf mein ganz großes Ziel war und noch immer ist.
Wie viel Platz ist im Leben einer Ärztin noch für den Leistungssport?
Selin Oruz: Ich bekomme es über eine Mitspielerin in der Nationalmannschaft mit, die bereits als Ärztin arbeitet. Ob das auf Dauer etwas für mich ist, keine Ahnung. Ich bin neben dem Sport schon mein ganzes Leben lang zweigleisig gefahren, habe alles für die duale Karriere gegeben. Aber eine volle Stelle plus Leistungssport mit den vielen Reisen und Lehrgängen, ist extrem tough. In Frage käme für mich wohl eher eine Teilzeitstelle, denn bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris möchte ich schon weiter machen.
Auf Deinem Weg bekommst Du seit gut sieben Jahren Unterstützung von der Deutschen Sporthilfe und durch das Deutschen Bank Sport-Stipendium …
Selin Oruz: Das ist die Grundlage dafür, überhaupt den Sport ausüben zu können. Ich habe das Glück, Eltern hinter mir zu haben, die mich im Zweifel auch auffangen würden. Dieses Netz möchte ich nicht in Anspruch nehmen, ich bin eine Person, die gerne auf eigenen Beinen steht. Aber einen Nebenjob neben Sport und Studium hätte ich niemals hinbekommen, deshalb kann ich guten Gewissens sagen: Ohne die Sporthilfe wäre ich bestimmt nicht da, wo ich jetzt bin!
Du hast Paris 2024 angesprochen. Was treibt Dich bei dem Ziel an?
Selin Oruz: Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Viele im Team haben bereits Rio und Tokio erlebt, der Alltag ist wirklich sehr anstrengend. Unter dem Strich treibt mich neben dem Spaß und der Leidenschaft vor allem die Entwicklung des Teams über die Jahre an. Als „Danas“ verdienen wir mehr als Platz sechs in Tokio, ich hatte das Gefühl, das kann es nicht gewesen sein. Wir wollen und müssen allen zeigen, was wirklich in uns steckt! (Deutsche Sporthilfe/TX)