Ronald Delius: „Ich habe Spieler, die sind so stark, die brauchen mich nicht“.
Das Buch „Anpfiff für den Kopf“ stellt Leserinnen und Lesern ein absolut innovatives Konzept eines integralen Manager-, Spieler-, Trainer-, Mannschafts-, Fan- sowie Vereinscoachings vor und baut dabei auch Vorurteile gegenüber Mentalcoaching ab. Ronald Delius berichtet in „Anpfiff für den Kopf“ aus der Praxis, vermittelt viel Wissen, aber bringt die Leserinnen und Leser auch immer wieder zum Lachen.
Herr Delius, mit „Anpfiff für den Kopf“ ist Ihnen ein praxisnahes Buch zu einem Thema gelungen, welches in der Öffentlichkeit eher verschwiegen wird. Warum nutzen Menschen das angebotene Mentalcoaching, aber keiner will es im Nachgang thematisieren? Keiner will die Hilfe genutzt haben?
Ronald Delius: Ihre Aussage stimmt noch … doch langsam sprechen auch Profis wie BVB-Torwart Roman Bürki über ihre Erfahrungen, welche sie mit Mentalcoaching gemacht haben. Ein erster wichtiger Schritt, von vielen die noch folgen müssen.
Zurück zur eigentlichen Frage: Mentalcoaching wird leider vielfach mit Schwäche in Verbindung gebracht. Gerade in einer Sportart wie Fußball ist so etwas ein Problem, auch wenn der Gedanke falsch ist. Mentalcoaching hat nichts mit Schwäche zu tun. Es ist einfach nur ein weiterer Baustein im professionellen Sport. Als Trainer nur für die Athletik eingestellt wurden, ging doch auch keiner davon aus, dass die Profis rein körperlich nicht für Fußball geeignet sind. Es war ein Baustein zur Optimierung.
Wie kam es zur Idee für Ihr Buch?
Ronald Delius: Die Idee kam durch meine tägliche Arbeit. Ich bin seit rund 4 Jahren im Nachwuchsleistungszentrum in Sandhausen, außerdem habe ich mich natürlich regelmäßig fortgebildet. Die Kombination aus täglicher Arbeit und neuen Bausteinen ließen die Idee zu einem eigenen Buch langsam in mir reifen. Und das Ergebnis ist: „Anpfiff für den Kopf“.
Es geht mir in meiner Arbeit um die Fragestellung: Wie kann ich den größtmöglichen Impact für meinen Verein, den ganzen Verein, und für die Mannschaften, welche ich betreue, erzielen?
Warum haben Sie ausgerechnet den Fußball als Aufhänger gewählt?
Ronald Delius: Ich bin Physiotherapeut und habe früher in der Handball-Bundesliga oder im Eishockey gearbeitet. Fußball ist aber seit mehr als 40 Jahren meine große Leidenschaft und als Torwart habe ich selbst Fußball gespielt. In der Begleitung der Jungs bringt es Vorteil. Ich kann mich in Abläufe und Situationen reinversetzen.
Was ist das neuartige an Ihrem beschriebenen Mentalcoaching-Konzept bzw. an Ihrem Mentalcoaching-Ansatz?
Ronald Delius: Mentalcoaching gibt es ja schon. Es gibt Spieler, Trainer und auch Manager, die es für sich nutzen. Also wirklich für sich nutzen. Einige reden öffentlich darüber, die Mehrheit eben noch nicht. Ich befasse mich nicht nur mit der einzelnen Person, ich befasse mich mit dem gesamten Verein, allen Akteuren, dem Gefüge in der Mannschaft und auch mit den Einflüssen von außerhalb. Alle Aspekte gehören berücksichtigt. Es geht natürlich auch um die einzelnen Personen, aber nur als Teil des gesamten Vereins. Alles findet bei mir Berücksichtigung, weil ich glaube, wenn man maximalen Erfolg haben will, ist es wichtig, alles zu berücksichtigen.
Wie kamen Sie zu diesem Ansatz?
Ronald Delius: Sandhausen ist, wenn wir die Bundesliga und 2. Liga betrachten ein kleinerer Verein. Was nicht negativ ist, sondern auch einen gewissen Charme hat. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln kann man sich aber keinen großen Fehler erlauben, man muss eben immer alles raus holen. Wobei es um realistische Ziel und Zielvorgaben geht. Nur dann kann man auch etwas erreichen. Dies war mein Ansatz für meine Gedanken. Die Basis war meine tägliche Arbeit, meine Ausbildung, meine Erfahrungen mit Menschen und dem Sport sowie meine Weiterbildungen im Bereich Coaching, vor allem im integralen Coaching. Und dann geht es eben nicht um eine Person, sondern um die Gesamtheit.
Für mein Buch habe ich mich mit Menschen aus Vereinen, mit Trainern und auch mit Fans ausgetauscht. Diese Erkenntnisse und das Feedback sind Teil des Buches und natürlich meiner täglichen Arbeit.
Wenn ich Sie und Ihr Buch richtig verstehe, dann sind andere Sportarten oder Sportlerinnen und Sportler dem Mentalcoaching gegenüber aufgeschlossener. Warum greift man im Fußball auf dieses Angebot so selten zurück?
Ronald Delius: Also ich hab das Gefühl, und ich komme ja aus dem Fußball, dass sich der Fußball generell sehr schwer tut mit neuen Ansätzen. Das beste Beispiel ist doch Jürgen Klinsmann. Als er die deutsche Nationalmannschaft übernommen hat, hat er vieles auf den Weg gebracht. Spezielles Training im Bereich Athletik, gezielte und verschwiegene Gespräche mit einem Psychologen. Die kleinen Trainingsformen mit verschiedenen Bändern, im US-Sport schon lange normal, hat Jürgen Klinsmann etabliert. Für viele dieser Sachen wurde er am Anfang belächelt, und heute. Es ist Teil der Vorbereitung und des Trainings in der Saison. Der Fußball tut sich schwer mit neuen Sachen, es wird eher auf die altbewährten Sachen zurückgegriffen.
Richtet sich Mentalcoaching an die Manager, die Trainer, die Spieler oder das Team? Wer ist Ihre Zielegruppe?
Ronald Delius: Mentalcoaching richtet sich generell an alle vorgenannten Gruppen und natürlich auch noch andere Gruppen in einem Verein. Mein Ansatz, wie im Buch beschrieben, richtet sich an den Verein in seiner Gesamtheit. Wobei man es immer auch auf einzelne Bereiche umlegen kann. Es gibt eben nicht nur diesen einen Weg.
Im besten Fall erkennen die Verantwortlichen in einem Verein, dass sie mit diesem Konzept die Möglichkeit und Chance haben, das Optimum und größte Potenzial aus ihrem Verein herausholen können. Welches bei jedem Verein aber anders aussieht.
Ich benenne in meinem Buch Methoden und Ansätze, die aktuell bei Funktionären, Managern, Trainern und Spielern landen. Man könnte jetzt also auch die einzelnen Gruppen coachen. Was mich aktuell besonders freut, das Buch landet auch bei den Fans. Und ganz genau das ist mein Ansatz. Die Gesamtheit eines ganzen Vereins.
Sind die Anwendungen auch etwas für den Alltag? Ist ein Transfer vom Platz in das alltägliche Leben möglich?
Ronald Delius: Ja, und das freut mich natürlich auch. Denn nicht alle, die das Buch gelesen haben und hoffentlich noch werden, interessieren sich für den Fußball, oder eine andere Sportart. Trotzdem können sie einen Nutzen für ihren Job und Alltag aus dem Buch ziehen. Themen wie Mentalität, Motivation, Kommunikation oder der Umgang mit Emotionen finden nicht nur im Sport statt, sondern in unserem Leben.
Ich habe mich für das Buch auch mit Menschen außerhalb des Sports unterhalten, beispielsweise mit einem Bänker. Seine Rückmeldung geht genau in die Richtung.
Ist eigentlich jeder Mensch für ein Mentalcoaching empfänglich?
Ronald Delius: Eine gute Frage. Aber: Nein. Nicht jeder Mensch ist dafür wirklich empfänglich, auch wenn ich heute glaube, jeder Mensch könnte einen Nutzen davon haben. Und aus meiner Arbeit mit dem Nachwuchs bei Sandhausen weiß ich, nicht jeder braucht es. Ich habe Spieler, die sind so stark, die brauchen mich nicht. Aber das macht die Aufgabe auch so spannend. Die verschiedenen Charaktere, die alle unterschiedliche Bedürfnisse haben und dann ein Mannschaftsgefüge bilden.
Ab welchem Alter kann man Mentalcoaching einsetzen? Sie arbeiten mit dem Nachwuchs des SV Sandhausen…
Ronald Delius: Also, der jüngste Spieler, den ich bisher hatte, war erst 12 Jahre alt. Ich war gespannt: Wie wird es werden? Es war sehr, sehr positiv. Ich war wirklich positiv überrascht. Von daher kann ich sagen, ab 12 Jahren.
Abschließend Herr Delius: Was macht Ihrer persönlichen Meinung nach einen guten Mentalcoach aus? Gerne nur auf den Fußball bezogen…
Ronald Delius: Ein ganz wichtiger Aspekt ist für mich immer die Erfahrung! Es geht um Erfahrung, Charakter, Kompetenz, Selbstbewusstsein und generell eine positive Ausstrahlung. Man muss Menschen begeistern können.
Auf den Fußball bezogen, sehe ich es als größeren Vorteil an, wenn man, wie ich, selber Fußball gespielt hat. Man kann sich in Situation besser hineinversetzen. Man hat gewisse Situation selbst erlebt. Man hat Erfahrung.
Doch neben der Erfahrung und dem praktischen Bezug ist es auch sehr wichtig, sich fortlaufend zu bilden und so das Repertoire zu erweitern. (TX)
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