Niklas Kaul: „Eine EM im eigenen Land ist für mich wertvoller als eine WM“.
Niklas Kaul, der Zehnkampf-Weltmeister von 2019 blickt im exklusiven Interview mit der Deutschen Sporthilfe auf die European Championships in München voraus und gibt einen Einblick in seine Gefühlswelt nach dem Ausscheiden in Tokio. Absolut optimistisch ist die Vorfreude auf die zwei Wettkampftage in München: „Mein Ziel ist es, in einer körperlichen Verfassung zu sein, die so gut ist wie noch nie zuvor“ …
Niklas, gehört man mit 24 Jahren, einem WM-Titel und einer Teilnahme bei den Sommerspielen eigentlich noch zur Next Generation?
Niklas Kaul: Hoffentlich! Ich hoffe doch, dass es noch nicht vorbei ist, sondern gerade erst anfängt.
Im Oktober 2019 bist Du in Doha mit 21 Jahren zum jüngsten Zehnkampf-Weltmeister aller Zeiten avanciert, für die Öffentlichkeit völlig überraschend. War dieser Erfolg für Dich auch überraschend?
Niklas Kaul: Total! Ich wusste, dass die Form passteund ich meine persönliche Bestleistung angreifen kann. Der erste Tag lief ganz gut, aber ich hatte eigentlich schon abgeschrieben, um den Sieg zu kämpfen. Der zweite Tag hat eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Viele Athleten bekamen Schwierigkeiten, vielleicht auch, weil die WM so spät im Jahr war. Vor den 1.500 Meternwusste ich aber, ich kann hier tatsächlich Weltmeister werden.
Fragst Du Dich manchmal, wie das so passiert ist?
Niklas Kaul: An diesen zwei Tagen war weltweit keiner besser … das ist die einzige Definition, die diesen Titel ausmacht. Zehnkampf ist immer tagesformabhängig und es braucht auch ein bisschen Glück. In Tokio hatte ich diess zum Beispiel nicht. Es kann viel passieren!
Seit Doha hat sich die Wahrnehmung Deiner Person verändert. Du bist nicht mehr das Talent, sondern Du bist der Favorit.
Niklas Kaul: Zum einen das, und zum anderen kann ich nicht mehr entspannt etwa nach Götzis fahren, um meine Qualifikation zu machen. Darauf liegt nun eineganz andere Aufmerksamkeit. Wettkämpfe, die mal nicht so gut laufen, werden kritischer hinterfragt. Das ist die Seite, die weniger Spaß macht. Aber ist es ein gutes Gefühl, eher zu den Favoriten zu gehören.
Auch in Tokio waren die Erwartungen sehr hoch …
Niklas Kaul: Mit zwei persönlichen und zwei Saisonbestleistungen in den ersten vier Disziplinen … zu diesem Zeitpunkt war ich etwa 100 Punkte besser als in Doha. Und ich habe mich wirklich gut gefühlt, an dem Tag hat es richtig gut funktioniert. Dass ich diesen ersten Tag verletzungsbedingt nicht beenden konnte, istsehr, sehr ärgerlich. Mich wurmt es, ich hätte zu gerne gesehen, was die nächsten Disziplinen noch gebracht hätten.
In diesem Jahr stand bereits die WM in den USA an, jetzt die EM in München. Wie schätzt Du ganz persönlich so was ein?
Niklas Kaul: Objektiv ist natürlich eine WM mehr wert, eine EM im eigenen Land ist für mich persönlich aber wertvoller. Ich hatte 2018 bereits das Glück, als Nachrücker bei der EM in Berlin dabei sein zu können. Das war bis heute für mich der schönste Wettkampf, den ich je gemacht habe. Ich hoffe, dass es in München ähnlich wird … ich aber ein bisschen besser darauf vorbereitet sein werde, weil ich nicht erst vier Tage vorher davon erfahre. Mein Ziel ist es, in München bei der ersten Disziplin, den 100 Metern, im Block zu sitzen und in einer körperlichen Verfassung zu sein, die so gut ist wie noch niemals zuvor.
In knapp zwei Jahren stehen bereits die Olympischen Spiele in Paris an. Was treibt Dich auf diesem Weg nach Frankreich nun an?
Niklas Kaul: Ich möchte es in Paris einfach besser machen als in Tokio. In Japan haben wir Olympische Spiele erlebt, wie sie noch nie waren, ohne Zuschauer, ohne andere Sportarten sehen zu können. Ich möchte in Paris wieder die Spiele erleben, wie sie eigentlich sind. Das macht den Antrieb besonders. Und ich will in Paris 2024 natürlich in der Lage sein, eine Bestleistung abzuliefern … dann werden wir sehen, wozu das eben reicht. (Deutsche Sporthilfe/TX)