Michael Jacobsen: „Wir brauchen generell bessere vorschulische Strukturen“.
Die Flensburg Akademie, das Nachwuchsleistungszentrum des Bundesligisten SG Flensburg-Handewitt, wurde wieder einmal mit dem Jugendzertifikat mit Stern durch die HBL ausgezeichnet. Was Jugendtrainer Michael Jacobsen auf der einen Seite sehr stolz macht, auf der anderen Seite gibt der gebürtige Däne aber auch zu, „dass der Sprung zu einem europäischen Spitzenverein aber nur über Umwege gelingt“.
Herr Jacobsen, über das Jugendzertifikat bin ich auf die Jugendarbeit bei der SG Flensburg-Handewitt aufmerksam geworden. Wie ist die Jugendarbeit bei einem Bundesligisten aufgebaut und was ist das Jugendzertifikat?
Michael Jacobsen: Das Jugendzertifikat ist eine Vorgabe der HBL, mit dem Ziel die Jugendarbeit zu fördern. Wenn man als Bundesligist dagegen verstößt, muss man an die Liga eine Strafe zahlen. Von daher sind alle Vereine zwangsläufig sehr stark daran interessiert, sich um die Jugendarbeit zu kümmern.
Wir in Flensburg wären auch ohne Ligastrafe an einer Umsetzung interessiert und investieren ohnehin viel in unsere Zukunft, also in unsere Jugendarbeit. Und genau dafür haben wir schließlich auch das Zertifikat mit Stern erhalten, für eine besonders gute Jugendarbeit. Der Stern ist in dem Fall ein Prädikat!
Was uns in Flensburg etwas von den anderen Bundesligisten unterscheidet ist, dass wir das Nachwuchsleistungszentrum zu 100 Prozent privat betreiben. Andere haben entweder einen großen Geldgeber, die Stadt oder das Land sind beteiligt. Wie sind unabhängig, es ist eine eigene GmbH mit einem unabhängigen Investorenkreis, der die gesamte Jugendarbeit bei uns länger intensiv fördert.
Daraus ergeben sich Herausforderungen, was die Ökonomie angeht, aber natürlich auch Vorteile. Wir können frei entscheiden mit wie vielen Sportlern wir zusammen arbeiten, welche Inhalte und Schwerpunkte wir vermitteln, natürlich im Rahmen der Vorgabe durch HBL und DHB. Man könnte auch sagen, diese gewisse Freiheit sieht man in unserer Pädagogik und Prägung, die eher skandinavischer Natur ist. Unsere Arbeit basiert auf dem Motto: Freiheit unter Verantwortung. Die jungen Menschen erhalten gewisse Freiheiten, aber wir vermitteln ihnen die Verantwortung, die daraus resultiert. Es ist keine reine Sportförderung, sondern es geht um die Entwicklung der Persönlichkeit. So wird es in Skandinavien viel praktiziert.
Wie sieht es generell bei Flensburg mit dem Nachwuchs aus?
Michael Jacobsen: Wir sehen, dass die Mitgliederzahlen fast überall fallen. Bei uns noch nicht, aber wir verstehen es trotzdem als Warnung. Wir verstehen die Aufgabe und intensivieren von daher unsere Bemühungen in der Region. Hierfür haben wir einen Förderverein. Wir gehen an Schulen und es gibt ein Kooperationskonzept mit anderen Vereinen, um die Jugendabteilungen zu stärken. Und wir hinterfragen uns und unsere Arbeit, unser Angebot.
Bekommen die Talente auch Chancen in der ersten Mannschaft?
Michael Jacobsen: Das ist eine Baustelle bei uns, daraus machen wir aber auch kein Geheimnis. Wir sind am Ende nicht nur ein Bundesligist, sondern wir spielen auf der internationalen Bühne schon eine gute Rolle. Die sehr, sehr guten Talente, die die B- und A-Jugend durchlaufen haben, müssen daher in der Regel erst einmal eine Zwischenstation einlegen. Erst danach können sie wieder ein Thema für uns werden. Der Sprung von der Jugend in die europäische Spitze ist riesig. Man muss immer individuell schauen, aber dieser Sprung ist riesig.
Mit dem THW Kiel habt Ihr einen direkten Mitbewerber im eigenen Bundesland. Noch dazu einen Verein mit einer gewissen Strahlkraft. Wie rekrutiert Ihr? Sie sind gebürtiger Däne, ist Dänemark in der Jugend ein Thema?
Michael Jacobsen: Unsere Philosophie ist so, dass wir versuchen, lokale Spieler mit in die Leistungsmannschaften zu nehmen. Wenn wir für eine Position am Ende keinen geeigneten Spieler haben, schauen wir als erstes in die Region. Wenn man einen Kreis von 30 Kilometern rund um Flensburg macht, ist viel Dänemark dabei. Von daher gehört Dänemark dazu.
Haben wir lokal und regional keinen Erfolg, gehen wir auch in die weite Welt raus. Es ist super, wenn das Talent aus dem direkten Umkreis kommt, aus der Region kommt, aber wenn nicht, dann ist es so und in Ordnung. Und wir haben nicht nur Kiel in unmittelbarer Nähe, im Süden ist gleich Hamburg. Durch die Zertifizierung suchen wir alle nach den Talenten.
Was muss sich bei der Nachwuchsarbeit denn noch verbessern?
Michael Jacobsen: Ich würde mir wünschen, dass wir weiterkommen mit den so genannten vorschulischen Strukturen, wie man sie aus den „neuen Bundesländern“ kennt. Das ist ein riesiges Thema in Schleswig-Holstein. Ich bin seit acht Jahren hier und langsam kommt Bewegung in dieses Thema. Wir brauchen bessere Strukturen was Leistungssport und Schule angeht. Das betrifft aber nicht nur die Handballer, es betrifft zum Beispiel auch die Fußballer. Eigentlich betrifft es alle und das macht es so schwierig, die aller größten Talente zu bekommen. (LB)
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