Marianne Buggenhagen: „Es geht um die absolute Freude an der Bewegung“.
Marianne Buggenhagen parkt unter ihrem Sonnenschirm. Beim Olympiastadion sitzt die 70-jährige Ex-Paralympionikin im Rollstuhl und verfolgt äußerst aufmerksam die Leichtathletik-Wettkämpfe bei den Weltspielen. Die neunmalige Gold-Gewinnerin bei den Paralympics trainiert zusammen mit Nichte Sandra Buggenhagen seit über drei Jahren die Special Olympics Athletin Heidi Kuder. Genau das ist gelebte Inklusion!
Frau Buggenhagen, wie laufen die ersten Weltspiele als Trainerin?
Marianne Buggenhagen: Wir sind zufrieden. Beim Kugelstoßen ist Heidi mit 8,07 Metern bereits im Finale. Die Laufwettbewerbe stehen noch aus.
Die Rolle der Trainerin ist für Sie beide neu. Haben Sie sich als Team mit Heidi Kuder mittlerweile gut eingespielt?
Marianne Buggenhagen: Auch da bin ich sehr zufrieden. Heidi ist im Laufen richtig stark geworden und hat sich auch beim Krafttraining sehr verbessert. Es muss für sie bei diesen Weltspielen kein erster Platz werden. Aber es wäre schön, wenn sie es schafft, ihr Können abzurufen. Dafür haben wir immer und immer wieder die fast identischen Abläufe trainiert. Das ist ganz, ganz wichtig bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Aber hier auf dem Platz herrscht eine völlig andere Atmosphäre: Weltspiele mit vielen Zuschauerinnen und Zuschauern. Das ist alles neu für Heidi.
Wie sind Sie als ehemalige Leistungssportlerin dazu gekommen?
Marianne Buggenhagen: Als ich vor vier Jahren gehört habe, dass die Weltspiele nach Berlin kommen, habe ich mich sehr darüber gefreut. Eine tolle Chance für die Inklusion. Wir haben ein großes Potenzial an Sportlerinnen und Sportlern mit einer Beeinträchtigung. Aber es gibt keine Vereine, die diese Sportlerinnen und Sportler bei sich trainieren lassen, geschweige denn, sie aufzunehmen. Ich habe zwei Jahre dafür gekämpft, allein einen Verein zu finden, bei dem Athletinnen und Athleten mit Beeinträchtigungen gerade einmal die Woche trainieren dürfen.
Was ist denn genau das Problem?
Marianne Buggenhagen: Die Lippenbekenntnisse. „Wir finden es toll, dass Sie sich für Inklusion im Sport einsetzen. Aber wir können das nicht“. Oder noch schlimmer: „Denen kann man doch nur vor den Kopf gucken und nicht hinein“. Eine absolute Frechheit! Der inklusive Sport bringt natürlich gewisse Herausforderungen mit sich: Barrierefreiheit, Transportmöglichkeiten, besondere Trainingspläne, 1:1-Betreuung … aber das ist alles machbar, wenn man es nur will. Wir haben es auch geschafft!
Als vielleicht einzige weltweite Weltklassesportlerin haben Sie als Jugendliche den Sport, dann den Para-Sport und jetzt die Special Olympics kennengelernt. Lassen sich diese drei sportlichen Welten irgendwie vergleichen?
Marianne Buggenhagen: Das ist natürlich schwierig. Die Akzeptanz von Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen fehlt in der Bevölkerung oft noch. Eine weitere ganz wichtige Unterscheidung, auch zwischen Special Olympics und Paralympics: Die Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können Leistungssport im üblichen Sinne nicht liefern. Die absolute Freude an der Bewegung sowie der Gemeinsamkeit steht im Fokus. Jedoch profitieren sie natürlich wie alle Menschen ganz enorm vom Sport. Wir haben bei diesen Weltspielen einen fast völlig blinden Autisten erlebt, der hier zum ersten Mal allein 60 Meter gelaufen ist, indem er sich an seinem Vordermann orientiert hat. Ich habe genau die Erfahrung damals selbst gemacht, als ich in den Rollstuhl kam: Der Sport hat mir geholfen, meinen Alltag zu bewältigen. Die Konzentration und das Gefühl, etwas leisten zu können … verbindet die drei Welten. Ebenso der Umgang mit den Mitmenschen, die Freundschaften, die entstehen … so etwas ist für alle Sporttreibenden wichtig. Inklusion und Integration … diese zwei Wörter sollte es gar nicht mehr geben müssen! (NB/TX)
Foto: Special Olympics World Games Berlin 2023