Marcel Wüst: „Haus und Hof würde ich nun auf Jonas Vingegaard wetten“.
Der frühere Radsprinter Marcel Wüst trug einst selbst vier Tage lang das gepunktete Bergtrikot bei der Tour de France. Der 54-jährige Kölner drückt nun Simon Geschke die Daumen, der ihn nun als Rekordhalter abgelöst hat. Im exklusiven Interview mit „Sportradio Deutschland“ spricht Marcel Wüst über die aktuelle Tour de France oder auch die Leiden. Das ganze Interview gibt es hier: www.sportradio-deutschland.de.
Wie ist das epische Duell an der Spitze zu bewerten?
Marcel Wüst: Jonas Vingegaard kann sich jetzt auf einen Fahrer konzentrieren, der heißt Tadej Pogacar. Und der heißt auch nur deswegen so, weil dieser auf der einen Etappe den einzigen schlechten Tag in seiner mir bisher bekannten Geschichte im Radsport hatte. Tadej Pogacar wird nun alles dafür machen, Jonas Vingegaard so zu fordern, wie Jumbo-Visma zuvor Tadej Pogacar gefordert hat, um ihm vielleicht bei der allerletzten Bergankunft noch ein paar Minuten abzunehmen. Wenn Jonas Vingegaard aber mit mehr als einer Minute Vorsprung ins Zeitfahren am vorletzten Tag geht, wird es für Tadej Pogacar schon extrem schwierig. So leid es mir auch tut, man kann eine Tour de France auch in vier Minuten verlieren, selbst wenn man die restlichen Kilometer der beste Fahrer ist.
Wie geht die Tour de France 2022 also aus?
Marcel Wüst: Müsste ich jetzt Haus und Hof wetten, dann würde ich sagen, Jonas Vingegaard gewinnt mit ein bisschen weniger als einer Minute. Der Mann im „gelben Trikot“ ist noch ein junger, aber schon sehr erfahrener Fahrer, der auch ohne Primoz Roglic eine starke Mannschaft hat.
Kann Simon Geschke das Bergtrikot verteidigen?
Marcel Wüst: Das ist ein sehr cooles Trikot, das hat bei den Fans doppelt so viel Präsenz wie alle anderen Trikots zusammen. „Simoni“ muss jetzt jeden Tag beißen und kämpfen, mit in der Spitzengruppe sein. Die Illusion stirbt bekanntlich zuletzt. Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Ich würde Simon Geschke fast eine Wette anbieten … wenn er in Paris das Bergtrikot hätte, dann würden wir ihn endlich mal rasieren! Also sein Bart käme runter!
Wie sind die Qualen nun in den Pyrenäen?
Marcel Wüst: In der letzten Woche ist das eigentlich kein Fahrerfeld mehr, sondern ein Friedhof auf Rädern. Dann geht das nur noch über die kleinen Reste physischer Stärke, äußerst viel über den Kopf!
Wird Jan Ullrich vielleicht zu viel Unrecht getan?
Marcel Wüst: Meines Erachtens ist Jan Ulrich das menschliche Wesen, das vom lieben Gott mit den allergrößten physischen Voraussetzungen für unseren Radsport gesegnet wurde. Mehr als Eddy Merckx oder Miguel Indurain, mehr als alle. Jedoch fehlten bei „Ulle“ dann halt zwei, drei andere Dinge. Er war halt ein bisschen sorglos, bei der Ernährung, dem Trainingsfleiß. (Sportradio Deutschland /TX)