Kim Bui: „Turnen ist Eleganz und Kraft, Turnen ist Schnelligkeit und Dynamik“.
Kim Bui gehört seit über 20 Jahren dem deutschen Bundeskader im Kunstturnen an, doch Zeit scheint für die gebürtige Tübingerin irrelevant zu sein. Die neue Deutsche Meisterin am Stufenbarren steht vor dem Studienabschluss in technischer Biologie, parallel zum Leistungssport auf höchstem Niveau. Im Interview mit „sportflash.online“ lässt die Profisportlerin Kim Bui mehr als einmal durchblicken, ein Ende ist nicht in Sicht!
Kim, herzlichen Glückwunsch zur Deutschen Meisterschaft! Hast Du mit dem Sieg zu irgendeinem Zeitpunkt gerechnet? Noch dazu dieser Titel im direkten Duell gegen Elisabeth Seitz, die den Stufenbaren als Lieblingsgerät betitelt.
Kim Bui: Mit so einem Titel rechnet man natürlich erst einmal überhaupt nicht. Nach meiner Übung, ich war ja kurz vor ihr dran, wusste ich, ich habe eine gute, eine sehr gute Übung absolviert. Ich habe mich nach meinem Wettkampf in die „Kiss&Cry“-Ecke gesetzt und abgewartet. So nennen wir die Ecke, in der wir Sportlerinnen und Sportler auf die Punkte beziehungsweise den Platz warten. Als ich mitbekommen habe, dass Elisabeth in ihrer Übung den einen oder anderen kleinen Fehler hatte, dachte ich, es könnte für mich zum Sieg reichen.
Im Vorfeld rechnet man aber niemals mit einem Meistertitel. Alle Kolleginnen sind starke Turnerinnen und nicht zu unterschätzen!
Die Titelkämpfe fanden wieder im Rahmen der Finals statt. Als Zuschauer fand ich es zu viel, zu viele Wettkämpfe an zu wenigen Tagen. Hat es für Dich einen Unterschied gemacht, Teil eines Events zu sein?
Kim Bui: Vor zwei Jahren in Berlin hatte ich einen größeren Eindruck, also dass die ganzen Finals mehr eine Gemeinschaft der einzelnen Sportarten waren. In diesem Jahr, auch aufgrund der fehlenden Zuschauer, hat man es nicht so extrem gemerkt. Man wusste natürlich, irgendwo in Deutschland finden zeitgleich andere Wettkämpfe statt, aber es war ein Wettkampf wie jeder andere. Nicht dieses Gefühl der Finals.
Es war aber generell eine schöne Veranstaltung, tolle Wettkämpfe. Die Organisation hat das ganz toll gemacht und vor Zuschauern wäre es bestimmt noch größer, noch cooler geworden. Es fehlt einfach die Stimmung vor Ort. Diese wird aber sicherlich wieder kommen, darauf freue ich mich sehr.
Du machst ja nicht nur Leistungssport, Du studierst auch noch. Bis Olympia in Tokio soll eigentlich die Masterarbeit in technischer Biologie über Zellbiologie abgeschlossen sein. Wie ist hier der aktuelle Stand? Darf man gratulieren?
Kim Bui: Es gab von meiner Betreuerin die Korrektur zurück, aber ich habe sie mir noch nicht angeschaut, weil ich mich gerade voll und ganz auf meine Wettkämpfe konzentriere. Es könnte bestimmt die eine oder andere Korrektur dabei sein, fertig geschrieben inklusive Formatierung ist die Masterarbeit aber auf jeden Fall. In den kommenden Wochen schaue ich mir dann auch peu à peu die Korrektur einmal an.
Sowohl das Studium als auch das Training sind bestimmt intensiv. Wie lassen sich diese beiden Punkte für Dich kombinieren?
Kim Bui: Erst einmal ist ein gutes Zeitmanagement gefordert. Man muss auch dazu sagen, ich studiere seit etwas über zehn Jahren, auf Bachelor sowie Master. Das gehört eben dazu, wenn man so einen zeitintensiven Sport betreibt und studiert. Die Zeit für das Studium musste dann ein wenig gedehnt werden.
Wie sieht denn dann generell eine ganz normale Trainingseinheit so aus?
Kim Bui: Erst einmal muss ich dazu sagen: Turnen ist für mich eine der schönsten Sportarten, weil sie so vielfältig und so komplex in sich selbst ist! Turnen ist Eleganz und Kraft, ebenso enthält sie Schnelligkeit und Dynamik. All dieses zu kombinieren, wir Frauen haben ja insgesamt vier Geräte, macht unseren Sport auf der einen Seite so attraktiv und auf der anderen Seite so komplex.
Eine Trainingseinheit beginnt mit intensivem Aufwärmen und Dehnen. Morgens folgt in der Regel eine Krafteinheit, mal trainieren wir ausgiebig den Mittelkörper und mal steht der Oberkörper im Vordergrund des Trainings. So sieht es zumindest bei mir aus. Erst dann kommen die Geräte, auch hier werden Tag für Tag immer gewisse Schwerpunkte gesetzt. Es können unterschiedliche Übungen sein, mal trainieren wir unsere Wettkampfübungen, oder es geht allein um die Feinheiten der Technik. Am Nachmittag absolvieren wir eine zweite Einheit, diese beginnt wieder mit Aufwärmen und Dehnen, danach kommen komplett andere Schwerpunkte als am Vormittag.
Ich selbst trainiere außerdem noch viermal die Woche zusätzlich die Beinkraft. Wir müssen uns auch selbst motivieren und eigenständig trainieren, um unsere Leistung und unser Niveau am Ende auch halten zu können.
Und was für ein Outfit trägst Du im Training? Hintergrund ist die Aktion mit den „Ganzkörperoutfits“ bei der EM in Basel.
Kim Bui: Also im Training haben wir immer einen kurzärmeligen Turnanzug an und immer eine kurze schwarze Hose. Und daher fühlt man sich im Wettkampf auch ein wenig nackt, wenn man dann nur noch den Turnanzug ohne eine Hose an hat.
Was ist eigentlich die generelle Aussage hinter den „Ganzkörperoutfits“?
Kim Bui: Wenn man im Internet nach Bildern sucht, dann zeigt eine Vielzahl der Bilder uns Turnerinnen mit gespreizten Beinen, was natürlich in unserem Sport eine Standardbewegung ist und dazu gehört. Pressetechnisch werden viele Bilder leicht von unten geschossen und so, sieht man bei uns Frauen, an einer gewissen Stelle sehr wenig Stoff am Körper. Ich will den Fotografen nichts unterstellen, wir sind sehr froh über schöne sportliche Bilder, aber sollte einmal etwas verrutschen … die Antwort kann sich wohl jeder selbst geben!
Einen Wettkampf mit einem langen Turnoutfit zu absolvieren ist erlaubt, es steht in den Regularien. Leider ist es eher selten, dass sich Turnerinnen dafür entscheiden. Bei der EM wollten wir aufzeigen und aufmerksam machen, dass dies möglich und erlaubt ist. Wenn es Normalität wird, sorgt es automatisch für Selbstbestimmtheit. Turnerinnen sollen selbst entscheiden, in welchem Outfit sie sich beim Wettkampf präsentieren wollen. Es ging nie um eine Revolution, weil es laut Regularien erlaubt ist. Wir wollten in Basel das Zeichen setzen: „Zieht die Outfits an, in denen Ihr Euch wohlfühlt“ … dein Körper, dein Wettkampf!
Gab es im Vorfeld der EM die Befürchtung, dass die „Ganzkörperoutfits“ auch zu negativen Bewertungen führen könnten?
Kim Bui: Eigentlich nicht. Wir haben das Zeichen ohne große Gedanken und ohne große Erwartungen einfach umgesetzt. Natürlich war es im Vorfeld mit dem Vorsitz des technischen Komitees abgesprochen und allen Outfits wurden im Vorfeld bereits zugestimmt. Wir bekamen auch im Vorfeld und während der EM guten Zuspruch.
Wie sieht die Sachlage dazu eigentlich für die Olympiade in Tokio aus?
Kim Bui: Die Ideen sind in der Mache und bis dahin Top Secret!
Ich weiß, man spricht das Alter bei Frauen nicht an, aber mit 32 Jahren rückt das Karriereende definitiv näher. Wie lange planst Du noch aktiv zu turnen? Ist Olympia 2024 in Paris überhaupt ein Ziel?
Kim Bui: Warum denn nur 2024 in Paris? Ich denke an 2028, LA ist bestimmt auch ganz cool? Ich lasse die Zeit entscheiden, welchen Weg ich nehmen werde.
Okay, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Jetzt bin ich etwas perplex …
Kim Bui: Ich mache es noch so lange wie es mir Spaß macht und mein Körper es mir auch problemlos gestattet. Ich habe für mich persönlich und aktuell noch keine Entscheidung getroffen, über ein mögliches Karriereende.
Du bist mittlerweile beinah 20 Jahre auf höchstem Niveau dabei, im absoluten Leistungsturnen. Sendet der Körper schon Signale?
Kim Bui: Das stimmt, ich bin schon lange dabei, als Teil der Nationalmannschaft. Ich habe vor gut zwei Jahren ein T-Shirt mit der Aufschrift „20 Jahre Bundeskader“ von der Cheftrainerin bekommen. Es freut mich bis heute. Ich selbst schätze meinen Körper als einen stabilen, einen robusten und kraftvollen Körper ein. Er hat mich in den 20 Jahren nie im Stich gelassen. Natürlich gab es ab und zu kleine und bis dato nur zwei große Verletzungen. Ich habe mir zweimal das Kreuzband gerissen. Das passiert in unserem Sport. Heute, mit Meisterschaft, Qualifikationsturnen und dann noch Tokio, bin ich absolut austrainiert und habe keine körperlichen Beschwerden.
Im Alter trainiert man schlauer und bereitet sich strukturierter auf einen Wettkampf vor. Wenn ich mir heute anschaue, wie die jungen Turnerinnen so trainieren, dann weiß ich, so viel habe ich früher auch trainiert. Heute geht das einfach nicht mehr. Im Alter musst du effektiver und präziser trainieren, um deine Leistung zu halten zu.
Wie wir vom Anfang wissen, hast Du parallel zum Leistungssport schon alles für die Karriere nach der Karriere vorbereitet. Glaubst Du, Deine Erfahrungen aus dem Leistungssport können Dir später in der Forschung helfen?
Kim Bui: Ich glaube, viele Skills aus dem Leistungssport kann man später auf den Beruf übertragen. Zeitmanagement, Zielstrebigkeit, Ruhe und Geduld, oder wenn es darum geht während einer Durststrecke dran zu bleiben. Im Leistungssport lernt und erfährt man viele Dinge, die im weiteren Leben hilfreich sein können. Dennoch kann ich noch gar nicht genau sagen, welchen Weg ich einschlagen möchte, sollte meine erste Karriere enden, um die zweite Karriere zu beginnen. (TX)
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