Karsten Warholm: „Für mich war es der größte Traum, der nun wahr wurde“.
Karsten Warholm konnte dieser Tage einen der ältesten Leichtathletik-Weltrekorde brechen, zudem vor heimischem Publikum bei den Bislett Games in Oslo. 29 Jahre hielt die Bestmarke des Amerikaners Kevin Young über die 400 Meter Hürden. Der 25-jährige Norweger drückte bei seinem ersten Wettkampf 2021 den Weltrekord von 46,78 Sekunden um 0,08 Sekunden. Nun fand Karsten Warholm auch die Worte …
Wie wichtig war es, den Weltrekord vor heimischem Publikum zu brechen?
Karsten Warholm: Es war äußerst speziell für mich. Ich trainiere viele Male in der Woche in Bislett, da ich in Oslo wohne, also ist es für mich ein Heimstadion. Es war das größte Ereignis in Norwegen seit dem Beginn der Pandemie, also waren alle sehr erpicht darauf, dabei zu sein und einen norwegischen Athleten anzufeuern. Es war der perfekte Moment, das unter diesen Umständen tun zu können. Es war ein großartiges Gefühl und es hätte nicht besser sein können, selbst wenn ich versucht hätte, ein Buch darüber zu schreiben oder so. Für mich war es der größte Traum, der nun wahr wurde.
Man muss den Weg zurückgehen zu Leuten wie Sebastian Coe, Steve Cram und Steve Ovett, als Bislett die Weltrekordstrecke genannt wurde. Diese Jungs haben die ganze Zeit den Weltrekord gepusht, aber in den letzten Jahren gab es nicht viele Weltrekorde im Bislett-Stadion, es war ein stolzer Moment für mich, Licht ins Dunkel bringen zu können.
Warst Du zuversichtlich, dass Du den Weltrekord aufgrund Deines jüngsten Trainings brechen kannst?
Karsten Warholm: Wir versuchen uns darauf zu konzentrieren, mit hoher Qualität zu trainieren. Deshalb laufe ich auch nicht so viele Rennen, weil ich keine Rennen brauche, um mich auf Meisterschaften vorzubereiten. Das ist eines der besonderen Sachen, die wir tun, wir stellen sicher, dass wir auf dem gleichen Niveau trainieren, auf dem wir sein müssen, wenn wir den Wettkampf erreichen. Man neigt dazu, sich zu verbessern, weil der Wettbewerb einem den zusätzlichen Vorteil verschafft, aber ich weiß, dass ich immer in der Lage bin, meine Leistungen zu bringen, wenn ich an die Startlinie gehe. Ich habe einige Wettkämpfe abgesagt und nur auf den richtigen Moment gewartet, um die Saison zu beginnen, und Bislett war perfekt für mich.
Hast Du die ganze Zeit zu Hause mit anderen Hürdenläufern trainiert?
Karsten Warholm: Wenn ich im Training bin, trete ich nur gegen die Zeit an. Mein Trainer hat den Timer, und wir haben immer alle diese Benchmarks für Zeiten, die wir erreichen wollen. Wir pushen uns in Richtung dieser Zeiten. Ich denke, dies ist eine sehr gute Sache.
Haben die Leistungen des US-Konkurrenten Rai Benjamin dazu beigetragen, dass Du mehr gepusht hast?
Karsten Warholm: Auf jeden Fall. Konkurrenten sind eine gute Sache, aber auch eine Sache, die dich nervöser macht und dich mehr nachdenken lässt. Jeder will gewinnen, und wenn jemand großartige Leistungen zeigt, weiß man, dass man die Messlatte auch höher legen muss, um bei einer Meisterschaft in dieser Gesellschaft zu sein. Wenn sie großartige Zeiten laufen, spüre ich den Druck auf mich, das auch zu tun, und ich denke, diese Dinge treiben mich an, meine beste Version zu sein.
Hat Dich die lautstarke Unterstützung des norwegischen Publikums auch noch einmal mehr angetrieben?
Karsten Warholm: Es war etwas ganz Besonderes, denn als ich auf die Strecke ging, fingen alle an, mich anzufeuern und standen von ihren Stühlen auf. Ich dachte: „Verdammt, diese Leute glauben tatsächlich, dass ich einfach rausgehe und einen Weltrekord aufstelle! Sie erwarten es fast“. Dieser große Druck ist sehr schwer zu ertragen, aber gleichzeitig ist es auch eine sehr schöne Sache, denn wenn die Leute so etwas von dir erwarten, weißt du, dass du in einer sehr guten Position bist, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es mir auch ein bisschen Selbstvertrauen gab. Ich hatte das Gefühl, dass jeder dort an mich geglaubt hat, und dies war ein recht beruhigendes Gefühl, denn wenn all diese Leute an mich glauben, sollte ich auch an mich selbst glauben!
Auf der Bahn wirkst Du immer sehr selbstbewusst, aber hast Du privat auch einmal irgendwelche Zweifel?
Karsten Warholm: Ich denke, alle Sportler werden irgendwann nervös und fangen an, zu viel nachzudenken. Das sind die Gefühle, mit denen alle Menschen im Alltag umgehen müssen, aber ich denke, es geht nicht darum, dies immer zu verdrängen, sondern diese Gedanken zu verarbeiten. Ich habe einen Trainer, der wirklich schon sehr erfahren ist und all diese Dinge durchgemacht hat. Er kennt alle Gedanken, die sich im Kopf festsetzen können, es ist wichtig, darüber zu sprechen und sich dieser Gedanken bewusst zu sein. Wenn man sich mit diesen Gedanken auseinandersetzt, ist es natürlich viel, viel einfacher, sich wohlzufühlen und selbstbewusst zu sein, da rauszugehen, Spaß zu haben und zu versuchen, sein Potenzial zu erreichen.
Kannst Du dieses Jahr ungeschlagen bleiben, so wie in der Saison 2019?
Karsten Warholm: Ich habe mit dem Trainer darüber gesprochen. Die Sache kann zu einer großen Falle werden, weil wir immer in der Position sein wollen, in der wir angreifen, und ich will nicht in einer Position sein, in der ich etwaige Angst habe, zu verlieren. Ich möchte immer Chancen nutzen und versuchen, mein volles Potenzial auszuschöpfen. Ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken. Natürlich will ich immer gewinnen, aber ich zähle meine Siegesserie nicht. Bei Meisterschaften kann immer alles passieren.
Hast Du es schon geschafft, mit dem bisherigen Rekordhalter Kevin Young zu sprechen, zu kommunizieren?
Karsten Warholm: Ich habe tatsächlich per FaceTime im norwegischen Fernsehen mit ihm sprechen können. Er wollte seinen Rekord so lange wie möglich halten, aber ich denke, dass 29 Jahre in unserem Sport viel, viel zu lang sind, und das wusste er auch. Auf mich wirkte es so, als wäre er sehr glücklich, dass die neue Generation die Veranstaltung nun vorantreibt. Es ist cool, dass er es so sieht und will, dass wir Erfolg haben, auch wenn der Rekord lange Zeit in seinem Namen war. (Red Bull/SW)
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