Julian von Schleinitz: „Es geht nicht ums Gewinnen, nicht ums Gegeneinander“.
Julian von Schleinitz war Juniorenweltmeister im Rodeln, eiferte Felix Loch nach und hätte sicherlich einige Rennen oder noch mehr gewinnen können. Dann vor drei Jahren das überraschende Karriereende. Schon immer hatte der Ex-Rodler nicht nur den Sport, auch sein Studium war ein wichtiger Bestandteil. Irgendwann kam die Frage auf: Sport oder Beruf? Heute hat Julian von Schleinitz eine eigene Firma.
Julian, wir haben vor kurzem mit Rodelweltmeister Felix Loch gesprochen. Den kennst Du ja gut …
Julian von Schleinitz: Genau! Ich war sogar gerade mit ihm in Oberhof. Wir haben zusammen neue Schlitten getestet.
Theoretisch könntest Du im Wettkampf die Bahn auch noch runterfahren?
Julian von Schleinitz: Natürlich. Ich bin sogar spaßeshalber einmal gefahren, aber das war schon ungewohnt. Ich habe vor drei Jahren aufgehört. Seitdem ist in der Entwicklung einiges passiert. Da ich in dieser Entwicklung mitgeholfen habe, wollte ich das Gerät auch mal fahren. Im ersten Lauf habe ich mich noch nicht so wohl gefühlt, aber im zweiten Lauf ging es wirklich besser.
Aber es ist nicht so, dass Du jetzt, immer noch in der Blüte Deines Lebens, wieder Lust hast zu fahren? Armin Zöggeler ist ja beispielsweise auch noch mit über 40 Jahren die Bahn runtergestürzt.
Julian von Schleinitz: Bock hätte ich schon, aber mit meiner jetzigen Position bin ich zufrieden. Ich mache jetzt meine Doktorarbeit bei BMW fertig, leite technische Projekte beim Bob- und Schlittenverband. Da muss ich mich jetzt nicht wieder den ganzen Winter den Eiskanal runterstürzen. Insgesamt ist mir die Ingenieurstätigkeit auf Dauer lieber.
Warum hast Du denn damals aufgehört?
Julian von Schleinitz: Das war damals vor Olympia. Ich hatte die Qualifikation nicht geschafft. Das ist bei uns in Deutschland sehr schwierig und Olympia war 2018 mein letztes Ziel. Danach hätte ich sowieso aufgehört, weil ich mit dem Studium fertig war. Das Verhältnis zwischen Sport und Beruf hat nicht mehr gestimmt. Als Student kann man Sport machen und nebenbei das Studium durchziehen. Man reist, man hat Spaß und verdient etwas dazu. Wenn man aber nach dem Studium Berufserfahrungen sammeln möchte, dann ist das eine andere Rechnung.
Durch Deine Tätigkeit beim Verband hast Du noch Kontakt. Was hast Du alles mitbekommen, wie sind die Rodler durch die Pandemie gekommen?
Julian von Schleinitz: Für den Rodel-, Bob- und Skeletonsport ist es in dem Jahr gut gelaufen. Es konnten reguläre Weltcuprennen gefahren werden und man konnte die Sportart im Fernsehen gut präsentieren. Wir testeten ganz normal das Material innerhalb Europas. Es darf sich trotz des Corona-Virus bei uns keiner beschweren und darüber sind wir alle dankbar, dass diese Saison so gut gelaufen ist.
Wann hast Du für Dich gemerkt, dass das Rodeln nicht das einzige für Dich ist und Du nebenbei noch andere Dinge wie ein Studium machen möchtest?
Julian von Schleinitz: Das habe ich schon gewusst, bevor ich angefangen habe mit dem Rodeln. Am Anfang war das alles noch ein bisschen Spaß. Dann ist es irgendwann ernster geworden, aber mir war immer klar, dass ich nicht nur Rodler werden will, sondern ich habe mir irgendwann in den Kopf gesetzt, Ingenieur zu werden. Ich hatte nie eine Zeit beim Rodeln, wo ich nichts nebenbei gemacht habe. Ich habe mein Studium normal in der Regelstudienzeit neben dem Sport gemacht, weil ich hohe Priorität darauf gesetzt habe. Das war mir immer wichtig.
War das nicht lästig, wenn Du für den Leistungssport durch die Welt gereist bist und trotzdem noch das Studium machen musstest oder war es eine sinnvolle Ablenkung?
Julian von Schleinitz: Es ist schon stressig, weil es vielleicht auch mir als Rodler nicht wirklich geschadet hätte, mich bei manchen Sachen mehr mit dem Sport zu beschäftigen. Beispielsweise sind meine Kollegen nachmittags immer noch einmal die Fahrlinien durchgegangen, ich habe studiert. Aber für mich war der Ausgleich immer wichtig. Das eine ist eher etwas Körperliches, wobei man auch beim Rodeln mental sehr viel Stärke braucht. Das andere dagegen ist das Studium, wo der Druck nicht so hoch im Vergleich zum Sport ist, denn, wenn ich in einer Prüfung einen Fehler mache, dann streiche ich es durch und schreibe es dann richtig hin. Wenn ich beim Rodeln einen Fehler mache, dann war es das mit dem guten Resultat.
Du warst Junioren-Weltmeister. Wenn Du dann mal selbst reflektierst, denkst Du manchmal, wenn ich nicht studiert hätte, dann hätte ich Weltcuprennen und Meisterschaften gewonnen?
Julian von Schleinitz: Ich schaue schon ab und zu auf meine Juniorenmedaillen und bin da auch sehr stolz darauf, auf das, was ich im Sport erreicht habe. Vielleicht hätte ich auch ohne mein Studium mehr erreicht, aber vielleicht auch nicht. Ich bereue es auf keinen Fall, wie es gelaufen ist. Natürlich wäre ich auch sehr gerne Olympiasieger wie Felix Loch geworden, keine Frage, aber wenn ich heute schaue, dann habe ich alles richtig gemacht.
Was war denn der Impuls, dass Du Unternehmer werden wolltest?
Julian von Schleinitz: Seit drei Jahren bin ich nun selbstständig. So berate ich zum Beispiel den Bob- und Schlittenverband und habe dieses Jahr verstärkt das neue Sportgerät mit entwickelt. Bei BMW haben wir viele Technologiethemen und die koordiniere ich mit dem Verband. Wenn es technische Probleme geben sollte, dann findet man bei BMW immer einen Fachmann, der helfen kann. Der Impuls zu dem Start-up kam durch die Deutsche Sporthilfe. Ich habe mich bei deren Akademie angemeldet, weil mich die Grundlagen für eine Unternehmensgründung interessiert haben. In diesem Rahmen wird man auch ermutigt, selber etwas zu gründen. Meine Freundin Carina Hock und ich haben uns dann erst entschieden „bavarian Ai“ zu gründen. Das ist eine Beratung für Unternehmen zum Thema künstliche Intelligenz, darüber mache ich auch eine Doktorarbeit. In Deutschland ist das datengetriebene Arbeiten noch nicht so weit wie in den USA oder in China. Ganz viele Mittelständler in Deutschland machen noch gar nichts mit künstlicher Intelligenz und an denen geht der Trend vorbei. Das fanden wir schade und beunruhigt uns auch, wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland von China abgehängt wird, nur weil die in dem Bereich deutlich besser sind. Wir haben noch echt viel Know-how in Deutschland und können vieles, was sie in China vielleicht nicht können. Aber in der künstlichen Intelligenz sind sie weit voraus, weil sie sich auch nicht um Datenschutz kümmern. Wir wollen künstliche Intelligenz in den Mittelstand bringen und die Unternehmen dann aber auch dauerhaft begleiten.
Wie weit seit Ihr mit Eurem Start-up?
Julian von Schleinitz: Wir bauen gerade unsere Webseite, machen Umfragen bei den Zielkunden. Wir sind dabei, das alles zu evaluieren und wollen es dann zeitnah umsetzen.
Wie ist die Resonanz bisher? Was sagen potentielle Kunden?
Julian von Schleinitz: Erst zurückhaltend. Aber wenn man dann in die Tiefe geht und ihnen sagt, was man damit machen kann, zum Beispiel anhand von Daten Vorhersagen zu saisonalen schwankendem Bedarf machen oder vorausberechnen, wann Maschinen kaputt gehen können, dann kommt doch Interesse. Wir hoffen, dass wir mit anfangs kleinen Projekten zeigen können, dass da was geht und wir dann gemeinsam eine Strategie entwickeln, wie man in der Zukunft noch mehr davon profitieren kann.
Warum sind denn Sportler gute Unternehmer?
Julian von Schleinitz: Die klassischen Tugenden eines professionellen Sportlers sind Durchsetzungsfähigkeit, Beharrlichkeit und Fleiß. Aber am meisten hat mir die mentale Stärke geholfen. Wenn man mal bei einer Weltmeisterschaft oben am Start stand und es geht um alles oder nichts, oder in einer Qualifikation hängt die Karriere von einem Rennen ab, von der einen Kurve, von dem einen Moment, dann übt das so einen enormen Druck aus. Die Risikobereitschaft trotzdem das Rennen zufahren, auch wenn die ganze Karriere daran hängt, macht es dann aus. Das passt gut zu einer Start-up Philosophie. Die meisten Start-ups scheitern, was ja nicht schlimm ist. Man probiert etwas Neues und schaut, ob es einen Markt dafür gibt. Und wenn es keinen gibt, dann macht man etwas anderes. Mit dieser Risikobereitschaft und der mentalen Stärke lässt man sich nicht unterkriegen, bei einem Rückschlag.
Was war Denn für Dich die größte Herausforderung? Woran musstest Du Dich erst mal gewöhnen?
Julian von Schleinitz: Dass man diesen ganz langen Horizont in der Planung und am Anfang diesen Gesamtüberblick haben muss. Als Sportler konzentriert man sich auf einen Wettkampf, man muss sehr fokussiert sein. Im Berufsleben muss man aber diesen Gesamtüberblick haben und sich immer hinterfragen, ob es Sinn macht, was ich tue, oder nicht. Es ist wichtig, dass man auch mal einen Schritt zurückgehen kann und das Ganze bewertet. Mal außerhalb des Reglements. Die Sinnfrage muss man in der Wirtschaft und als Selbstständiger häufiger stellen als im reinen Sport.
Jetzt warst Du mit Deiner Idee in einem Pitch. Auch andere Sportler stellen der Deutschen Sporthilfe ihre Ideen vor. Ist so ein Pitch auch eine Art Wettkampf?
Julian von Schleinitz: In diesem Pitch gewissermaßen schon. Wenn man als Rodler in einem Rennen Zweiter wird, dann interessieren sich alle für den Sieger. Wenn ich aber in der Wirtschaft das zweitbeste Auto der Welt baue, dann ist es immer noch richtig gut. Es geht nicht ums Gewinnen, nicht ums Gegeneinander. Die meisten Wachstumschancen hat man nicht, weil man einen direkten Konkurrenten ausgestochen hat, sondern dann, wenn man etwas Neues erschafft. (OD)
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