Johannes Lukas: „Ich erwarte viel von meinen Athletinnen und Athleten“.
Johannes Lukas ist bereits seit 2015 im schwedischen Skiverband als Trainer aktiv und 2019 übernahm der gebürtige Münchner den Posten des Biathlon-Cheftrainers von Wolfgang Pichler. Einer Legende dieses Sports. Auf Erfahrung folgt die Jugend, denn Johannes Lukas ist gerade erst 27 Jahre alt. Mit 21 Jahren erfuhr die eigene Karriere im Biathlon ein frühes Aus, der erste Trainerposten war aber im Fußball.
Herr Lukas, haben Sie eigentlich kein schlechtes Gewissen? Ihr schwedisches Biathlon-Team hat der deutschen Mannschaft mehrfach in diesem Winter in der Loipe und am Schießstand die Grenzen aufgezeigt …
Johannes Lukas: Schlechtes Gewissen? Naja, also ein schlechtes Gewissen habe ich jetzt nicht. Ich mache meinen Job bei den Schweden. Wir haben dem deutschen Team auch nicht die Grenzen aufgezeigt, sondern wir hatten sehr, sehr gute sowie sportliche Fights. Mir fällt dazu auch gleich Hochfilzen ein. Bei der Staffel der Frauen haben wir im Sprint das bessere Ende gehabt, dafür hat beim Massenstart der Arnd Peiffer triumphiert. Einfach faire Wettkämpfe. Ja, das macht auf diesem sportlichen Niveau dann einfach richtig Spaß!
Der positive Trend hatte sich ja schon in den letzten Jahren abgezeichnet, mit Hanna Öberg und Sebastian Samuelsson kämpfen Sie ja nicht erst seit dieser Saison um Podestplätze und Siege. Was macht Ihr Team gerade so gut?
Johannes Lukas: Eine sehr gute Frage. Das ist, denke ich, unsere konsequente, gute Arbeit über viele Jahre. Wir arbeiten im Team seit vielen Jahren zusammen. Wir haben junge Athletinnen und Athleten schon sehr frühzeitig ins Team und in den Weltcup gebracht, damit sie wirklich Zeit haben sich zu entwickeln.
Und ich muss ehrlich sagen, wir sehen selbst, dass es jedes Jahr leicht nach oben geht. Wir ruhen uns auch nicht aus. Wie man auch in diesem Jahr gesehen hat, es kommen neue Talente nach, denen wir die Chance geben. Das ist unser Ansatz.
Auf der anderen Seite, was können Sie noch verbessern?
Johannes Lukas: Ja, verbessern kann man immer etwas. Wir wollen uns weiterhin steigern. Wir wollen auf jeden Fall schneller laufen und besser schießen. Wir wissen um unsere Ansätze. Ein Thema ist beispielsweise die Höhe. Da haben wir in diesem Jahr so unsere Probleme gehabt, die ganze Leistung zu entwickeln. Also zwischen 1.600 und 1.800 Meter haben wir uns schwerer getan. Wenn man nun daran denkt, Olympia 2022 liegt auf eben dieser Höhe, dann ist das definitiv eine Sache, die wir in diesem Jahr noch verbessern wollen.
Blicken wir einmal speziell auf die schwedischen Frauen: Mit Hanna und Elvira Öberg trainieren Sie ein Geschwisterpaar. Ist die Konkurrenzsituation größer als bei anderen Athletinnen? Bedarf es hier einer speziellen Ansprache?
Johannes Lukas: Also mit der Hanna und der Elvira haben wir natürlich schon eine spezielle Situation. Ich muss auch sagen, dass wir die Situation früh erkannt haben. Ich habe mit beiden das Gespräch im Juli gesucht, weil ich gesehen habe, dass sich die Elvira sehr gut entwickelt. Auf einem sehr guten Weg ist und dadurch auch eine gewisse Konkurrenzsituation entsteht. Wir haben das früh geklärt und beide konnten sich vorbereitet. Wir haben Grenzen zwischen dem privaten Leben der Schwestern und dem Leben der Konkurrentinnen gesetzt. Das haben sie sehr gut gelöst, da bin ich wirklich froh drum. Mittlerweile ist es ist es so gut, dass sie sogar oft ein Zimmer teilen. Für einen Trainer aktuell eine perfekte Situation.
Apropos Ansprache: Mit 27 Jahren sind Sie oftmals jünger als einige Stars im Biathlon-Weltcup. Ihre eigene Karriere war schon vor dem Durchbruch vorbei. Erfahrung kann in Ihrem Fall also nicht der Schlüssel zum Erfolg sein. Doch als Cheftrainer müssen Ihnen Ihr Stab, und noch viel mehr die Athletinnen und Athleten folgen. Wie verschaffen Sie sich diese Autorität?
Johannes Lukas: Das ist eine Frage, die ich tatsächlich sehr oft gestellt bekomme, die in meinem Alltag aber gar keine Rolle spielt. Ich hab einen ganz simplen Ansatz. Ich erwarte viel von meinen Athletinnen und Athleten, sie können aber auch viel von mir erwarten. Wir können an lockeren Tagen auch mal Kumpel sein, Witze machen, aber an wichtigen Tagen, beispielsweise mit Intervalleinheiten oder wenn ich etwas sehr wichtiges ansagen will, dann merken alle schon an meinem Auftreten oder an meiner Ansprache, dass heute nicht mit mir zu spaßen ist … „Heute müssen wir abliefern. Heute will er 110 Prozent von uns“. Das ist auch eine Sache, die musst du vorleben. Da musst du das Training perfekt durchgeplant haben, musst pünktlich sein. Du musst alles vorbereitet haben, bevor die Athletinnen und Athleten kommen.
Mit diesem Mix bin ich bisher sehr gut gefahren. Das ist auch meine natürliche Art, dass ich einfach ein lockerer Typ sein kann, aber dann doch 100 Prozent fokussiert und konzentriert bin und ja, sehr hohe Erwartungen stelle. Aber auch an mich selbst
In welcher Sprache kommunizieren Sie eigentlich mit dem Team? Oder einmal ganz direkt gefragt: Wie gut können Sie sich in Schwedisch unterhalten?
Johannes Lukas: Ich hab mir die letzten eineinhalb Jahre Schwedisch beigebracht und spreche mittlerweile fließend. Ich mache alles auf Schwedisch. Man muss dazu aber sagen, ich schreibe tatsächlich meistens noch auf Englisch. Einfach nur, weil es schneller geht und weil ich da oft faul bin. Ansonsten: Trainingspläne, komplette Besprechungen, Analysen, Coaching im Training und Arbeit mit den Medien nur auf Schwedisch. Da bin ich auch stolz drauf. Das werde ich so schnell nicht ändern.
Die Saison im Biathlon ist vorbei. Was steht die nächsten Tage und Wochen in Ihrem Terminkalender? Entspannen Sie nach der Saison?
Johannes Lukas: Im Endeffekt geht für mich jetzt die Analyse der Saison los und natürlich die Planung der nächsten Saison. Da sind wir jetzt auch schon relativ weit. Wir versuchen natürlich jetzt gute Schlüsse aus diesem Jahr zu ziehen. Was haben wir gemacht? Was hat gut funktioniert? Was wollen wir nächstes Jahr davon wieder machen? Dann gibt es die klassische Analyse, also ein Einzelgespräch. Und daraus ergibt sich in der Regel ein Bild: Okay, das war gut, das war nicht gut.
Dazu kommt dann noch: Was haben wir für neue Ziele nächstes Jahr? Wie können wir diese erreichen? Und dann ist das wie ein Puzzle. Man legt sich einen Rahmen und setzt mehr und mehr Puzzleteile ein. Bis das Puzzle dann fertig ist.
Leider ist die Pandemie immer noch ein gewichtiges Thema und Ihr Sport war viel unterwegs. Wie hat sich Biathlon so in der Pandemie geschlagen?
Johannes Lukas: Ich finde, der Biathlonsport hat sich sehr gut geschlagen. Ich bin auch dankbar für die Möglichkeiten die wir hatten. Ein großer Dank gilt hier der IBU. Sie haben uns wirklich sichere „Bubbles“ bereitgestellt. Sie haben ein super Test-Konzept ausgearbeitet. Wenn man sieht, wie viele tausende Tests wir hatten und dann doch nur wenige positive Fälle, muss man wirklich sagen, dass es eine recht erfolgreiche Saison war und dass es definitiv auf einem sicheren Niveau war.
Dazu kommt: Wir selbst haben uns auch als Team sehr harte Regeln auf auferlegt und es hat sehr gut funktioniert. Wir hatten einen einzigen positiven Fall, nämlich ein Trainer in Nove Mesto. Doch das war kein Problem für die Mannschaft. Unser Team war nämlich noch einmal in einzelne Gruppen unterteilt und das Trainerteam hatte mit den Athletinnen und Athleten in geschlossenen Räumen gar keinen Kontakt. Nur Online-Meetings oder ansonsten nur im Freien, mit Maske und Abstand. Da haben wir alle sehr gut gearbeitet.
Und bei dem einen positiven Fall bin ich als Kontaktperson ganz automatisch mit in die Quarantäne gegangen. Das es eben keine Athletin oder keinen Athleten betrifft. Und die Hauptsache: Allen geht es gut, alle sind durch die Saison gekommen.
Kommen wir noch einmal zurück zum Sport. Die Winterspiele in Peking sind das Highlight der nächsten Saison. Ab wann beginnt die Vorbereitung?
Johannes Lukas: Peking, das ist das große Thema im nächsten Jahr. Zum 1. Mai beginnt bei uns die Vorbereitung. Das heißt, der April ist der Monat, wo mein Team auch einmal Ruhe vor mir hat. Also ab und zu werde ich anrufen … aber ansonsten haben sie ihre Ruhe. Dann bereiten wir uns aber so gut wir können vor. Es ist immer natürlich auch eine Frage der Ziele, aber Olympia ist schon ein besonderer Druck. Man muss sich auf diesen Moment perfekt vorbereiten. Das ist eine gewisse Kunst, aber es muss alles perfekt laufen, um in Peking eine Medaillen zu gewinnen.
Welche Trainingsschwerpunkte setzen Sie zur Saison hin?
Johannes Lukas: Schwerpunkt für die neue Saison ist definitiv weiterarbeiten mit der physischen Kapazität, so wie wir es in diesem Jahr gemacht haben. Läuferisch wollen wir noch einmal einen kleinen Schritt machen. Wir wollen die Schießzeiten effektiver gestalten, aber die Trefferquote dabei nicht vernachlässigen. Diese zwei Punkte haben wir im letzten Jahr angefangen und wir haben gesehen, dass es gut funktioniert. Es ist definitiv noch was zu tun.
Welche Ziele verfolgen Sie in der kommenden Saison und bei Olympia?
Johannes Lukas: Die Ziele für nächstes Jahr sind klar. Natürlich Olympia, man will eine Medaille gewinnen. Das ist auf jeden Fall das Ziel. Natürlich fahren viele auch hin, um diesen olympischen Gedanken zu verfolgen und ein Teil der Spiele zu sein. Aber nach sechs Medaillen bei der WM 2020 ist diese Zeit leider vorbei. Wir müssen realistisch sein und müssen sagen, wir wollen definitiv eine Medaille bei Olympia gewinnen. Und ansonsten ist mein Ziel für die Saison gesund bleiben. Wieder einen Schritte nach vorne machen und einfach sehen, dass sich das junge Team nach wie vor noch entwickelt und ich das Team nach wie vor gut erreichen kann.
Als ich auf Ihrer Webseite (https://trainingssystem.com) war, habe ich sehr viel über Ihr breites Trainingsangebot gelesen, und auch, dass Sie vor Ihrer Zeit in Schweden schon bei 1860 München gearbeitet haben. Wie passen Fußball und Biathlon zusammen? Kann man Inhalte einfach transferieren?
Johannes Lukas: Ich habe bei 1860 im Nachwuchsleistungszentrum gearbeitet. Es war eine sehr spannende Zeit, es war eine sehr interessante Zeit. Diese hat mich auch wirklich geprägt. Ich habe sehr viel gelernt, gerade im Umgang mit Sportlern. Führung übernehmen, Trainingszeiten gut gestalten und so weiter. Der Fußball ist das Idealbild, alles ist sehr professionell. Es gibt viele Spezialisten und Erfolg über Jahre, hier konnte ich mir definitiv viel abschauen. Wie steigert der beste Klub der Welt noch einmal seine Potenziale? Welche Spezialisten kann man sich ins Team holen? Ich denke, hierfür kann der Fußball ein gutes Beispiel sein, ansonsten ist es eher schwierig, weil Biathlon ja aus zwei Sportarten besteht. Fußball ist für sich eine komplexe Sportart, und es gibt einzelne Momente, wo ein enormer Druck, mentaler Druck, auf dem Profi lastet, wie im Biathlon beim Schießen. Der mentale Fokus ist vergleichbar und man kann das eine oder andere transferieren.
Sie sind in München geboren! Sind Sie ein „Roter“ oder ein „Blauer“? Und: Wenn der „falsche“ Verein aus München anfragt, trotzdem eine Option?
Johannes Lukas: Ja, ich bin ein original Münchner Kindl, kann man sagen. Bin ich ein Roter oder Blauer? Das ist eine schwierige Frage. Ich bin ursprünglich ein Roter, aber durch meine Arbeit bei den Blauen bin ich mittlerweile ein Münchner Fan. Ich freue mich auch, wenn beispielsweise Unterhaching gut spielt. Also ich bin lokaler Fan beim Fußball und wünsche allen unseren Vereinen aus München alles Gute. Und ja, wenn der eine oder andere Verein bei mir anfragen sollte, ist es definitiv eine Option. Ich habe auch schon oft gesagt, dass ich erst 27 Jahre alt bin. Ich fühle mich aktuell sehr wohl im Team, ich will aber nicht ausschließen, dass ich vielleicht in der Zukunft noch einmal in einer anderen Sportart oder bei einen anderen Nation lande. Das ist aktuell aber kein Thema für mich. Aber wie gesagt: Ich bin erst 27 Jahre alt und hoffentlich habe ich noch ein paar Jahre vor mir als Trainer. Deswegen sollte man so etwas niemals ausschließen. (TX)