Jens Fuge: „Die „Diablos“ sind Ultras, die in ganz Deutschland anerkannt sind“.
Der Verein BSG Chemie Leipzig kann eine bewegte fußballerische Vergangenheit aufweisen, sowohl in der DDR als auch im vereinten Deutschland. Obwohl von der Parteiführung nicht gewollt, zieren zwei DDR-Meisterschaften den Briefkopf. 1997 die Umbenennung zurück und der Verein musste in der 12. Liga durchstarten. Mit Jens Fuge gehen wir auf einige dieser interessanten Momente einmal näher ein.
Herr Fuge, welche sportlichen Ziele hat sich die BSG denn in den kommenden Jahren gesetzt? Nur Regionalliga mit diesen Fans …
Jens Fuge: Erst einmal ist das sportliche Ziel, sich in der Regionalliga zu etablieren. Auf Sicht den Abstiegskampf immer mit dem nötigen Abstand zu verfolgen und sich auf andere Ziele zu konzentrieren wäre schön. Das ist aber noch ein langer Weg. In der abgebrochenen Saison konnten wir zwar den 3. Platz belegen, wir wissen aber, es entspricht nicht der Realität. Wir konnten nur ein Drittel der Saison spielen. Dies also dauerhaft zu fordern wäre vermessen und völlig überzogen. Am Ende nehmen wir solche positiven Ausrutscher aber gerne mit. Doch es geht für die BSG Chemie erst einmal nur um die Etablierung in der Regionalliga.
Von einer Klasse höher spricht aktuell keiner im Verein. Das ist professioneller Sport und allein schon aus finanzieller Sicht absolut gar kein Thema. Dazu dann noch die Infrastruktur … absolut keine Thema. Das ist für die BSG Chemie so weit weg, wie die Erde vom Mond. Aber der Mensch war ja schon auf dem Mond, von daher ist es vielleicht nicht unmöglich, aber aktuell komplett surreal.
Tradition gegen Moderne ist in Leipzig äußerst präsent. Wie geht man mit den Entwicklungen im Verein um?
Jens Fuge: Das ist äußerst schwer zu definieren. Man könnte es natürlich über den finanziellen Aspekt definieren, oder Traditionsverein gegen Neugründung. Egal wie man es am Ende definieren will und kann, es sind einfach riesige Unterschiede. Wir versuchen als Verein aber auch modern zu sein und nicht nur in unserer Tradition zu verharren. Man muss heute Entwicklungen erkennen und mit seinen Mitteln dann umsetzen. Wir wollen vorankommen und wenn man sich die letzten Jahre anschaut, ist es uns irgendwie gelungen. Wer rastet der rostet!
Zu dem Bundesligisten, der sich hier in Leipzig angesiedelt hat, besteht überhaupt keine Konkurrenz. Es sind völlig verschiedene Welten.
Chemie feierte in der DDR zwei Meisterschaften, gegen das politische Regime. Der Erfolg 1964 war sensationell. Wie kam es dazu?
Jens Fuge: Das hat sehr viel mit der Politik in der ehemaligen DDR zu tun, alles wurde geplant. Auch Erfolge im Sport. Um 1963 den Standort Leipzig im Fußball zu stärken, wurde der SC Leipzig gegründeten. Mit den vermeintlich besseren Spielern aus SC Lokomotive und SC Rotation. Die restlichen Spieler wurden einfach zur BSG Chemie Leipzig delegiert. In der heutigen Zeit würde man wohl von der Resterampe sprechen. Doch genau dieser „Rest von Leipzig“ bewies, Sport ist nicht planbar und feierte am 10. Mai 1964 die Meisterschaft. Darum sieht man bei den Ultras auch die Zahl 64 überall, als das Symbol für diese Sensation.
Machen wir einen politischen und zeitlichen Sprung. Warum wurde zur Wende aus dem alten Traditionsverein das neue Konstrukt Sachsen Leipzig? Und was führte später zum Scheitern?
Jens Fuge: Ein großes Thema, nicht nur im Fußball. Ich will es aber kurz halten. Mit der Wiedervereinigung war einfach vieles nicht mehr gewollt. Nicht nur vom Westen aus, auch vom Osten selbst. Im Sport konnte man dies an den traditionellen Namen der Vereine fest machen, die aber oftmals einen tiefen Sinn hatten. Chemie Leipzig erhielt seinen Namen durch die Nähe zur chemischen Industrie in Leipzig. Doch der Chic fehlte und dann hat man dem Verein einen völlig belanglosen Namen gegeben: FC Grün-Weiß Leipzig mit einem grün-weißen Frosch im Logo. Dies war eine ganz einsame Entscheidung und nach nur einem einzigen Punktspiel wurde daraus der FC Sachsen Leipzig. Bei dieser Namensgebung hat man sich beispielsweise am FC Bayern München orientiert. Bundesland und Stadt vereint.
Der Niedergang fing direkt 1990 an, als man sich nicht für die Bundesliga oder die 2. Liga qualifizieren konnte. Von diesem Zeitpunkt fehlten ständig die finanziellen Mittel und ein Machtkampf folgte auf den nächsten. Ruhiges Arbeiten war nicht möglich … es ging vielen handelnden Personen auch nicht um Fußball.
Welche Rolle spielen die „Diablos“ für die BSG?
Jens Fuge: Die „Diablos“ sind Ultras, die in ganz Deutschland anerkannt sind. Mit den Ultras von Eintracht Frankfurt verbindet diese mächtige Gruppierung eine große Freundschaft, aber dies muss ich der Redaktion von „sportflash.online“ nicht erzählen, die hörbar stolz auf Stadt und Verein sind. Also auf Frankfurt.
Doch die „Diablos“ sind bei der BSG Chemie nicht nur für die Stimmung zuständig, diese Gruppierung hat den Verein vom ersten Tag an in allen Belangen unterstützt. Die „Diablos“ gehören zum Verein seit Start in der 12. Liga.
Ein ganz, ganz wichtiger Punkt für mich bei den „Diablos“ ist, dass diese Fans von der ersten Stunde gegen rechten Hass angegangen sind!
Unser Team besteht zur Hälfte aus gebürtigen Frankfurtern. Egal ob man Fan von der Eintracht, vom FSV oder von Rot-Weiss ist, unser natürlicher „Feind“ sitzt auf der anderen Seite des Mains. In Leipzig herrscht auch Rivalität. Woher kommt die Abneigung zu Lok.?
Jens Fuge: Es ist eine Problematik, welche in der DDR begründet liegt. Lok. Leipzig war der politisch bevorzugte Verein, mit allen Vorteilen auf seiner Seite. Das ging so weit, dass sich Lok. jederzeit bei unseren guten Nachwuchsspielern bedienen durfte und diese dann auch wechseln mussten. Manche wollten auch, das gehört auch zur Wahrheit. Die Besonderheit war nicht der Wechsel, die gibt es auch heute, sondern diese befohlenen Wechsel, ohne Möglichkeit auf Profit.
Diese Hilflosigkeit wurde von Generation an Generation übertragen und sitzt daher so tief, dass diese natürliche Abneigung weiterhin besteht.
Bei uns in der Heimat sprechen noch viele Fans von dem Freundschaftsspiel zur Unterstützung der BSG. Gibt es in der Vereinsführung noch Kontakte zu Eintracht Frankfurt und gibt es eventuell sogar Überlegungen für die Zukunft irgendwie zu kooperieren?
Jens Fuge: Ich weiß nur, dass die Eintracht zugesagt hat, wenn das Flutlicht dann steht, für das Einweihungsspiel zur Verfügung zu stehen. Ob es dann dazu kommt, muss man natürlich abwarten und dann sehen. (LB/TX)
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