Elke Heitmüller, Christian Rudolph: „Wir müssen immer Haltung zeigen“.
Regenbogenfarben als Zeichen für ein Mehr an Vielfalt: Der VfL Wolfsburg beteiligt sich wieder an den internationalen Wochen gegen Rassismus. Elke Heitmüller, die Leiterin Volkswagen Group DiversityManagement, und Christian Rudolph, der Leiter der zentralen DFB-Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, reden über männliche Stereotype im Fußball und verraten vieles mehr zum Thema Vielfalt.
Frau Heitmüller, Herr Rudolph, warum ist es auch 2021 noch so wichtig, das Thema Vielfalt aktiv hervorzuheben?
Elke Heitmüller: Unser Ziel ist es, Diversity und Inklusion in der Gesellschaft besser zu leben und auch bei Volkswagen weiter zu stärken. Das ist ein Marathon und kein Sprint. Ohne Diversity können Kulturwandel und Transformation bei Volkswagen gar nicht funktionieren. Beides müssen wir aktiv mit voranbringen. Wir können auf eine Perspektivenvielfalt, die eine diverse Belegschaft mit sich bringt, nicht verzichten … Wir müssen die verschiedenen Erfahrungen der Mitarbeitenden nutzen.
Christian Rudolph: Dem kann ich nur zustimmen. Ich finde es unheimlich wichtig, dass wir nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft immer Haltung zeigen. Wir müssen Vielfalt auch selber leben, uns dafür einsetzen. Da sind wir heute alle gefragt. Der Fußball ist so vielfältig, gerade an der Basis. Aber diese Vielfalt wird an der Spitze noch nicht abgebildet. Diese Diversität fehlt uns. Es existieren falsche Stereotype, die wir auflösen müssen. Dafür ist es wichtig, dass wir Vielfalt fördern und befördern.
Elke Heitmüller: Das ist ein Prozess. Um die Transformation und den Kulturwandel bei Volkswagen weiter voranzutreiben, brauchen wir dafür auch ein modernisiertes Managementverständnis. Genau da setzen wir zum Beispiel mit unserem Programm „diversity wins @ Volkswagen“ an: Das Training sensibilisiert die Führungskräfte für unbewusste Vorurteile sowie den Nutzen von Perspektivenvielfalt, die erfolgreiche Teams ausmacht.
Was bedeutet Diversität für Sie?
Christian Rudolph: Für mich ist es Vielfalt, wenn wir es schaffen, alle Menschen abzubilden und einzubeziehen, die in unserer Gesellschaft leben. Auf den Fußball bezogen: Amateurinnen und Amateure leisten äußerst gute Basisarbeit für ein gutes Miteinander, ein gutes Zusammenleben. Und auf dem Fußballplatz kommen so viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds zusammen. Diese Menschen sind aber nicht wirklich überall vertreten. Ich kenne zum Beispiel kaum Schwarze Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter im europäischen Fußball. Genauso wenig kenne ich Menschen mit Behinderung, die bei einem Profi-Verein im Vorstand oder in der Geschäftsführung aktiv sind. Da sind wir noch mehr gefordert.
Elke Heitmüller: Vielfalt heißt für mich, dass sich jeder Mensch mit seinem Wissen und seiner Erfahrung einbringen kann … unabhängig vom Alter, vom kulturellen Hintergrund, von der Herkunft, vom Geschlecht, von der Hautfarbe oder von der sexuellen Orientierung. Es geht darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, mit Respekt behandelt wird und dann sein volles Potenzial entfalten kann. Das heißt aber auch, dass diese Interessensgruppen in Führungspositionen vertreten sind … egal ob im Fußball, in der Politik oder in der Wirtschaft. Gerade in diesen Positionen braucht es die Perspektivenvielfalt.
Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hat der DFB jetzt seit 2021 eine zentrale Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Was ist der Grundgedanke dabei?
Christian Rudolph: Uns ist es wichtig, Sichtbarkeit für das Thema zu schaffen und weiter aufzuklären, im Profibereich wie auch bei den Amateuren. Wir sind eine reine Anlaufstelle für alle LSBTI+ Menschen und haben diese Stelle extra „Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ genannt. Die Förderung von geschlechtlicher Vielfalt ist ein wichtiger Punkt: Wir sprechen über trans, inter, divers oder nonbinär. Uns können aber auch alle, die im Fußball aktiv sind und eine Beratung wünschen, kontaktieren.
Wie wird die DFB-Anlaufstelle bislang angenommen?
Christian Rudolph: Gut. Wir haben die Anlaufstelle in der Community schon lange gefordert, weil wir die Unterstützung vom Fußball und speziell vom DFB brauchen. In den ersten Monaten hatten wir große öffentliche Aufmerksamkeit. Es gab viele Anfragen aus der Community, auch Landesverbände sind auf mich zugekommen. Ein Hauptthema ist das Spielrecht für trans und inter Spielerinnen und Spieler sowie für Spielerinnen und Spieler mit dem Geschlechtseintrag „divers“.
Gibt es auch bei Volkswagen eine zentrale Anlaufstelle, Frau Heitmüller?
Elke Heitmüller: Wir haben hier bei Volkswagen ein paar Anlaufstellen: Das Group Diversity Management sowie Diversity-Ansprechpartnerinnen und -Ansprechpartner in allen größeren Werken und beim Betriebsrat. Unsere Mitarbeitenden-Netzwerke nehmen eine entscheidende Rolle ein. Und wir haben ein sehr aktives LGBTIQ-and-friends-Netzwerk, mit welchem wir Veranstaltungen anbieten und Wissen vermitteln. Viele Menschen haben gewisse Vorbehalte, weil sie nicht gut informiert sind. Unsere Aufgabe ist es, dass das Thema bekannter wird. Menschen, die sich noch nicht voll und ganz anerkannt fühlen, sollen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei uns haben und wissen, an wen sie sich wenden können. Sie sollen wissen, dass sie nicht alleine sind und wir die Herausforderung gemeinsam lösen können.
Warum ist Diversität im Profifußball häufig noch ein Tabuthema, wenn es zum Beispiel um das Outing geht?
Christian Rudolph: Eine große Schwierigkeit sind die Stereotype, die es im Fußball gibt. Diese übertriebene Männlichkeit, Kampfstärke, Durchsetzungsvermögen. Über Depressionen, den großen Druck vor wichtigen Spielen oder Verletzungstiefs wird im Profibereich dagegen sehr wenig gesprochen. Ein Grund dafür ist sicherlich die große Öffentlichkeit, auch durch Social Media. Die Profis stehen heute ständig unter Beobachtung, werden hochgejubelt und ebenso schnell ausgepfiffen. Daher wollen sich die meisten nicht angreifbar machen.
Im letzten Jahr war die VW-Kampagne „We drive Diversity“ sehr erfolgreich. Warum hilft die Plattform Fußball immer wieder dabei, Aufmerksamkeit für das Thema Vielfalt zu schaffen?
Elke Heitmüller: Die erfolgreichen Teams sind divers. Fußball transportiert ideal die Message: Homogenität ist innovationsfeindlich und führt nicht zu guten Ergebnissen. Das Erfolgskonzept ist, dass jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten am optimalen Platz eingesetzt ist und seine Fähigkeiten vielfältig sind. Das kann man beim Sport lernen. Fußball verknüpft den Diversity-Gedanken mit Spiel, Spaß und Wettbewerb.
Das Fußballmagazin „11Freunde“ hat zuletzt mit der Kampagne „Ihr könnt auf uns zählen“ ebenfalls auf das Thema Vielfalt aufmerksam gemacht. Dabei haben über 800 Profis, unter anderem auch Torhüterin Almuth Schult vom VfL Wolfsburg, homosexuellen Profis den Rücken gestärkt. Welchen Umgang mit dem Thema wünschen Sie sich im öffentlichen Diskurs?
Christian Rudolph: Ich fand es stark, dass ein Medienmagazin diese Kampagne initiiert hat. Das habe ich mir schon sehr lange gewünscht. Gerade beim Thema Homophobie und Sexismus hatte ich das Gefühl, dass sich die Spielerinnen und Spieler davor scheuen, Stellung zu beziehen. Wenn wir über gleichgeschlechtliche Liebe sprechen, dann geht es darum, dass Menschen zu sich selbst stehen können. Jeder heterosexuelle Fußballer kann problemlos erzählen, was er am Wochenende mit seiner Familie gemacht hat. Queere Menschen nicht. Am Ende geht es um einen selbstverständlichen Umgang und eine Sensibilität.
Elke Heitmüller: Starke und mutige Statements von bekannten Menschen sind sehr wichtig, weil es viele Berührungsängste gibt, die gar nicht böse gemeint sind. Es sind eben Ängste. Da helfen Vorbilder und eine Speak-up-Kultur. Die Frage ist also: Wie bekommen wir es hin, mehr Offenheit und Akzeptanz zu schaffen, obwohl es eine große Unsicherheit gibt? Daher ist eine Vorbildkultur wichtig. Unser gesamtes Vorstandsteam steht ein für Vielfalt, Respekt sowie Akzeptanz und bekennt Farbe. Das ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um das Thema Vielfalt im Unternehmen zu leben.
Christian Rudolph: Das ist wirklich vorbildlich. Eine solche Unterstützung wünsche ich mir auch von Trainerinnen und Trainern oder den Vorstandsmitgliedern in den Vereinen und Verbänden. Man sollte nicht diesen Fehler machen und die gesamte Verantwortung bei den Fußballerinnen und Fußballern abladen.
Elke Heitmüller: Was bei euch die Trainerinnen und Trainer sind, das sind bei uns die Führungskräfte. Sie haben einfach eine ganz besondere Verantwortung. Sie sind Multiplikatoren und haben es ein Stück weit sogar in der Hand, eine inklusive und vorurteilsfreie Kultur im Team zu schaffen und zu stärken. Die Führungskräfte oder die Trainerinnen und Trainer sind Menschen, die auch Fehler machen dürfen. Die Diskussion um Verfehlungen ist mir manchmal zu hart, denn wir müssen darüber reden und kommen nur weiter, wenn wir uns offen austauschen.
Was kann der VW-Konzern als gesamter Konzern beim Thema Diversität vom Sport lernen?
Elke Heitmüller: Volkswagen kann vom Sport lernen, dass erfolgreiche Teams diverse Teams sind. Auch in Sachen Fairplay und Teamplay können wir uns einiges abschauen. Auf dem Fußballplatz steht das gemeinsame Ziel im Vordergrund … unabhängig davon, wo jemand herkommt. Homogenität wäre dort nicht erfolgreich. Der DFB und Volkswagen haben beide die Herausforderung, dass es eine männlich geprägte Entscheidungskultur gibt. Was Teams schon leben, ist noch längst nicht auf allen Ebenen umgesetzt. Es geht nur gemeinsam: Wir haben eine gemeinsame Verantwortung als Vorbild für die Gesellschaft.
Was kann der DFB von Unternehmen wie Volkswagen lernen?
Christian Rudolph: Ich nehme vor allem die vielen LSBTI-Netzwerke positiv wahr. Volkswagen gelingt es durch die Netzwerke, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken und vielfältige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Und beim DFB haben wir 7 Millionen Mitglieder und sehr viele Ehrenamtliche, die wir mitnehmen müssen. Beim Werben und Weiterentwickeln von qualifiziertem Personal kann der Fußball sehr viel aus der Wirtschaft lernen. Dem Fußball tut es sehr gut, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen … auch auf andere Sportarten. (VW/TX)
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