Dylan Bowman: „Eine normale Tour geht über eine Woche, ich hatte elf Stunden“.
Dylan Bowman hält bereits seit dem Jahr 2018 den Rekord für die Durchquerung der Lost Coast in Kalifornien. Die Abgeschiedenheit und der Schwierigkeitsgrad des Laufs sind so extrem, dass nur wenige den nebelumhüllten und sagenumwobenen Landstrich überhaupt besuchen. Der 37-jährige Ultraläufer musste seinen Lauf vor allem mit dem Pazifischen Ozean abpassen, der an die King Range Berge prallt.
Du hast für die 55 Meilen zwischen dem Usal Campground und dem Mattole River, also für die Querung der Lost Coast, damals exakt 11:19.00 Stunden gebraucht. Was war die größte Herausforderung dabei?
Dylan Bowman: Ich musste den Lauf zusammen mit meinem Team so timen, dass der Lauf den Fluten ausweicht. Das war die mit Abstand größte Herausforderung. An einigen Stellen ging es sogar nur noch kletternd über die Felsen oder den Fuß der Klippen. Ein paar Mal wurde ich von den Wellen überrollt. Ich will nicht lügen: Ich hatte mehr als einmal Angst, aber der berechnete Spielraum passte. Aber so etwas fasziniert mich an solchen Herausforderungen eben auch.
Wie war dieser Rekordlauf es im Vorfeld geplant?
Dylan Bowman: Wir hatte es so geplant, dass wir pünktlich um 3:00 Uhr morgens los laufen. Die Flut kam um 14:00 Uhr. Wir hatten also von der Natur eine Vorgabe, ein eindeutig definiertes Zeitfenster. Und mit den Gezeiten legt man sich nicht an.
Normalerweise macht man so etwas als Tour in fünf bis sieben Tagen. Wir hatten elf Stunden. Soweit ich weiß, hat das bisher nur eine andere Gruppe zuvor gemacht.
Alle Gruppen, bis auf eine Gruppe, touren fünf bis sieben Tage. Diese Fakten haben Dein Team und Dich nicht abschrecken können?
Dylan Bowman: Nachdem ich damals nur einen kleinen Teil der Strecke gesehen hatte, hatte ich unmittelbar danach den Eindruck, dass dies eine der spektakulärsten Tagesetappen meiner gesamten Karriere sein wird. Dementsprechend war bei mir die Vorfreude riesig. Und wir waren uns absolut sicher!
Was macht die Lost Coast für Dich so einmalig?
Dylan Bowman: Die große Mehrheit der Leute nimmt an, dass Kalifornien allein nur aus Staus und stetig wachsenden Großstädten besteht. Aber die Lost Coast ist ein wildes Laufabenteuer, das jeder Ultraläufer auf seiner „Bucket List“ haben sollte.
Als man in den 1930ern den neuen Highway baute und an diesen Küstenabschnitt kam, wurde schnell klar, dass man das aufgrund der geografischen Gegebenheiten nicht schaffen würde. Stattdessen gibt es einen wirklich coolen 55 Meilen Weg.
Die ultimative Herausforderung bei diesem Lauf ist, dass die Küstenlinie so tückisch und zerklüftet ist, dass der Weg für einen Großteil der 55 Meilen direkt am Strand entlang verläuft, direkt an den Klippen entlang, und es ist zu 100 Prozent zwingend erforderlich, dass man die Zeit wirklich richtig einteilt. Allein wegen der Gezeiten gibt es keinen Spielraum. Die Gezeiten kommen also herein, prallen auf die Klippen und der Strand verschwindet ein paar Mal am Tag für ein paar Stunden. Er ist weg!
Du bist auf der Welt unterwegs. Was kommt noch?
Dylan Bowman: Das ist schwer zu beantworten. Ich habe wirklich das große Glück, auf der ganzen Welt unterwegs zu sein, an Rennen und Wettkämpfen teilzunehmen. Dabei durfte ich schon einige recht abgelegene und erstaunliche Orte erkunden. Ich hoffe irgendwie, dass dies niemals vorbei sein wird.
Aber die Lost Coast hat mir auch gezeigt, ich muss dafür nicht immer bis ans andere Ende der Welt. Auch der eigene Vorgarten, wenn ich Kalifornien so nennen darf, hat viel Schönheit zu bieten. Es gibt viele Missionen … (Red Bull/TX)
Foto: Red Bull