Boris Herrmann: „Notfalls hätte ich meinen Pullover als Segel benutzt“.
Die Vendée Globe ist eine Non-Stop-Regatta für Solosegler, die seit 1992 alle vier Jahre stattfindet. Bei der letzten Ausgabe war erstmals mit Boris Herrmann auch ein Deutscher dabei. In 80 Tagen ging es um die Welt und der 39-jährige Oldenburger lag bis zum letzten Tag auf einem Podiumsplatz, mit Siegchancen. Am Ende wurde es ein guter 5. Platz. Im Interview erzählt Boris Herrmann über seine Vendée Globe.
Herr Herrmann, Sie waren 80 Tage ganz allein auf hoher See, quasi in Ihrem eigenen Extrem-Lockdown. Können Sie mittlerweile in Worte fassen, welche Gefühle Sie hatten, als Sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten?
Boris Herrmann: Es war ein unglaubliches Gefühl … Ich fühlte mich erleichtert und extrem glücklich, einen meiner größten Träume gemeistert zu haben: Die Vendée Globe ist für mich eine der härtesten und abenteuerlichsten Herausforderungen im Profisport. Ich bin stolz, dieses Rennen gemeistert zu haben. Es war fantastisch zu sehen, wie meine Familie und das Team mich in Les Sables d’Olonne willkommen geheißen haben, das war das beste Gefühl: „Ich bin zu Hause“.
Ein kleiner Ausflug ins Privatleben sei gestattet. Wie schwer war es fast drei Monate von Ihrer Frau und der kleinen Tochter getrennt gewesen zu sein? Wie haben Sie mit Ihrer kleinen Familie kommuniziert?
Boris Herrmann: Es war definitiv nicht einfach. Die Einsamkeit ist dabei einer der härtesten Aspekte bei einem langen Offshore-Rennen und besonders wenn man ein kleines Baby hat, wird es noch schwieriger. Ich glaube, ich habe im Vorfeld stark unterschätzt, wie sich diese so lange und extreme Einsamkeit anfühlen würde. Mir wurde klar, wie wichtig soziale Kontakte und vor allem menschliche Nähe für uns Menschen sind. Dieses Schicksal habe ich in der jetzigen Situation mit sehr vielen anderen Menschen auf der Welt geteilt, auch wenn es in meinem Fall vielleicht noch etwas extremer war. Wir haben jeden Tag oder mehrmals am Tag über Satellit per „Whatsapp“ kommuniziert und meine Frau hat sich ganz hervorragend um unseren Kleinen gekümmert!
Auf was haben Sie sich, neben der Familie, am meisten gefreut? Ein Bett, eine Dusche oder doch nur ein Steak mit einem schönen kalten Bier dazu …
Boris Herrmann: Kein Steak, sondern eine Pizza und Vanilleeis!
Kommen wir zur Vendée Globe. Wie bereitet man sich auf 80 Tage allein auf dem Meer vor? Wann starten die Vorbereitungen?
Boris Herrmann: Das ist eine sehr gute Frage! Die Vorbereitung für dieses Rennen begann vor vielen Jahren, vor vier Jahren um genau zu sein. Man bereitet das Boot vor, macht Offshore-Solo-Rennen und stellt vor allem das beste Team zusammen. Die Trainingsrennen, die wir machen, sind aber normalerweise nur ein paar Wochen lang, also war es doch sehr viel extremer, 80 Tage lang weg zu sein. Ich hatte einen Mentaltrainer und trainierte auch meinen Schlaf, um so gut wie möglich vorbereitet zu sein, aber ich glaube, bis zu dem Punkt an dem ich es endlich machte, hatte ich unterschätzt, wie hart es sein würde.
Sie waren nicht nur der Skipper an Bord, was muss man alles können?
Boris Herrmann: An Bord einer IMOCA auf einer Soloregatta ist man der Skipper, Navigator, Segler, Koch, Wissenschaftler, Kommunikator, Reiniger, Bootsbauer … Es gibt immer etwas zu tun und die Arbeit nimmt kein Ende und man muss sich zu 100 Prozent auf sich selbst verlassen können. Alle Entscheidungen werden nur von einem selbst getroffen. Es ist gegen die Regeln, Hilfe von außen in Bezug auf die Navigation oder Streckenführung zu bekommen, so dass man wirklich das Gefühl hat, dass alles auf den eigenen Schultern lastet, sobald man zum Start geht.
Die Kommunikationsseite des Rennens ist für mich auch sehr wichtig. Wir nutzen die Medienpräsenz und die Aufmerksamkeit, die wir durch unseren Sport mit den Rennen bekommen, um Bewusstsein zu schaffen und unsere Wissenschafts- und Klimabotschaft zu verbreiten.
Ich habe gelesen, Sie haben während der Vendée Globe niemals länger als 20 Minuten am Stück geschlafen. Wie trainiert man solch einen Rhythmus? Unter uns: Ist man auf Dauer so richtig ausgeschlafen?
Boris Herrmann: Die Leute finden diese Tatsache immer am faszinierendsten, aber eigentlich gewöhnt man sich sehr schnell und recht einfach an wenig Schlaf. Nach gut zwei Tagen an Bord ist es Teil des Rhythmus und dann macht man jedes Mal, wenn man ein kleines Nickerchen machen kann, es, da man nicht weiß, wann man wieder die Augen schließen wird. Wir trainieren das wirklich vorher und wir können sehr schnell einschlafen, aber nie zu tief, man muss immer wach sein.
Was war für Sie ganz persönlich der schönste Moment auf hoher See?
Boris Herrmann: Einer der besten Momente war das Treffen mit den anderen fünf Skippern mitten auf dem Ozean. Nach vielen Tagen auf See und einem so langen Rennen ist es so ungewöhnlich, dass das passiert. Ich erinnere mich, dass ich mich so gefreut habe, sie zu sehen, und wir waren dabei so nah, dass ich sogar Damiens Gesicht ganz deutlich sehen konnte. Es sind diese Momente, die mir wirklich im Gedächtnis bleiben.
Die Vendée Globe war ja nicht nur ein Abenteuer für Sie, sondern es ging auch um Forschung. Was haben Sie genau untersucht?
Boris Herrmann: Genau, wir haben ein völlig automatisches Ozeanlabor an Bord installiert, das kontinuierlich seltene Ozeandaten in den entlegensten Teilen unserer Welt misst. Diese sehr wertvollen Daten werden direkt an unsere wissenschaftlichen Partner am Max-Planck-Institut für Meteorologie und am Geomar in Kiel gesendet, wo sie sie analysieren und in die weltweite Datenbank einspeisen können, um sie öffentlich zugänglich zu machen. Der Ozean spielt eine sehr große Rolle bei der Abschwächung des Klimawandels, und diese Daten sind äußerst wertvoll, um den Wissenschaftlern dabei zu helfen, die Effekte des vom Menschen ausgelösten CO2 in unseren Ozeanen zu verstehen, vor allem im weniger befahrenen Südpolarmeer.
In der Vorbereitung auf das Interview habe ich bei französischen Teilnehmern immer wieder den eher merkwürdigen Vergleich gelesen: „Die Vendée Globe ist unser Mount Everest“. Teilen Sie diese Ansicht und warum genau?
Boris Herrmann: Ich stimme den französischen Skippern bis zu einem gewissen Grad zu: Meiner Meinung nach ist die Vendée Globe die härteste Segelregatta, die es gibt und damit der Everest für alle Offshore-Segler da draußen. Es ist sowohl geistig als auch körperlich anstrengend! Allerdings viel mehr Menschen haben den Everest bestiegen, als die Vendée Globe absolviert haben … das sind immer noch unter 100 Personen!
Bevor wir zum Ende kommen Herr Herrmann, müssen wir leider auch über den Vorfall mit dem Fischerboot sprechen. Sie waren zumindest auf dem Kurs auf das Podium. Was ist so kurz vor dem Ziel passiert?
Boris Herrmann: Ich war auf der Zielgeraden und alles lief perfekt. Ich hatte jedes System überprüft und schloss für einen Moment die Augen. Dann wurde ich von einem schrecklichen Geräusch geweckt und war sofort hellwach. Dann ist man, vor allem als Solosegler, sofort in einer Art Notfallmodus, in dem man sehr klar denkt und darauf fokussiert ist, das Boot zu überprüfen, die ersten notwendigen Schritte zu unternehmen und das Boot zu sichern. Als professioneller Segler würde ich aber lügen, wenn ich nicht unendlich enttäuscht wäre … allerdings wurde mir schnell klar, dass ich mein eigentliches Ziel bereits erreicht hatte. Ich wusste, dass ich ins Ziel kommen würde … notfalls hätte ich meinen Pullover als Segel benutzt, um in Les Sables anzukommen! (TX)
Danke für diese Eindrücke und genießen Sie die Zeit an Land!
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