Axel Kromer: „Meine Hoffnung ist, dass wir mit voller Kapelle in Tokio auflaufen“.
Die Männer haben die Tickets für die Sommerspiele in Tokio und die EHF EURO 2022 gebucht, die Frauen-Nationalmannschaft hat sich für die WM im Dezember in Spanien qualifiziert … aber wie sieht es um die Zukunft, um den Nachwuchs aus? Wie wird Deutschland ins Jahrzehnt des Handballs starten? Axel Kromer, Vorstand Sport des DHB (www.dhb.de), wird diese Punkte im Interview des DHB analysieren.
Die Pandemie hat die ganze Welt und den Sport weiter im Griff. Wie sehen Sie unterleistungssportlichen Gesichtspunkten die aktuelle Lage?
Axel Kromer: Mein Dank gilt allen, die es geschafft haben, dass der Leistungssport unter Pandemie-Bedingungen so funktioniert … unseren Mitarbeitern und Trainern, allen, die in den Vereinen und Landesverbänden oder in den Leistungszentren dafür sorgen, dass unter Beachtung aller Hygienemaßnahmen weiter gearbeitet werden kann. Natürlich gehören auch unsere Konzepte wie Return to Court, Return to Play oder Return to Competition dazu, die alle Vereine unterstützen, gerade die Kinder weiter für den Handballsport zu begeistern. Gleiches gilt für die Online-Akademie. Alle, die jetzt dafür sorgen, dass wir in 2032 eine erfolgreiche Nationalmannschaft sehen, können sagen: Trotz der Pandemie 2020/21 hatten wir keinen Einbruch in der Entwicklung. Wir müssen alle sehen, dass wir die Kinder und Jugendlichen bei der Stange halten. Aber ich sehe bei den Vereinen viele gute Ideen, die mich sehr optimistisch stimmen.
Von den Kindern zur Männer-Nationalmannschaft: Die hat das Olympia-Ticket gebucht. Wie bewerten Sie das Turnier in Berlin rückblickend?
Axel Kromer: Auf Olympische Spiele sind natürlich alle heiß, wir sind jetzt auf der Zielgeraden für die Olympiade, des normalerweise vierjährigen Zyklus, der aktuell bekanntlich ein Jahr länger ist. Beim Turnier in Berlin haben wir nach dem schweren Auftakt gegen Schweden souverän gegen Slowenien und Algerien gewonnen. Ich war sehr froh, dass der komplette Kader nach der WM-Pause einiger Stammkräfte wieder auf dem Feld stand. Aber wir haben die Situation im Januar auch genutzt, langfristig Spielern ihre allererste WM-Erfahrung zu geben, die bei dem teilweise bevorstehenden Umbruch nach den Spielen eine völlig neue Rolle im Nationalteam spielen werden. Denn nur ein halbes Jahr nach Tokio steht mit der EHF EURO 2022 schon die nächste Aufgabe an.
Ist bereits eine Handschrift von Alfred Gislason in der Mannschaft erkennbar?
Axel Kromer: Ich mag das Wort Handschrift in dieser Form überhaupt nicht. Die Nationalmannschaften der Männer und der Frauen bewegen sich kontinuierlich von Turnier zu Turnier, ständig begleitet von öffentlichem Erfolgsdruck. Da ist langfristige Entwicklungsarbeit, die in einer Handschrift münden würde, nur schwer umsetzbar. Es geht auch nicht um ein System Alfred Gislason … aber es wäre gut gewesen, alle Spieler wären bei der WM in Ägypten dabei gewesen, auch wenn immer gesagt wird, die Kieler kannten die Taktik noch aus Alfreds Zeit beim THW. So hätte sich Johannes Golla im Innenblock mit Patrick Wiencek mit Blick auf Olympia einspielen können. Spielmacher Philipp Weber und die Kreisläufer hätten schon die Abläufe einstudieren können, das wäre ein Einspielen auf Olympia gewesen. Und so geht es darum, in Tokio maximal gut zu performen nach einer sehr langen Saison mit hoher Termin- und Turnierdichte. Meine größte Hoffnung ist, dass wir mit voller Kapelle in Tokio auflaufen können, dass alle gesund durch den Rest der Saison kommen.
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es in Sachen EHF EURO 2022 vor den beiden finalen Qualifikationsspielen schon Planungssicherheit gibt, weil das EM-Ticket gelöst ist?
Axel Kromer: Wir müssen generell nicht befürchten, dass wir mit dieser Mannschaft eine Qualifikation nicht schaffen, selbst, wenn die Konstellation so gewesen wäre, dass wir nun noch zwei Punkte aus zwei Spielen gebraucht hätten. Aber jedes Spiel muss erst einmal gespielt werden, und wir wollen natürlich die Qualifikation mit zwei weiteren Siegen beenden … selbstbewusst und erfolgreich auftreten.
Sie haben den Umbruch nach Olympia schon angesprochen … für die aktuelle Junioren-Mannschaft fielen wegen der Pandemie die U20-EM und die U21-WM aus. Welchen Einfluss auf die Entwicklung der Spieler?
Axel Kromer: Diesen Spieler fehlt natürlich diese internationale Turniererfahrung … eine U21-WM ist ein wichtiger und großer Entwicklungsschritt, das ist sehr schade. Aber wir haben die Spieler mit Blick auf die künftige A-Nationalmannschaft natürlich permanent auf dem Schirm, denn alle spielen entweder in der 1. Bundesliga oder bei ambitionierten Zweitligisten, wo sie auch Verantwortung tragen. Wenn man sich den allerersten 50er-Kader mit Blick auf die Olympischen Spiele in Tokio anschaut, haben wir einige dieser Nachwuchsspieler mit Blick auf die Zukunft … also diesen nächsten Olympiazyklus … bereits im Blick.
Vor den Olympischen Spielen in Paris steht auch noch die Heim-EM 2024 in Deutschland an …
Axel Kromer: Ja, und mit Blick auf beide Turniere, und der Tatsache, dass der Olympiazyklus ein Jahr kürzer ausfällt, muss man sehen, wie groß der Umbruch aus fällt, ob einige Spieler nicht sagen: Bis 2024 ziehen wir das noch durch. Wir werden nach Tokio damit beginnen, das Team für 2024 aufzubauen. Wir werden nicht alles umreißen, aber wir werden junge Spieler integrieren, denn vielleicht werden sich einige Routiniers angesichts des Termindrucks eher auf ihre Vereine konzentrieren und pausieren oder ihre Karriere im Nationalteam beenden. Das muss man sehen. Gleich nach Tokio werden Alfred und ich mit allen gestandenen Spielern sprechen, wie sie ihre Perspektiven sehen, welche Ideen sie für ihre Zukunft haben.
Wie ist der Stand der Vorbereitungen generell für die Heim-EM 2024?
Axel Kromer: Da bin ich als Vorstand Sport sehr dankbar, dass wir viele erfahrene Experten haben, die sich um diese organisatorischen Themen kümmern, angeführt von unserem Vorstandsvorsitzenden Mark Schober über das komplette Team um Thomas Freyer, Jörg Westheider und Anna Schilling. Wir merken im Leistungssport, wie positiv sich die immer professioneller werdenden Strukturen des DHB bereits auswirken. Der erste Höhepunkt des vom DHB apostrophierten „Jahrzehnts des Handballs“ ist die U21-Weltmeisterschaft im Jahr 2023.
Inwieweit hat sich schon eine Mannschaft herauskristallisiert?
Axel Kromer: Mit Blick auf den gesamten Nachwuchsbereich muss man erst einmal wieder die tolle Zusammenarbeit des DHB mit den Nachwuchsleistungszentren der HBL-Vereine und den Landesverbänden betonen. Da startet die Talentsichtung sehr früh, und wir haben ein enges Netz, um auch Spätentwickler oder Seiteneinsteiger zu finden und sie ins System zu integrieren. Da kommen viele Talente nach. Und auch wenn die Wettbewerbe ausfielen, haben wir in diesem Bereich viele Schritte nach vorne gemacht. Mit Blick auf die Mannschaft für die Heim-WM 2023 haben wir den Vorteil, dass diese Jungs schon gemeinsam das EYOF gespielt hatten, leider fiel für dieses Team die Jugend-EM 2020 und auch die Jugend-WM 2021 aus. Wir haben entschieden, dass diese Mannschaft schon aufrückt zu Martin Heuberger und die von der EHF kurzfristig angekündigte U19-Europameisterschaft spielt … damit haben wir den Teamwechsel vorgezogen. Inklusive der Heim-WM 2021 wird dieses Team also drei Turniere unter Martin Heuberger absolviert haben, das heißt: Sie werden eingespielt sein.
Nach dem 7. Platz bei der EM 2020 und der erfolgreichen WM-Qualifikation für 2021 … wie bewerten Sie die aktuelle Lage der Frauen-Nationalmannschaft, auch schon mit Blick auf die Olympischen Spiele 2024?
Axel Kromer: Die Mannschaft entwickelt sich langsamer, als es die Öffentlichkeit erwartet. Nach den Entscheidungen von Kim Naidzinavicius und Julia Behnke, nicht mehr im DHB-Trikot zu spielen, und trotz der zahlreichen Ausfälle durch Corona-Quarantänen für die Vereine aus Dortmund und Bietigheim haben die Spielerinnen die WM-Qualifikation souverän geschafft. Da zeigte sich, dass wir bei den Frauen eine große Breite entwickelt haben. Die Mannschaft hat ihre Qualität unter Beweis gestellt, und es war sehr erfreulich, wie sich der Teamzusammenhalt entwickelt hat. Nach dem Abpfiff des Rückspiels sprangen die Spielerinnen von der Bank aufs Feld, da war eine ganz tolle Begeisterung zu sehen. Zudem hat sich Emily Bölk in ihrer Rolle als Interimskapitänin sehr gut gemacht und das Team sehr gut geführt.
Also auch bei den Frauen ein optimistischer Blick nach vorne?
Axel Kromer: Wir wollen das Jahrzehnt des Handballs definitiv dazu nutzen, den Frauenhandball noch populärer zu machen und das öffentliche Interesse deutlich zu erhöhen, so wie es in Ungarn, Rumänien, Dänemark oder Norwegen ist. Das muss doch auch in Deutschland machbar sein. Wir müssen alle in eine Richtung arbeiten und auch darauf hinwirken, Persönlichkeiten für den Frauenhandball aufzubauen. So können wir dann auch diese Menschen gewinnen, die sich bislang nicht für den Frauenhandball interessieren. Da ist einiges möglich. (DHB/OD)
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