Martin Hyun: „Pro Jahr setzen wir normalerweise rund 13 eigene Projekte um“.
Sport soll die schönste Nebensache der Welt sein, und trotzdem kommt man nicht um das Thema Rassismus, Antisemitismus oder Diskriminierung herum. Hockey is Diversity e.V. ist ein gemeinnütziges internationales Netzwerk von aktuellen sowie ehemaligen Amateur und Profi-Eishockeyspielern mit Sitz in Berlin. Im exklusiven Interview erklärt der ehemaligen DEL-Spieler Dr. Martin Hyun die Ziele des Vereins.
Herr Hyun, ich bin ehrlich, ich hatte vor der Aktion zu Chanukka in Krefeld, auf die wir gleich zu sprechen kommen, noch nie zuvor etwas von dem Netzwerk „Hockey is Diversity“ gehört oder gelesen. Wofür steht das Netzwerk?
Martin Hyun: Das ist bedauerlich, dass sie in den insgesamt elf Jahren unserer Vereinsexistenz noch nie etwas von uns gehört haben, aber umso mehr freue ich mich, dass wir nun die Gelegenheit dazu bekommen uns vorzustellen.
„Hockey is Diversity“ ist ein gemeinnütziger Verein, der sich aktiv gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung einsetzt sowie für Gleichberechtigung und für Chancengleichheit. Unser Ziel ist es, die Gesellschaft aufzuklären und durch unsere Projekte zur Gleichbehandlung und einer inklusiven Willkommenskultur in der Welt des Eishockeys beizutragen.
Wie darf man sich diese Arbeit auf das Eishockey bezogen genau vorstellen?
Martin Hyun: Pro Jahr haben wir normalerweise, also vor der Pandemie, rund 13 Projekte, die wir ausschließlich mit Spenden und privaten Mitteln finanzieren. Dabei liegt der Fokus unserer Projekte auf Bildung, zwischenmenschlichen Begegnungen und der Entwicklungsförderung von Player- und Coaches of Color.
Aus Platzgründen werde ich hier nicht alle Projekte auflisten. Aber eines ist unser internationales U17-Turnier, das wir seit 2015 gemeinsam mit den Eisbären Juniors Berlin organisieren. Wir nutzen die Gelegenheit immer, mit Kids über ihre Rolle als internationale Eishockey-Botschafter zu diskutieren und uns über unsere Thematik auszutauschen. Seit einigen Jahren unterstützt uns die NHLPA bei diesem Turnier.
Seit dem Jahr 2014 gibt es das Hockey is Diversity Winter Classic, welches von der Hobby-Mannschaft Hofer Eishärnla organisiert wird. Mit dem Spiel können wir nicht nur auf unsere Botschaft aufmerksam machen, sondern haben einen fünfstelligen Betrag für den Verein Schutzhöhle gesammelt, der sich für Kinder und Jugendliche einsetzt, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind.
Wir arbeiten mit der NHL zusammen, mit der wir uns thematisch austauschen, aber auch während ihrer NHL Global Fan Tour in Deutschland unterstützen, indem wir Kinder mit Migrationshintergrund einladen, mit dem Sport in Berührung zu kommen.
Mit der Penny DEL haben wir einen Partner im deutschen Profisport gefunden, der uns seine Unterstützung bei der Umsetzung unserer gemeinsamen Ziele signalisiert hat. Die absoluten Schwerpunkte unserer Partnerschaft mit der PENNY DEL sowie der Spielergewerkschaft (SVE) liegen dabei in der Sensibilisierungs-, Aufklärungs-, Antirassismus- und der Advocacyarbeit. Das große Ziel unserer Antirassismus und Sensibilisierungsarbeit ist es langfristig ein inklusives und unterstützendes Umfeld aufzubauen in dem sich alle willkommen fühlen, völlig unabhängig von ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und auch Behinderung. Mit diesen Schwerpunkten wollen wir auf lange Sicht dann zu einem Perspektivwechsel und Kulturwandel im Eishockey beitragen.
Unser Diversity-Training ist auf mehreren Modulen aufgebaut, die sich theoretisch, rechtlich, praktisch und reflexiv mit dem Thema befassen. Bei der Reflexion ist uns wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich über ihre eigene seit Geburt und vom Haushalt gegebene Werteorientierung, geerbte Stereotypen und Vorurteile, unbewusste vorurteilsbehaftete Denkmuster und Verhaltensweisen bewusst werden. Die Veranschaulichung theoretischer und rechtlicher Komponenten ermöglicht eine Bewusstseinsschärfung für Rassismus- und Diskriminierungsmechanismen, oder für Entstehung und Auswirkung von Vorurteilen auf Makro-, Meso- und Mikroebene.
Unsere Partnerschaft mit der PENNY DEL ermöglicht uns auch die Teilnahme an den DEL U13 & U15 Future Camps, um Coaches-, Player of Color sowie Frauen in ihrer sportlichen Entwicklung zu unterstützen. Hier konnten wir vier Trainerinnen und Trainer sowie vier Spielerinnen und Spieler entsenden, dessen Kosten wir komplett getragen haben. Auch mit der DEL2 arbeiten wir zusammen. Auch hier konnten wir eine Trainerin und einen Player of Color die Teilnahme am DEL2 Perspektiv Camp ermöglichen.
Wir sind sehr stolz auf unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der National Hockey League Coaches Association (NHLCA). Im Jahr 2020 hat die NHLCA zwei Programme zur Förderung der Diversität im Eishockey neu ins Leben gerufen, das NHLCA BIPOC Coaches Program und das NHLCA Female Coaches Development-Program. Diese Programme zielen darauf ab, Schwarze, Indigene, People of Color sowie zudem Trainerinnen und Trainer in den Bereichen Kompetenzentwicklung, Führungsstrategien, Kommunikationstaktiken, Networking und Karriereoptionen zu fördern und zu unterstützen. Hier konnten wir fünf Trainerinnen und Trainer nennen und delegieren um am NHLCA BIPOC Coaches und Female Coaches Development Program teilzunehmen, was am 7. und 8. September 2021 begonnen hat.
Am ersten Tag zu Chanukka wurde von Rabbi Wagner auf dem Eis der Krefeld Pinguine, vor der Partie gegen die DEG, die erste Kerze angezündet. In Zeiten wachsenden Antisemitismus ein starkes Zeichen. Wie kam es dazu?
Martin Hyun: In diesem Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Der Angriff auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019, der steigende Antisemitismus ist besorgniserregend und zeigt uns, dass einige aus der Geschichte gar nichts gelernt haben. Meine Generation und nachfolgende Generationen tragen Verantwortung, so etwas darf sich nicht wiederholen. Mit dieser Aktion war es uns wichtig, Raum für die zwischenmenschliche Begegnung zu schaffen, den es im Alltag vielleicht nicht gibt.
Wer hätte vor 83 Jahren denn geglaubt, dass wir die erste Kerze der Hannukiya im Eisstadion zum Erleuchten bringen und mit den Fans und der Jüdischen Gemeinde Krefeld dort Chanukka feiern? Wer hätte vor 83 Jahren geglaubt, dass es nach der Shoah, wieder ein vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland gibt?
Ein jiddisches Sprichwort sagt: „Berge kommen nicht zusammen, Menschen aber“ … es klingt einfach, aber zwischenmenschliche Begegnungen bauen Vorurteile ab.
Bei dem Verein handelt es sich um ein internationales Netzwerk. Wie darf man diese Internationalisierung deuten? Gibt es auch gemeinsame Botschaften?
Martin Hyun: Fakt ist, nicht nur in der DEL, sondern in allen europäischen Ligen, wo Player of Color gespielt haben oder spielen, kam beziehungsweise kommt es leider zu rassistischen Übergriffen und Beleidigungen. Und genau deshalb bedarf es einer internationalen kollektiven Anstrengung. Denn alle europäischen Eishockeynationen sind vom demografischen Wandel betroffen. Unser gemeinsames Motto ist es, diese Eishockeywelt inklusiv zu gestalten, die alle willkommen heißt.
Wen ich mir Ihren Namen anschaue, also den Nachnamen, dann erkennt man schnell, bei Ihnen besteht ein Migrationshintergrund. Was hatte Ihnen damals das Eishockey gegeben, oder vielleicht auch generell der Sport? Und lassen Sie Ihre schönen und unschönen Erfahrungen immer einfließen?
Martin Hyun: Der Sport hat mir mein Studium in den USA ermöglicht. Somit konnte ich als Gastarbeiterkind eine andere Welt kennenlernen. Es war mir möglich enge, tolle Freundschaften über interkulturelle Grenzen hinweg zu schließen. Ich konnte mit Kommilitonen aus Saudi-Arabien, Russland, Venezuela oder aus Japan direkt zusammenleben. Diese zwischenmenschlichen Begegnungen waren und sind sehr wertvoll. Auch die Coaches, die ich hatte, unter anderem Jack Blatherwick (Lester Patrick Trophy Gewinner) und die Begegnung mit Miracle on Ice Coach Herb Brooks werden mir immer in positiver Erinnerung bleiben. Der Sport kann einerseits recht solidarisch sein und auf der anderen Seite sehr hässlich. Diese hässliche Seite habe ich als aktiver Spieler auch erfahren. Als Spieler mit südkoreanischen Wurzeln habe ich vom Jugend- bis zum Seniorenbereich leider Rassismus erfahren. Rassistische Beschimpfungen wie „Schlitzauge“, „Reisfresser“, oder „Spiel auf dem Reisfeld“ … musste ich mir sehr oft anhören. Von der gegnerischen Mannschaft und manchmal auch von eigenen Teamkollegen. Besonders schlimm war es für mich im Osten kurz nach der Wende zu spielen; hier musste ich mich nicht allein nur sportlich, sondern vor allem psychisch darauf einstellen, dass etwas passiert.
Unschön war auch die Erfahrung, die ich in Augsburg während meiner DEL-Saison gemacht habe … die Fans riefen asiatische Gerichte nach mir und lachten dabei sehr herzhaft. Sie wollten mir zu verstehen geben, dass einer wie ich, nicht Teil des Spiels ist. Wenn tausende Menschen dich auslachen, das hinterlässt Spuren. So etwas vergisst man nicht!
Die Rassismus Erfahrungen haben mich auch während der Busfahrt nach Hause und darüber hinaus sehr beschäftigt. Es gab zwei Optionen, entweder dem Sport für immer den Rücken kehren oder die Sache anzugehen. Ich habe mich für letzteres entschieden! Das war die Geburtsstunde von „Hockey is Diversity“.
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