Manuel Neukirchner: „Die Frauen des 1. DDFC wurden regelrecht angefeindet“.
Fußball ist die mit gehörigem Abstand die populärste Sportart in Deutschland, doch der Frauenfußball blickt dabei auf eine doch recht wechselhafte Historie zurück. Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund bereitet die Online-Ausstellung „Frauen. Fußball. Geschichte“ genau dieses Thematik vollumfänglich auf. Museumsdirektor Manuel Neukirchner gibt in diesem Interview erste interessante Einblicke dazu.
Herr Neukirchner, mit der digitalen Ausstellung „Frauen. Fußball. Geschichte“ beleuchtet das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund ein in Teilen doch eher unangenehmes Thema im deutschen Fußball. Was dürfen die Userinnen und User erwarten, wenn sie sich die Ausstellung online anschauen?
Manuel Neukirchner: Das Thema ist allenfalls dort unangenehm, wo die Userinnen und User auf die unsäglichen Kommentare stoßen, die den Frauenfußball auch in der medialen Berichterstattung über Jahre hinweg begleitet haben. Hier kann sich zuweilen ein Fremdschäm-Effekt einstellen. Anderseits zeigen wir auch die enormen Widerstände auf, denen sich Fußball spielenden Frauen oftmals ausgesetzt sahen. Gleichzeitig führen wir den jüngeren Generationen vor, welches Frauenbild in der deutschen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre vorherrschte. Darüber hinaus ist die Ausstellung in gewisser Weise eine Verneigung vor großen Pionierleistungen zahlreicher Frauen, die sich durch die Verbote sowie Verunglimpfungen nicht haben beirren lassen und auf deren unermüdlichem Engagement die äußerst erfolgreiche Entwicklung des Frauenfußballs der letzten zwanzig, dreißig Jahre basiert.
Die fußballerischen Anfänge der Frauen in Deutschland waren in Frankfurt am Main. Im Jahr 1930 gründete „Lotte“ Specht damals den 1. DDFC. Was war die Motivation hinter der Gründung?
Manuel Neukirchner: Natürlich zunächst einmal ihre große Leidenschaft für das Fußballspiel an sich. Lotte Specht hat sich unter anderem auch als Frauenrechtlerin verstanden und unter dem Motto „Was die Männer können, können wir auch“ viele andere Frauen dafür begeistert, sich ihrem Club damals anzuschließen. Und sie hat das nicht nur gegen gesellschaftliche Widerstände durchgezogen, sondern dabei auch die Missbilligung durch ihren Vater ertragen müssen.
Obwohl ich gebürtiger Frankfurter bin, Stadtgespräch war „Lotte“ Specht wohl eher vor meiner Zeit. Was war diese Pionierin für ein Mensch?
Manuel Neukirchner: Für eine damals 19-jährige Frau war sie vor allem eine sehr selbstständige und selbstbewusste Frau dieser Zeit. Sie hat sehr früh im elterlichen Betrieb mitgeholfen. Ihr Vater hatte eine Metzgerei im Gallusviertel. Auch als sich ihr Fußballverein auf Grund der öffentlichen Anfeindungen auflöste, blieb sie rebellisch. Gegen den väterlichen Willen machte sie eine Schauspielausbildung und nach dem II. Weltkrieg war sie eine der wenigen Frauen in der Kabarettszene. Einen Mann an ihrer Seite brauchte sie nicht. Sie blieb zeitlebens überzeugte Junggesellin.
Der Frauenfußball hat eine große Tradition in Frankfurt. Angefangen mit dem FSV Frankfurt, dem eigentlichen Heimatverein von „Lotte“ Specht, über die SG Praunheim und den 1.FFC Frankfurt bis hin zu Eintracht Frankfurt im Hier und Jetzt. Mit Ausnahme der Frauen bei der SGE hat „Lotte“ Specht alles miterlebt, war sie in einem der Clubs aktiv?
Manuel Neukirchner: Belegt ist, dass sie in den 1920er Jahren sehr mit dem FSV sympathisierte, der zu jener Zeit das Aushängeschild des hessischen Fußballs war und 1925 sogar einmal im Endspiel um die deutsche Meisterschaft stand. Später war Lotto Specht ja sehr viel stärker im Kulturbereich engagiert als im Sport.
Den 1. DDFC gab es nur knapp ein Jahr. Warum kam es damals zur Auflösung und dann später überhaupt nicht mehr zur Wiederbelebung?
Manuel Neukirchner: Wie gesagt, die Frauen des 1. DDFC sahen sich sehr starken Anfeindungen von Anfang an ausgesetzt: Von Passanten entlang der Seehofwiese in Sachsenhausen, wo die Mannschaft ihre Spielstätte hatte, und auch seitens der Presse, die kein gutes Haar am Frauenfußball ließ. Die Ablehnung auf breiter Front demotivierte viele Spielerinnen, so dass sich zunehmend weniger dort zum Spielen trafen. Auch durch Verbände gab es keinerlei Unterstützung. Der DFB bekräftigte seine ablehnende Haltung mit den Worten, dass der Fußball mit der Würde und dem Wesen der Frau unvereinbar sei.
Warum hatte es der Frauenfußball denn lange so schwer im DFB? Warum ist die Geschichte so wechselhaft?
Manuel Neukirchner: Zu der Zeit, als sich der DFB erstmals ernsthaft mit dem Frauenfußball auseinandersetzte, wehte … wie es Lotte Specht selbst mal geäußert hat … schon der braune Wind durch Deutschland. Das allgemeine Frauenbild im Nationalsozialismus stand nicht im Einklang mit Fußball spielenden Frauen. Nach dem II. Weltkrieg verhinderten die patriarchalischen Strukturen im DFB die Öffnung hin zum Frauenfußball. Hinzu kam auch, dass sich führende Köpfe wie der damalige Bundestrainer Sepp Herberger vehement dagegen aussprachen. Dies alles führte zum Verbot des Frauenfußballs auf dem DFB-Bundestag 1955. Glücklicherweise haben sich nicht alle dran gehalten. 1970 konnte der DFB nicht mehr anders als das Verbot aufzuheben. Inzwischen gab zu viele aktive Frauen, die außerdem drohten, einen eigenen Frauenfußballverband zu gründen.
In Leipzig ist die Gründung des DFB dokumentiert. Gibt es in Frankfurt einen sichtbaren Verweis auf die Geburt des deutschen Frauenfußballs? Und wenn nicht, wäre es nicht ein tolles Signal für den Frauenfußball?
Manuel Neukirchner: Zweifelsohne ist Frankfurt ein Traditionsort des deutschen Frauenfußballs. Aber auch schon vor Gründung des 1.DDFC im Jahr 1930 gab es in einigen anderen Vereinen Frauenfußballabteilungen, zum Beispiel in Hamburg beim HSV Barmbek-Uhlenhorst. Insofern sind die Wurzeln des Frauenfußballs nicht ganz eindeutig zu verorten. Das spielt aus meiner Sicht auch gar nicht die entscheidende Rolle. Die starken Signale kommen aus dem Frauenfußball selbst, unter anderem durch acht Europameistertitel, zwei WM-Triumphe sowie Persönlichkeiten wie Silvia Neid, Steffi Jones, Nia Künzer oder Almuth Schult, die den Fußball immer schon als prägende Figuren begleiten.
Der Frauenfußball hatte seinen Ursprung in England. Hat sich Frauenfußball auch im Ausland so schwer getan?
Manuel Neukirchner: Ich denke, das hat immer mit der Stellung der Frau in der jeweiligen Gesellschaft zu tun. Bis vor kurzem durften Frauen in Saudi Arabien erst gar nicht in ein Stadion. Seitdem das erlaubt ist, öffnen sich Schritt für Schritt neue Möglichkeiten. Inzwischen wurden ein Ligasystem und eine Nationalmannschaft dort gegründet. Viele Nationen waren glücklicherweise früher dran. Aber auch dort lief nicht immer alles optimal. Vielerorts trieb zunächst eine gewisse Sensationsgier die Leute zumFrauenfußball, ehe er sich als Sportart etablieren konnte. Frauen mussten sich im Fußball wie in der Gesellschaft Vieles erst mühsam erkämpfen.
In Nordamerika wird der Fußball als Diskussionsgrundlage für die finanzielle Gleichberechtigung genutzt. Ich war mit einer Fußballerin zusammen, ich habe eine Mannschaft trainiert, habe also einen recht aufgeschlossen Umgang zum Thema. Ich bin aber auch studierter Volkswirt und finde bei der Faktenlage die ganze Diskussion eher falsch. Gibt es diese Diskussion auch in Deutschland? Wo will der Frauenfußball in der weiteren Zukunft eigentlich hin?
Manuel Neukirchner: Wir zeigen im Deutschen Fußballmuseum ja das absolute Paradebeispiel der finanziellen Ungleichbehandlung. 1989 spendierte der DFB für den Gewinn der Europameisterschaft, dem ersten Titel der Nationalmannschaft der Frauen überhaupt, ein Kaffeeservice, das uns Doris Fitschen für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Ein Jahr nach dem sportlichen Triumph der Frauen erhielten die Männer für den WM-Titel in Italien pro Kopf umgerechnet 60.000 Euro vom DFB. Aus heutiger Sicht kann man darüber natürlich die Nase rümpfen. Oder schmunzeln, wenn man hinter der sicher gut gemeinten Geste des DFB gegenüber den Frauen auch ein gutes Stück Unbeholfenheit erkennt. Inzwischen werden die Spielerinnen in finanzieller Hinsicht ordentlich prämiert. Die Zuwendung orientiert sich dabei aber nicht am Geschlecht, sondern am Umsatz in Zusammenhang mit dem jeweiligen Wettbewerb. Sicherlich gibt es die angedeutete Diskussion in Deutschland auch, ob Weltmeisterinnen nicht genauso honoriert werden müssen wie Weltmeister. Das ginge allenfalls nur dann, wenn die WM-Turniere ähnlich wie die Grand Slams im Tennis als gemeinsame Veranstaltung ausgetragen werden würden. Im Grundsatz geht es darum, die Rahmenbedingungen für den Mädchen- und Frauenfußball stetig zu optimieren. An der Basis bedeutet das, dass die Clubs entsprechende Angebote machen, ausreichend attraktive Trainingszeiten und -plätze zur Verfügung stellen und möglichst viele Übungsleiterinnen und Übungsleiter gezielt ausbilden. In der Spitze, und da ist die Frauen-Bundesliga zumindest in dieser Saison auf einem recht guten Weg, muss die Konkurrenz größer und ausgeglichener werden, so dass ein Wettbewerb entsteht, der permanent für Gesprächsstoff sorgt.
Kommen wir ganz kurz zum Museum. Was ist 2022, dem Jahr mit der WM in Katar, im Fußballmuseum geplant?
Manuel Neukirchner: Vergessen wir nicht die Frauen-EM in England, die zuvor im Sommer stattfindet … alle großen Turniere werden von uns direkt begleitet, in ganz unterschiedlichen Formaten. Wir veranstalten beispielsweise Private Viewings, bei denen wir rund um die Übertragungen der Spiele exklusive Events anbieten. Sicher werden wir uns im Rahmen unseres Kulturprogramms „ANSTOSS“ hintergründiger damit beschäftigen. Großartig wäre es natürlich, wenn wir uns auch im Nachgang mit den Turnieren befassen könnten. Der EM- und der WM-Pokal stünden unserer Ausstellung gut zu Gesicht!
Das Deutsche Fußballmuseum gibt es erst seit 2015 in Dortmund. Wie kommt man als relativ junges Museum durch die anhaltende Pandemie?
Manuel Neukirchner: Dass auch wir von den Einschränkungen betroffen waren und sind, liegt auf der Hand. Wir mussten auf behördliche Anordnung insgesamt 34 Wochen unser Haus ganz schließen. Der Re-Start ist uns aber sehr gut gelungen. Zeitweilig konnten wir bei den Besucherzahlen und auch den Buchungen unserer Eventflächen schon wieder das Niveau der Vor-Pandemiezeit erreichen. Außerdem haben wir die Zeit genutzt, um uns auch schon vor der aktuellen Online-Ausstellung in digitalen Formaten auszuprobieren. Solange der Fußball nicht stillsteht, werden wir immer Anlässe haben, unsere Ausstellung weiterzuentwickeln und punktuell neu zu gestalten. Solange der Ball eben rollt. (TX)
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