Bischof Oster zur Fußball-Weltmeisterschaft.
Am heutigen Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Doch schon längst geht es bei diesem Turnier nicht mehr um die Frage: Wer wird Weltmeister? Bei dem Turnier in Katar geht es um deutlich mehr. Der Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Stefan Oster SDB (Passau), erklärte vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar am 20. November 2022:
„Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar rückt näher. Viele freuen sich auf dieses globale Sportereignis, bei nicht wenigen aber gibt es auch Bedenken, Skepsis und Ablehnung. Nach wie vor wird gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass Katar vor zwölf Jahren von den FIFA als Austragungsland ausgewählt wurde. Die Kritik an der Entscheidung hat sich in den zurückliegenden Jahren sogar verstärkt.
Als Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz möchte ich den Fans, die vor Ort und in den Medien die WM verfolgen werden, kein schlechtes Gewissen einreden. Freude am Sport, auch an weltweiten Mega-Events, hat ihr komplett eigenes Recht, auch wenn sie durch die extreme Kommerzialisierung gerade des Fußballs getrübt sein mag. Aber es ist trotzdem absolut richtig, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Katar kritisch in den Blick zu nehmen. Das Emirat hatte sich für die Weltmeisterschaft 2022 beworben, um vor allem seine internationale Bedeutung zu unterstreichen und an Reputation zu gewinnen. So ist es nur angemessen, dass in diesen Tagen der Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf dieses Land gerichtet wird und auch die problematischen Aspekte ausgeleuchtet werden.
Ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigranten, die die Sportstätten errichtet und die Infrastruktur des Landes in den zurückliegenden Jahren ausgebaut haben. 88 Prozent der Wohnbevölkerung in Katar sind Ausländer. Sie haben wenige Rechte und unterliegen einem strengen Reglement, das auf einer weitgehenden Abhängigkeit von den Arbeitgebern aufruht. Diese Situation ist nicht neu und wurde durch die Vorbereitungen der WM auch nicht geschaffen. Aber sie hat sich wegen der vielen, vielen Projekte, die dann in diesem Zusammenhang angestoßen wurden, ganz erheblich verschärft. Der Arbeitsschutz auf den Baustellen war lange katastrophal, was vor allem bei den Errichtungen der Stadien zu einer Unzahl von Unfällen und viel zu vielen Toten geführt hat. Und die internationalen Proteste von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen haben inzwischen zu einer Verbesserung der Lage geführt: Die Sicherheit auf den Baustellen wurde erhöht, das Arbeitsrecht verschärft. Befriedigend gelöst werden konnten die Probleme aber nicht; weiterhin gibt es Defizite bei der Umsetzung der Gesetze, besonders bei den erforderlichen Kontrollen. Außerdem sind auch manche Vorkommnisse mit Todesfolge bis heute nicht aufgeklärt worden, und die Forderung nach einer einwandfreien Überprüfung bleibt deshalb bestehen. Die vielen Toten und Verletzten bleiben die dunkle Unterseite einer monumentalen Bauleistung, die angesichts des Glanzes der fertiggestellten Arenen nicht in Vergessenheit geraten darf. Als besonders schwierig wird auch die Situation weiblicher Hausangestellter angesehen, die oft komplett isoliert arbeiten und nur schwer ihre Rechte gegenüber den Arbeitgebern durchsetzen können. In der Regel sogar gar nicht.
Wie andere Staaten der arabischen Halbinsel wurde auch das Emirat Katar in den vergangenen Jahrzehnten durch seinen Öl- und Gasreichtum in ein neues Zeitalter katapultiert. Heute koexistieren eine konservativ-traditionelle islamische Gesellschaft und eine wirtschaftliche Hypermoderne miteinander. Es wäre zu ungerecht, bei der Kritik an fragwürdigen Zuständen diese besondere Situation auszublenden. Aber es wäre auch unangemessen, die eingeschränkten Menschenrechte zu verschweigen. Frauen sind in Katar weiterhin zurückgesetzt. Nicht islamischen Religionen, auch das Christentum, die unter den Arbeitsmigranten stark vertreten sind, wird Freiheit in eingeschränktem Maße gebilligt. Sexuelle Minderheiten unterliegen strafrechtlicher Verfolgung. All dies ist (nicht nur in westlicher Sicht) Ausdruck einer repressiven Staats- und Gesellschaftsordnung, die sich nur langsam verändert.
Manche der an der Weltmeisterschaft beteiligten Verbände und Sportler haben sich entschieden, mit besonderen Aktionen vor oder während der Veranstaltung auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen. Das ist zu begrüßen, sofern nicht Selbstdarstellung und ein moralisch-kulturelles Überlegenheitsgefühl diese am Ende rein symbolischen Handlungen bestimmen. Im Übrigen wird noch zu prüfen sein, ob die Verbände ihre Vertragspartner in Katar auch nach Menschenrechtskriterien nur ausgewählt haben und wie sie sich konkret gegenüber dem berechtigten Anliegen verhalten, einen Fonds zu unterstützen, aus dem Arbeiter und primär ihre Familien für Rechtsverstöße in Zukunft entschädigt werden können.
Viele Fans haben von einer Reise nach Katar abgesehen. Diese Haltung verdient Respekt, kann aber von niemandem eingefordert werden. Wer zu der Unterstützung seiner Nationalmannschaft den Weg nach Katar antritt, sollte aber allen, denen er dort begegnet, beispielsweise Hotelangestellten und Taxifahrern, ganz angemessen gegenübertreten. Ohne sich protzig zu verhalten, ist dabei auch zu bedenken, dass aus dem Ausland kommende Dienstleistungskräfte mit ihrem oftmals nur sehr, sehr kleinen Gehalt ihre Familien in der Heimat weitreichend unterstützen.
Die Erfahrung lehrt leider, dass sportliche Großereignisse wie Weltmeisterschaften und/oder Olympische Spiele die gesellschaftliche und politische Situation in den Austragungsländern üblicherweise nicht so langfristig verbessern. Gerade deshalb bleibt es die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, auch nach der Beendigung der WM in Katar die Reformkräfte im Land noch weiter zu unterstützen und in der Aufmerksamkeit für die Menschenrechte nicht nachzulassen“. (FKF)