Thomas Weikert: „Wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich sein wollen“.
Thomas Weikert ist gerade erst vor sechs Monaten zum Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gewählt worden, und hat mit zwei Olympiaden viel in dieser kurzen Zeit erlebt. In einem exklusiven Interview mit der Redaktion des Portals www.dosb.de spricht Thomas Weikert über die Zeit, die Menschenrechte im Sport und welche Aufgaben bis zur Mitgliederversammlung im Dezember anstehen.
Herr Weikert, am 4. Juni waren es exakt sechs Monate, seitdem Sie sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen in das DOSB-Präsidium gewählt worden sind. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück auf diese Zeit?
Thomas Weikert: Intensive Monate, die von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt waren. Zunächst stand das Kennenlernen im Mittelpunkt … gleichzeitig haben wir uns im Präsidium um die personelle Neuaufstellung im Hauptamt gekümmert. Im Februar war ich dann gemeinsam mit Vizepräsidentin Miriam Welte und dem „Team D“ bei meinen ersten Olympischen Winterspielen. Und unmittelbar im Anschluss hat Russland die Ukraine überfallen und wir haben als DOSB gemeinsam mit Partnern sehr schnell Unterstützung in Form eines Hilfsfonds organisiert. Es ist definitiv nicht langweilig gewesen. Das Engagement und die Tatkraft im Präsidium, in der DOSB-Geschäftsstelle und in den Mitgliedsorganisationen haben mich sehr beeindruckt.
Wie war diese Erfahrung in Peking für Sie?
Thomas Weikert: Die Olympischen Spiele waren gut organisiert, die Sportstätten waren erstklassig und trotz der großen Herausforderung der Pandemie waren die Abläufe fast reibungslos. An Stellen, an denen es hakte, haben wir Druck gemacht und etwa bei den Quarantäne-Bedingungen unserer Athletinnen und Athleten die Situation verbessern können. Die sportliche Bilanz war herausragend. Miriam Welte und ich haben zudem die Zeit genutzt und mit vielen internationalen Kolleginnen und Kollegen gesprochen und signalisiert, dass wir uns auch auf dem internationalen Parkett wieder vermehrt einbringen wollen. In dieser Hinsicht waren es erfolgreiche Olympische Spiele.
Aber natürlich kann man nicht ausblenden, was um einen herum in einem Land wie China alles abläuft.
Sie sprechen die Menschenrechtsproblematik an!
Thomas Weikert: Die Winterspiele waren zu Recht auch geprägt von anhaltenden Menschenrechtsdiskussionen. Der DOSB stand im Vorfeld über mehr als ein Jahr im Austausch mit NGOs und dem Auswärtigen Amt, um das ganze „Team D“ mit den Informationen zur Lage im Gastgeberland zu versorgen. Diese ganze Vorbereitung hat unsere seit der Vergabe der Winterspiele 2015 existierende Mutmaßung leider bestätigt, dass die Tage in China eine Zerreißprobe werden. Uns wurde vor Augen geführt, dass die Auseinandersetzung im Vorfeld nur ein Einstieg in dieses Thema gewesen sein kann. Wir können es nicht ruhen lassen und beim nächsten Ereignis wieder bei Null starten. Politik und Wirtschaft stehen angesichts des Ukraine-Krieges übrigens gerade vor einem ähnlichen Dilemma: Handel, Politik oder eben der Sport müssen wertebasiert denken und handeln. Bloße funktionale Verbindungen bringen kurzfristigen Profit, jedoch langfristige Abhängigkeiten von autoritären Systemen!
Sie und das Präsidium sind zunächst nur für ein Jahr gewählt. Nicht viel Zeit, um gewisse Dinge wirklich anzustoßen?
Thomas Weikert: Das stimmt, und dennoch haben wir schon einiges angestoßen in diesen Monaten. Besonders freut mich, dass die Stimme des organisierten Sports in der Politik wieder stärker gehört wird. Beispielsweise hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach gefordert, dass der Schulsport und die Sportvereine deutlich gestärkt werden müssen. Der von uns geforderte Paradigmenwechsel, in der Bundespolitik, Sport und Bewegung als Querschnittsaufgabe zu verstehen, wird in gewissen Teilen vollzogen. Ein weiterer Beleg dafür ist der Beschluss im Haushaltsausschuss des Bundestags, der dem organisierten Sport fast 500 Millionen Euro für den Neustart, die Sanierung von Sportstätten oder auch dem Programm „Integration durch Sport“ zur Verfügung stellt.
Außerdem befinden wir uns gerade mitten im Dialogprozess „Schutz vor Gewalt im Sport“. Ziel des Prozesses ist es, eine gemeinsame Haltung im organisierten Sport zu entwickeln und unsere Vorstellungen eines Zentrums „Safe Sport“ zu erarbeiten. Diese wollen wir schließlich in den Stakeholder-Prozess des BMI zu dieser Thematik einbringen. Ein wichtiges Ziel wird sein, die vorhandenen Unterstützungsangebote im Sport absolut sinnvoll mit den Möglichkeiten einer unabhängigen Einrichtung in Zukunft zu vernetzen.
Abschließend: Wie ist die Situation im Leistungssport?
Thomas Weikert: Zunächst will ich betonen, dass Leistungssport nicht ohne einen starken Breitensport funktioniert. Das heißt, der Leistungssport profitiert von einem gestärkten Breitensport und umgekehrt. Deshalb steht das Eckpunktepapier nicht allein: Wir sind mit den Mitgliedsorganisationen im Austausch, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln, wie wir den Leistungssport in Deutschland weiterentwickeln wollen. Es ist an der Zeit, eine Evaluierung der Leistungssportreform vorzunehmen. Was ist bereits umgesetzt, was noch nicht? Was läuft gut und wo gibt es weiterhin Verbesserungsbedarf? Im Bereich der Trainerinnen und Trainer sind wir noch nicht da, wo wir sein wollen. Und wir müssen gemeinsam mit dem BMI besprechen, wie wir die bürokratischen Belastungen der Sportverbände reduzieren können. (DOSB/TX)