Wilhelm „Willy“ Kuhweide, Philipp Buhl: „Wie Philipp es richtig sagt: Allround“.
Wilhelm „Willy“ Kuhweide wurde bei den Spielen 1964 in Tokio zum ersten Segel-Olympiasieger der Bundesrepublik Deutschland. Philipp Buhl gewann im Februar 2020 als erster Deutscher überhaupt den Weltmeistertitel in der Laserklasse. Segel-Legende „Willy“ Kuhweide sowie der amtierende Laser-Weltmeister Philipp Buhl im Interview für „go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe“.
Philipp, Du hast mit dem Weltmeistertitel 2020 eines Deiner beiden großen Ziele erreicht, von denen Du seit Deiner Jugendzeit träumst. Wie lebt es sich seitdem damit?
Philipp Buhl: Es ist absolut super, diesen Erfolg im Gepäck zu haben. Vor allem zu Beginn der Pandemie war es unglaublich wertvoll, mit einem so tollen Erfolg in die Wettkampfpause zu gehen, anstatt mit einer Enttäuschung. Dieser WM-Titel ist ein massiver Meilenstein in meiner ganzen Karriere. Er gibt all den Herausforderungen, Entbehrungen, den Investitionen und vor allem der Ungewissheit über viele Jahre hinweg, ob ich jemals dieses Ziel erreichen würde, schlagartig und nachhaltig einen Sinn. Ich denke immer noch regelmäßig mit Freude an diese WM zurück und werde das sicher mein Leben lang nicht vergessen.
Herr Kuhweide, Sie leben in den USA, in Arizona, was hat Sie bislang durch die Pandemie getragen?
„Willy“ Kuhweide: Vor knapp zwei Jahren ist meine Frau Irma an Herzversagen gestorben, das hat zu sehr großen Veränderungen in meinem Leben geführt. Diese Pandemie hat meine Umwelt noch einmal mehr verschoben. Da ich zur Gefahren-Altersgruppe zähle, bin ich sehr froh, dass ich mittlerweile die Impfung bekommen konnte. Mein Naturell hat mir außerdem eine Gabe mitgegeben, dass ich in harten Zeiten immer in der Lage war, mich mit anderen Dingen intensiv zu beschäftigen. So studiere ich seit langer Zeit das Thema „Aufbau und Grundlagen des Daseins“, mit Phi als zentraler Rolle, bin restlos fasziniert über die bisher gefundenen Ergebnisse. Also: Langeweile ist ein Fremdwort.
Philipp, langweilig ist Dir trotz Pandemie-Auszeit sicherlich nicht gewesen. Durch den WM-Erfolg warst Du einer der Top-Favoriten für die Olympischen Sommerspiele. Wie sehr hat Dich die Verschiebung geschmerzt?
Philipp Buhl: Ich war eigentlich sehr entspannt. Mit dem guten Gefühl des WM-Sieges ging manches leichter. Auch konnte ich zum ersten Mal seit fast zehn Jahren den Sommer weitgehend daheim im Allgäu verbringen. Das hat mir gutgetan. Und da ich noch gar kein Karriereende geplant habe, wusste ich, dass ich mich auch auf 2021 gut vorbereiten kann, vielleicht sogar noch besser als für 2020.
Das heißt, Du warst mit Deinem Leistungsvermögen, das souverän zum WM-Titel gereicht hat, noch nicht zufrieden?
Philipp Buhl: Man muss dafür wissen, dass die Verhältnisse in Australien, wo die WM stattfand, grundverschieden zu denen in Japan sind. Melbourne war ein reines Starkwind-Revier, während es in der Enoshima-Bucht, also wo die Olympiaregatta stattfindet, alles geben kann … eine Woche lang Leichtwind oder auch eine Woche lang Starkwind, entsprechend muss man sich darauf vorbereiten.
Herr Kuhweide, kommt Ihnen das bekannt vor? Bei den Olympia in Tokio 1964 haben Sie dort die Goldmedaille gewonnen.
„Willy“ Kuhweide: Die Spiele 1964 waren damals im Oktober, dieses Mal finden sie erheblich früher statt. Es ist deshalb zu erwarten, dass es unangenehm schwül und heiß sein wird. Aber wind- und wellentechnisch gesehen gibt es wohl gar keine Unterschiede, der Grundtenor ist, wie Philipp es richtig sagt, „Allround“.
Abgesehen von Wind und Wellen: Welche Erinnerungen haben Sie noch so an den Herbst von vor 57 Jahren?
„Willy“ Kuhweide: Das sind Momente, die man natürlich nicht vergisst. Das Umfeld hat mir sehr gut gefallen, wobei sich meine Erfahrung auf die Gegend von Enoshima und das kleine Olympiadorf beschränkt. Das habe ich in sehr positiver Erinnerung, was Service, Qualität und Auswahl anbelangt. Tokio zu besuchen, hat man mir erst später bei der Abreise erlaubt.
Sie sprechen damit die politische Situation an. Sie wurden damals aber erst in letzter Sekunde zur Regatta zugelassen …
„Willy“ Kuhweide: Die besondere Situation war, dass sowohl Bernd Dehmel als auch ich vor Ort waren und wir uns die gesamte Zeit auf die Regatta vorbereiteten. Aber keiner von uns wusste, wer den Zuschlag für diesen einen, gesamtdeutschen Platz bekommen würde. Die Politiker haben damals hinter den Kulissen hin und her verhandelt, und es wurde letztendlich vom IOC-Präsidenten Avery Brundage gefällt, dass wir ein Stechen segeln sollten. Daher konnte ich auch nicht zur Eröffnungsfeier nach Tokio. Leider erschien Bernd Dehmel nicht zum Stechen. Mit dieser Sachlage hat Avery Brundage dann rund eine halbe Stunde vor Auslaufen zur ersten Regatta entschieden, dass ich den einen Platz erhalte.
Philipp Buhl: Wieso ist Bernd Dehmel nicht gekommen?
„Willy“ Kuhweide: Er wurde von den Funktionären ausgebremst. Man hat gesagt, wir klären das politisch.
Philipp Buhl: Was für einen Stellenwert hat die olympische Medaille, die Du damals gewonnen hast, für Dich jetzt noch, im fortgeschrittenen Alter? Wie sehr beschäftigt Dich das heute noch?
„Willy“ Kuhweide: Klare Antwort: Nicht mehr sehr viel. Ich habe gewissermaßen davon Abstand genommen. Das ist eine Fähigkeit, die ich in anderen Bereichen des Lebens erfolgreich angewendet habe. Nämlich, dass ich zu der jeweiligen Phase immer die Prioritäten entsprechend gesetzt habe. Und wenn sich die Priorität klar geändert hat, dann habe ich das konsequent durchgezogen.
Wie ist dann heute Ihre Verbindung zum aktiven Sport, wann sind Sie generell das letzte Mal gesegelt?
„Willy“ Kuhweide: Selbst Segel gesetzt habe ich das letzte Mal 1988 in einem Soling-Boot, aber das war ohne Ambitionen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade die Leitung der Lufthansa-Pilotenschule in Arizona übernommen und damit beruflich die Weichen gestellt. Als Konsequenz daraus habe ich nach den vielen Jahrzehnten, die ich aktiv gesegelt bin, davon Abschied genommen.
Was haben Sie von der Segelei in die Fliegerei mitnehmen können?
„Willy“ Kuhweide: Ich bin mit dem Segeln aufgewachsen, ich habe es nie speziell beigebracht bekommen. Das beinhaltet wohl, dass Mutter Natur mir eine gehörige Portion an Talent mitgegeben haben muss. Und hier ist das Faszinierende: In der fliegerischen Ausbildung habe ich erst später gelernt, warum das, was ich so beim Segeln gemacht habe, richtig oder eben manchmal falsch war. Die Parallelen in der Aerodynamik sind so eklatant, dass ich sie gleichermaßen verwenden konnte.
Wie ist es bei Dir, hast du das Segeln auch in die Wiege gelegt bekommen?
Philipp Buhl: Als ich noch ziemlich klein war, bin ich mit meinem Vater gesegelt. Es hat mir einfach unglaublich viel Spaß gemacht. Ich glaube, wenn man sehr großes Interesse und Freude an etwas hat, dann lernt man es auch schnell. Ein Beispiel: Im Englischunterricht in der Schule war ich immer miserabel. In dem Moment, als ich beim Segeln festgestellt habe, dass mir Englisch in der allgemeinen Kommunikation mit internationalen Leuten hilft, stieg auch das Interesse an der Sprache.
„Willy“ Kuhweide: Ich hatte eine relativ ähnliche Erfahrung damit. Ich war auf dem französischen Gymnasium in Berlin und bin später auf das Steglitzer Gymnasium gewechselt. Und dort war Englisch angesagt. Das hatte ich nicht gelernt, da fehlten mir zwei Jahre, da hing ich genauso hinterher wie Du. Und erst kurz vor dem Abitur, nachdem ich mich dann entschieden hatte, Pilot zu werden und wusste, dass das die Fliegereisprache ist, bekam ich dieses Interesse, habe es schneller gelernt.
Als erfolgreicher Segler muss man nicht nur physisch stark sein, Boot, Wind, Wellen und die Konkurrenten beherrschen, sondern gut in Planung, Logistik und Management sein. Philipp, wie viele Boote hast Du in Bootshäusern oder Häfen liegen, um kontinuierlich trainieren und Regatten fahren zu können?
Philipp Buhl: Ein Boot liegt in der Regel am Trainingsstützpunkt in Kiel. Eins ist über den Sommer hinweg auf dem Hänger, wenn wir im Frühjahr in Portugal und Spanien die Regatten abgrasen und dann wieder über Frankreich zurück nach Kiel fahren. Das dritte Boot ist schon unterwegs im Container. Nach Japan schickt der Deutsche Seglerverband zwei Container mit sämtlichen Booten, wobei das Boot, das im Wettkampf gesegelt wird, vom Veranstalter gestellt wird.
Herr Kuhweide, was trauen Sie Philipp und dem German Sailing Team zu?
„Willy“ Kuhweide: Er ist glücklicherweise nicht nur ein sehr guter Segler, sondern auch Realist. Und das ist von großer Bedeutung. Er weiß, dass es sehr schwierig werden wird. Die Pandemie wird vieles verändern. Es wird Leistungsverschiebungen geben, mehrheitlich leider negativer Art. Es wird sehr darauf ankommen, wie sich die Olympioniken darauf einstimmen können. Was Philipp anbelangt glaube ich, dass er das Zeug dazu hat, seine Stärken aufrecht zu erhalten. (go!d/TX)
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