„Rick“ Goldmann: „Es ist eine WM, bei der man für Überraschungen sorgen kann“.
Wenn großes Eishockey gespielt wird, dann darf dieser Bayer mit seiner Expertise nicht fehlen. Erich „Rick“ Goldmann, ehemaliger Spieler (500 DEL-Spiele und 1 NHL-Spiel) und seit 2008 Experte bei diversen TV-Sendern, lebt Eishockey wie kaum ein anderer. Mit der Eishockey-WM in Riga vor der Tür, ist „Rick“ Goldmann der Mann, um für „sportflash.online“ einen Blick auf die WM und auf das deutsche Team zu werfen.
Rückblickend war es eine kuriose DEL-Saison. Wie siehst Du die Qualität des Eishockeys in Deutschland? Wie war diese Saison aus Deiner Sicht?
„Rick“ Goldmann: Ich war erstmal überrascht, nach dem lange nicht klar war, wie es losgeht, dass die ersten Spiele qualitativ so gut waren. Die Mannschaften waren schnell, das war gutes Eishockey und richtig schön anzuschauen. Man muss ganz klar sagen, diese Leistungssteigerung, welche man eigentlich am Ende der Saison hinten raus sieht, vor allem in den Playoffs, die hat auch dieses Jahr stattgefunden. Die Qualität, die Schnelligkeit, die Verantwortung auf dem Eis, wie gespielt wurde, war schon immens in den Playoffs. Das war schon richtig gutes Eishockey, was wir zu sehen bekommen haben
Hast Du denn mit Berlin als neuem DEL-Meister gerechnet? Sind die Eisbären der verdiente Meister?
„Rick“ Goldmann: Es sind ja zwei Fragen … Wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich damit gerechnet, dass es sehr schwer wird, die Adler Mannheim auszuschalten. Das war für mich die Mannschaft, die es galt zu schlagen. Dass die Berliner eine sehr starke Saison in der Nordgruppe hatten, war klar. Das Spielsystem von Coach Serge Aubin ist komplett in der Mannschaft angekommen und ich glaube auch, dass manche Spieler sich in der Saison ein gewisses Selbstvertrauen erspielt haben.
Jetzt komme ich zum zweiten Teil der Frage, ob sie verdient Meister geworden sind … Ich kenne keinen Meister, der zu Unrecht Meister geworden ist! Aber abgesehen davon, sie haben sich immer weiter entwickelt. Sie sind nach Rückschlägen fähig, sich selbst als Mannschaft zu steigern, dass andere Spieler dann die Verantwortung übernehmen. Sie haben eine Tiefe, so dass Spieler da sind, die dann immer wieder unterschiedlich entscheidend für den Erfolg sind. Die Tiefe und die Adaption mit der gleichzeitigen Leistungssteigerung waren bei den Berlinern in den Playoffs eklatant zu erkennen. Deswegen sind sie auch verdient Meister geworden.
Einige Berliner gehen jetzt auch zur Weltmeisterschaft, fällt man in ein Loch, weil man etwas erreicht hat und erst mal durchatmen muss oder ist man durch solch einen Erfolg so selbstbewusst, dass man am liebsten jeden Tag weiter Eishockey spielen will?
„Rick“ Goldmann: Das ist unterschiedlich. Auf der einen Seite ist es dein Kopf, auf der anderen Seite sind es die Automatismen in deinem Körper, die du dir über die erfolgreiche Zeit eingebrannt hast. Wenn du es schaffst, deinen Kopf mit dabei zu behalten und nicht abzuschalten, sondern es für diesen Zeitraum weiter zu treiben, dann hast du beste Voraussetzungen dafür, dass dieser Run letztendlich weitergeht. Das ist eine mentale Herausforderung. Du gehst aus der Saison raus und kommst in die Nationalmannschaft mit neuen Settings in einem anderen Umfeld. Es ist definitiv ein Vorteil für jemanden, der aus einer erfolgreichen Mannschaft kommt. Die große Herausforderung ist, dass er aber seinen Kopf hundertprozentig mitnehmen und da weitermachen muss, wo er war. Bei Spielern, die früher ausgeschieden sind, mag es den Vorteil haben, dass diese die Saison abgehakt haben. Sie sind drei Wochen vorher bei der Nationalmannschaft bei Null gestartet und haben sich in dieser Zeit selbst etwas aufgebaut. Entscheidend ist aber, dass alle letztendlich von ihrer ganz persönlichen Leistungskette den Weg nach oben eingeschlagen haben, einen Run haben. Wie dieser sich erarbeitet wurde, das ist egal. Für den Trainer entscheidend zu erkennen, dass der Spieler jemand ist, der sowohl mental als auch von dem was er auf dem Eis zeigt, auf dem aufsteigenden Ast ist beziehungsweise ans Limit geht.
Es ist wohl nicht nur kompliziert für einen Spieler, der nachträglich in einen bestehenden Kader kommt und Trainingseinheiten verpasst hat. Wie schwer ist es für einen Trainer, diese Nachzügler ins Trainingsprogramm einzubauen?
„Rick“ Goldmann: Da stelle ich mal die Frage anders herum … Die Hälfte des Kaders des DEB-Teams hat schon einmal gemeinsam gespielt und sie haben Ideen. Am 11. Mai hatte das Team USA erst den Trainer bekanntgeben. da gibt es noch keinen einzigen Spieler im Team. Jedes Jahr vor einer Weltmeisterschaft hast du die Herausforderung in der Kürze der Zeit, dich einzuspielen. Wie kann ich dieses Problem des Einspielens verringern? Der Bundestrainer kann auf die Berliner Reihe Noebels, Reichel und Pföderl zurückgreifen. Diese Reihe ist eingespielt, da brauche ich nichts mehr ändern und muss nur mein System anpassen. Da ist die Adaption leicht. Dann kann man schauen, ob man eine Mannheimer Reihe zusammen bringt oder es gibt Spieler, die gemeinsam im Nachwuchs gespielt haben, sich persönlich sehr gut kennen. Du findest unterschiedliche Herangehensweisen, diese Adaption so klein wie möglich zu halten. Die Herausforderung gilt für alle Nationen, sich so schnell wie möglich eben auf dieses System des Trainers und auf die Spielweise der jeweiligen Nationalmannschaften anzupassen.
In der WM-Vorbereitung gab es für das DEB-Team nur einen Sieg aus sechs Spielen. War diese Vorbereitung optimal?
„Rick“ Goldmann: Ich habe schon vor einigen Jahren eine Vorbereitung gesehen, als alle Spiele gewonnen wurden. Aber am Ende hat man fast gegen den Abstieg gespielt. Die Vorbereitung ist von den Ergebnissen nicht so interessant, weil ja die Kader der Mannschaften nie komplett sind. Man muss von der Spielweise schauen, wie weit man ist und was man möchte. Es hat schon noch einige Fehler gegeben in den Vorbereitungsspielen, es ist gegen Ende der Vorbereitung besser geworden. Es ist eine Entwicklung zu erkennen. Es geht in die richtige Richtung … Jetzt kommen noch einige Spieler dazu, damit wird das Ganze noch einmal auf eine ganz andere Ebene gestellt.
Am 15. Mai ging der Flug nach Riga, dann drei Tage in die Einzelquarantäne. Am 19. Mai zum ersten Mal zusammen auf dem Eis und am 21. Mai ist bereits das erste Spiel. Was macht man drei Tagen alleine auf dem Hotelzimmer vor so einem wichtigen Turnier?
„Rick“ Goldmann: Es ist inzwischen schon so, dass die Jungs online im Zimmer mit Off-Ice-Training etwas beschäftigt werden können. Grundsätzlich ist das eine fade Zeit. Diese Weltmeisterschaft wird im Kopf entschieden und sie ist prädestiniert dafür, dass es Überraschungen geben wird. Ich glaube hinten raus werden wieder die starken Mannschaften definitiv auch wieder an Stärke gewinnen, aber du weißt heute nicht, welcher Spieler sich das wirklich von der NHL an tut. Du kennst kaum einen Kader der Teams. Denn diese Vorbereitungsspiele, die immer kurz vor der WM stattfinden, fallen aus Quarantänegründen alle weg. Die Quarantäne, die man auf sich nehmen muss, diese „Bubble“, keine Zuschauer gehabt zu haben, es sind alles Faktoren, die diese WM unberechenbar macht. Die größte Herausforderung bei dieser Weltmeisterschaft ist wirklich im Kopf, die mentale Haltung zu behalten, konzentriert bei den Spielen zu sein und den Teamspirit aufzubauen, obwohl das Team nicht die Möglichkeit hat, sich so zu entfalten, oder mal was zu sehen von der Stadt, wie es sonst üblich ist. Vor jedem, der das auf sich nimmt, ziehe ich meinen Hut. Es gibt etwas Aufwandsentschädigung, aber letztendlich machen die Jungs das alles von sich aus. Da habe ich den höchsten Respekt.
Das erste Gruppenspiel ist gegen Italien. Normalerweise sagt man, dass das gar nicht so schlecht ist, weil ja Italien ein Außenseiter ist. Aber unter diesen Bedingungen wäre vielleicht ein Spiel gegen einen Favoriten besser?
„Rick“ Goldmann: Der Plan ist wie er ist. Als erstes kommt Italien, am nächsten Tag, weniger als 24 Stunden später, gleich Norwegen. Für Außenstehende mögen das kleine Nationen sein. Aber es wird schwierig mit der Quarantäne, dem wenigen Training und die Hälfte des Kaders kommt teilweise erst noch dazu. Jetzt gehst du da rein und du musst innerhalb von 24 Stunden zwei Top-Leistungen abrufen, die in mehr oder weniger zwei Siegen enden müssen. Das sind Sachen, die können sich in deinem Kopf abspielen. Mit so etwas beschäftigst du dich, weil du nichts zu tun hast. Es ist gefragt, aus so widrigen Umständen rauszukommen und im ersten und zweiten Spiel bei der Leistungsfähigkeit an die hundert Prozent zu gehen, obwohl es schwierig ist. Wenn du anfängst, dir die Frage zu stellen, ob vielleicht Finnland oder die USA jetzt leichter gewesen wäre, dann hast du keinen Erfolg, weil es die erste Frage ist, die dich von dem Ziel wegbringt.
Es war wahrscheinlich auch für Experten noch nie so schwer vorherzusagen, wie eine Eishockey-WM laufen kann, oder?
„Rick“ Goldmann: Diese WM wirklich seriös vorauszusagen ist nicht möglich. Am 11. Mai gab es noch keinen Kader von Kanada. Keiner von denen hat zusammen trainiert. Es gab keinen Kader von den USA. Wenn du dir die anderen WM-Kader anschaust, die werden mit dem endgültigen Kader überhaupt nichts zu tun haben. Es ist überhaupt nicht klar, wie viele Spieler aus der NHL dazu kommen. Die WM ist prädestiniert für eine Überraschung.
Es ist ja schon gut, dass gespielt wird. Aber wenn man diese Unsicherheiten alle sieht, hätte man doch überlegen sollen, die WM abzusagen?
„Rick“ Goldmann: Ich glaube schon, dass das internationale Eishockey eine Showbühne braucht. Du musst dich einfach in ein Schaufenster stellen, sonst bist du in dieser Zeit ganz schnell weg. Die Auswirkungen insgesamt für eine Sportart wie Eishockey, die nicht an der ersten Linie steht, sind groß. Das viele Geld, was verloren gegangen ist, diese Unsicherheit, die da ist … Diese Auswirkungen werden wir erst in zwei, drei Jahren sehen. Es ist von der IHF die richtige Entscheidung, diese WM zu spielen, weil du diese Strahlkraft der Nationalmannschaften über eine Weltmeisterschaft in den einzelnen Nationen brauchst. Die Nationalmannschaft ist in vielen Nationen das große Zugpferd. Damit musst du dich zeigen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, die vertretbar ist, dann sollte das auch gemacht werden.
Auch wenn es schwer ist, Vorhersagen zu treffen, aber wir sind Fans des DEB-Teams und wollen daher wissen, wo die Deutschen am Ende landen werden?
„Rick“ Goldmann: Die Mannschaft wird von dem endgültigen Kader eine sehr gute Mischung aus Erfahrung und auch aus jungen Leuten haben. Ich glaube, dass die Mannschaft, welche sich Toni Söderholm als Bundestrainer zusammengestellt hat, schon sein Spielsystem spielen kann. Es ist anspruchsvoll, läuferisch sowie mit der Scheibe geprägt. Es ist eine WM, bei der man für Überraschungen sorgen kann. Und natürlich wünsche ich mir, dass es dann die deutsche Mannschaft ist. (OD)
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