Uwe Stöver: „Über allem steht die Arbeit und die Arbeit ist das nächste Spiel“.
Uwe Stöver war Profi bei Bayer 04 Leverkusen, dem VfL Bochum und dem 1. FSV Mainz 05. Der größte Erfolg: Pokalsieger mit der „Werkself“. Als Trainer betreute der gebürtige Wuppertaler die Jugend- und Amateurmannschaften vom 1. FSV Mainz 05 und dem 1.FC Kaiserslautern. Seit 2007 ist Uwe Stöver primär Sportdirektor und seit Oktober 2019 in dieser Funktion bei Holstein Kiel, die in die Bundesliga wollen.
Ihr habt in einer Saison erlebt, was andere Klubs in der ganzen Vereinshistorie nicht mitmachen. Ist der Kopf nicht irgendwann müde? Und jetzt der Endspurt mit dem möglichen Aufstieg, geht das mental überhaupt noch?
Uwe Stöver: Das denke ich schon, denn wir haben noch Ziele direkt vor Augen. Wir arbeiten mit Akribie und Leidenschaft darauf hin. Es ist so, dass wir mit Sicherheit noch nicht müde sind.
Es gab so viele emotionale Momente in dieser Saison, positive wie negative. Vom Erfolg im Pokal gegen die Bayern bis hin zu 28 Tagen Quarantäne. Hilft ein Psychologen, müssen Sie unterstützen, macht das der Trainerstab alleine oder ist die Mannschaft mental so stark?
Uwe Stöver: Im Grunde genommen kommt die Motivation für das, was wir in dieser Saison erlebt und vor Augen haben, in erster Linie aus der Mannschaft heraus. Sie ist willig, leidenschaftlich und auch leidensfähig. Aus diesen Situationen holt sie sich Kraft und dementsprechend auch die Motivation und die Ziele, die sie immer wieder über die Saison hinaus in kleinen Zeitfenstern gesteckt hat. Damit sind wir in dieser Spielzeit sehr gut gefahren. Es waren überwiegend positive Momente, die sich die Mannschaft erarbeitet und erlebt hat. Natürlich gab es auch negative Momente, wie zwei Quarantänen innerhalb von sechs Wochen über jeweils 14 Tage. Selbst daraus hat die Mannschaft entsprechend Kraft gezogen, um für die letzten Spiele sowie das letzte Spiel gewappnet zu sein. Das ist bemerkenswert.
Sie haben schon einige Stationen als Spieler und in anderen Funktionen hinter sich. Haben Sie so einen einzigartigen Zusammenhalt einer Mannschaft über so einen langen Zeitraum schon erlebt?
Uwe Stöver: Das, was ich im Moment erlebe, ist schon ganz vorne. Natürlich habe ich auch Mannschaften erlebt, die um anderes gekämpft und gestritten haben. Das waren auch schöne Momente, sehr teamorientiert und mannschaftlich geschlossen. Aber diese Saison ist schon besonders und einzigartig.
Welche Rolle spielt dabei Trainer Ole Werner? Gerade nach solchen Erfolgen, wie einem Sieg über den FC Bayern München, performen viele Teams danach schlechter. Aber der Trainer hält das Team scheinbar auf einen gutem Level.
Uwe Stöver: Es ist völlig unbestritten, dass er eine große Rolle spielt. Als er seinen Dienst im Oktober 2019 antrat, ging es damals erst einmal um den Klassenerhalt. Das hat er mit seinem Team schon sehr gut bewältigt und die richtigen Schlüsse aus der vergangenen Saison gezogen, um dann für die nächste Runde gewappnet zu sein. Die Rolle, die er in dieser Konstellation spielt, ist eine sehr große und er hat das hervorragend bewältigt.
Wie viele Klubs haben denn schon angerufen und nach dem Trainer gefragt?
Uwe Stöver: Kein einziger. Er hat Vertrag bis 2022 und ist ein sehr bodenständiger Typ. Dazu fühlt er sich im Verein sehr gut aufgehoben und hat sich hier sehr gut entwickelt. Es gibt eine beidseitige, sehr hohe Wertschätzung.
Wie weit darf man träumen? Die Tür zu Bundesliga ist nun sehr weit offen, der Gang dadurch ist aber noch nicht vollzogen.
Uwe Stöver: Träumen ist immer erlaubt, aber man darf sich nicht in den Träumen verstricken oder sich zu lange damit aufhalten. Über allem steht die Arbeit und die Arbeit ist das nächste Spiel, die Vorbereitung darauf und die Abwicklung des Spiels. Den ersten Matchball haben wir nicht nutzen können, aber der nächste Matchball steht uns bevor, den gilt es zu verwandeln. Und wenn das nicht sein sollte, dann haben wir immer noch eine Chance, die Relegation. Das hat vor der Saison keiner gedacht, schon gar nicht parallel dazu, den Einzug ins DFB-Pokal-Halbfinale.
Nach dieser absolut tollen Spielzeit, wie wird Holstein Kiel mittlerweile in der ganzen Fußballnation wahrgenommen?
Uwe Stöver: Das Interesse in Kiel und in ganz Schleswig-Holstein ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Der Klub hat eine tolle Entwicklung genommen. Vom Aufstieg von der 3. in die 2. Liga, dann Relegation zur Bundesliga, dann jetzt schon wieder die Möglichkeit, ganz vorne mitzuspielen. Wie der ganze Verein denkt, wie er arbeitet, wie er sich positioniert, so kommt er schließlich authentisch, vernünftig und bodenständig rüber. Hier gibt es keine überbordende Zielsetzungen, sondern immer realistische Einschätzungen, also die weitere Etablierung in der Liga, nachdem wir erst seit vier Jahren Zweitligist sind. Das alles kommt positiv in der Stadt und auch in Schleswig-Holstein an. Bundesweit haben wir sicherlich auch durch die Saison, die wir gerade spielen mit Meisterschaft und Pokal, zumindest mal auf uns aufmerksam gemacht.
Ihr seid noch in der Entwicklung, nachdem Aufstieg vor vier Jahren. Aber der Bundesliga-Aufstieg käme nicht zu früh, oder?
Uwe Stöver: Ein Aufstieg kann niemals zu früh kommen. Wenn man sportlich den Aufstieg erreicht, dann muss man die neue Liga auch in Angriff nehmen. Der Verein hat, was die personelle und infrastrukturelle Basis anbetrifft, in den letzten Jahren gute Schritte vollzogen, um für diesen Schritt dann auch gewappnet zu sein. Der Aufstieg käme nicht zu früh.
Wenn es dann klappt, was würde dann in Kiel passieren?
Uwe Stöver: Nichts überdimensionales, sondern weiterhin bodenständig, vernünftig und immer im Rahmen einer wirtschaftlichen Vorgabe handeln. Und selbstredend erhöhen sich dann die Kosten und Investitionen und man muss sehen, was in einer nächsthöheren Liga möglich ist. Aber dann geht es auch wieder um Teamgeist, um mannschaftliche Geschlossenheit, um Taktik und um gute konditionelle Verfassung. Denn die wirtschaftlichen Möglichkeiten werden nicht so da sein, dass wir anders auftreten können.
War es für Sie das anstrengendste Jahr in der Laufbahn?
Uwe Stöver: Das Anstrengendste war sicher die Organisation in Zeiten von Corona. Was ich vermisse und was auch immer ein Großteil meiner Arbeit ausgemacht hat, Spiele und Spieler beobachten, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, vor Ort zu sein, um einen Spieler anzuschauen oder um gegebenenfalls Entwicklungen zu verfolgen. Das sehe ich als die Kernaufgabe in Sachen Kaderplanung. Ich vermisse, detaillierte, persönliche, fundierte Eindrücke zu bekommen. Die Arbeiten haben sich in Zeiten von Corona ins Organisatorische verlagert. Das ist sehr schade.
Was machen Sie am Sonntagabend?
Uwe Stöver: Das wird davon abhängen, was wir kurz davor vielleicht erleben. Das ist eine relativ große Bandbreite. Von daher gilt es, das abzuwarten, aber auch ich werde mich für beide Ausschläge vorbereiten!(OD)
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