Britta Dassler: „Um mal Weltmeister zu werden, muss man klein anfangen“.
Britta Dassler ist Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Durch die Pandemie hat sich die sportpolitische Thematik völlig gewandelt. Ob Schulsport, Breitensport oder Leistungssport, die Probleme sind bereits überall spürbar. Durch die gesellschaftliche Bedeutung wäre ein eigenständiges Sportministerium keine schlechte Idee? Im „sportflash.online“-Interview ha die FDP-Politikern eine klare Position.
Frau Dassler, bevor wir sportpolitische Themen besprechen, erkläre Sie uns doch einmal, was macht der Sportausschuss des Deutschen Bundestages?
Britta Dassler: Der Sportausschuss setzt sich zusammen aus den Mitgliedern aller sechs Fraktionen, die im Bundestag vertreten sind. Wir beschäftigen uns mit allen Dingen rundum den Sport, aber in erster Linie um den Leistungssport. Breitensport ist Ländersache. Der Sport ist dem Bundesministerium des Innern angegliedert. Wir geben die Gelder für den Leistungssport.
Wie groß ist denn die Bedeutung des Sports in Deutschland?
Britta Dassler: Für alle Mitglieder im Sportausschuss ist die Bedeutung des Sports sehr groß. Entweder treibt man selber Sport oder man ist im Sport ehrenamtlich tätig. Dazu ist der Sport durch die monetäre Bedeutung wichtig für die Wirtschaft. Nicht zu vergessen die Themen „Sport und Bildung“ sowie „Sport und Gesundheit“, denn alles, was man in jungen Jahren dem Körper mit Sport Gutes tut, bringt einem im Alter in die Lage, dass man fit ist und man liegt den Krankenkassen nicht so sehr auf den Taschen. Sport hat ein riesengroßes Spektrum!
Wie hat sich denn die Themenlage im Sportausschuss durch die Pandemie geändert?
Britta Dassler: Wir haben eine komplett andere Diskussion. Durch die Pandemie stehen die Vereine mit dem Rücken zur Wand. Viele kündigen ihre Mitgliedschaft, weil sie nicht mehr so viel Geld haben. Den Vereinen fehlen Mitgliedsbeiträge. Dazu fehlen auch die Eintrittsgelder bei Spielen oder die Einnahmen durch Würstchen- und Getränkeverkauf. Das fällt aktuell alles weg. Obwohl wir nur originär für den Leistungssport zuständig sind, haben wir bereits den Antrag gestellt, dass der Bund während der Pandemie Corona-Hilfen auch für den Breitensport geben darf. Ohne Breitensport, kein Spitzensport!
Wenn der Sport eine so große gesellschaftliche Bedeutung hat, müsste es dann nicht ein eigenes Sportministerium geben?
Britta Dassler: Eigentlich ja! Die Österreicher machen uns das vor. Sie haben eine Sportministerin. Bei uns ist es an das Innenministerium angegliedert. Dazu gehören neben Innenpolitik noch Recht und auch das Bauwesen. Das sind große, komplexe Themenbereiche. Da kommt der Sport etwas zu kurz. Allerdings muss man sagen, dass Minister Seehofer für den Sport immer ein offenes Ohr hat und auch mal auf dem kurzen Dienstweg hilft. Aber ein eigenes Sportministerium fände ich sehr gut!
Durch die Pandemie gab es über ein Jahr lang gar keinen Sport mehr an den Schulen. Die Stunden fallen einfach aus. Warum nutzt man die Stunden nicht und unterrichtet die Schüler über die ganzen Themen rundum den Sport? Von Regelkunde bis Sportarten, von Sportgeschichte bis hin zu Sportlerporträts.
Britta Dassler: Der Schulsport kommt immer viel zu kurz! Zum Beispiel werden immer mehr Schwimmbäder geschlossen, die Kinder lernen nicht mehr schwimmen. Eine Katastrophe! Die Kinder haben viel zu wenig Sportstunden in der Woche. In den USA hat der Schulsport eine ganz andere Bedeutung. Es kommt natürlich auch auf die Schule und die Lehrer an. Ich kenne auch Schulen und Lehrer, die über PC oder iPad den Kindern Sportübungen vorgeturnt und die Kinder mitgemacht haben.
Wir müssen dahin, dass die Kinder sich mehr bewegen. Zum einen bekommen wir dadurch ein großes gesellschaftliches Problem, zum anderen fehlt uns auch der Nachwuchs. Denn ohne Breitensport haben wir auch keinen Spitzensport! Denn um mal Weltmeister zu werden, muss man klein anfangen.
Kann man feststellen, wie viele Kinder und Jugendliche dem Sport verloren gegangen sind?
Britta Dassler: Natürlich haben Kinder, weil sie nicht mehr sporteln durften und auch nicht den sozialen Kontakt gehabt haben, mehr Depressionen. Wenn man wieder Sport treiben darf, sind auch die Eltern gefordert, ihre Kinder wieder zum Sport zu animieren. Wenn das nicht passiert, verlieren wir sehr vieleKinder im Sport.
Es gibt die Diskussionen, dass der Profifußball eine privilegierte Stellung hat. Dabei hat die DFL ein tolles Hygienekonzept. Eigentlich müsste das Konzept doch Vorbild für andere gesellschaftliche Bereiche sein. Warum wird es nicht übernommen?
Britta Dassler: Das Konzept ist hervorragend. Im August 2020 hat Karl Lauterbach gesagt, dass er vollkommen dagegen war, Zuschauer in die Stadien zu lassen. Ich war damals dafür, dass man es versucht, aber unter Beachtung der AHA-Regel, denn die Leute brauchen wieder eine Perspektive. Wenn man es nicht unter allen Hygienebedingungen versucht, dann weiß man auch nicht, ob es funktioniert. Beim Pilotprojekt in Rostock, die in der 3. Liga wieder 700 Zuschauer reingelassen haben, ist bis heute nicht bekannt, dass sich jemand mit dem Corona-Virus infiziert hat. Nur so kommen wir wieder in die Normalität.
Glauben Sie denn, dass es im Herbst wieder Zuschauer in den Arenen und Hallen geben wird?
Britta Dassler: Ich habe leider keine Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Bundesregierung mit den Impfungen endlich zu Potte kommt, dass die Impfstoffe herangeschafft werden und dass die gesamte Logistik stimmt. Wenn wir bis September nicht bis zu 70 Prozent der Menschen geimpft haben und eine Herdenimmunität erreichen, haben wir ein Riesenproblem.
Vorher ist noch Olympia in Tokio …
Britta Dassler: Keiner soll eine Sonderrolle bekommen. Aber die Athleten, die nach Tokio fliegen, die müssen geimpft sein. Wenn ich auf den Sport konzentriert sein will, darf ich nicht die Angst im Nacken haben, dass ich mich als Sportler anstecke. Die Athleten vertreten unser Land, leben unsere Werte, haben Vorbildfunktionen für junge Kinder, die in den Sportbereich gehen. Wenn wir das nicht mit dem Impfen schaffen, dann sind auch die Stadien nicht voll.
Sie haben nicht nur eine Anfrage an die Bundesregierung zwecks Impfungen unsere Athleten gestellt, sondern auch zur Öffnung der Fitness-Studios. Die Antwort war nahezu lächerlich, oder?
Britta Dassler: Sie haben gesagt, dass man kein Fitness-Studio braucht, man kann Gartenarbeit machen. Das wäre mindestens genauso gut. Die Studiobesitzer stehen auch alle mit dem Rücken zur Wand. Die wenigsten von ihnen sind auch Besitzer der Immobilie, das heißt, dass sie große Flächen haben und dadurch hohe Mieten zahlen. Und die Kündigungen der ziemlich teuren Mitgliedschaften sind ein richtiges Problem. In den meisten Studios sind außerdem professionelle Physios, die den Menschen zeigen, wie sie sich richtig bewegen können. Es geht auch um präventive Maßnahmen, die bekomme ich nicht im Wald oder im Garten. Eine Frau schrieb mir auf meinem Social Media-Kanal, ob die Bundesregierung denn den Menschen nun einen Platz in einem Garten zur Verfügung stelle …
Wir haben Olympia angeschnitten. Nach Tokio kommen Sportler, Funktionäre und Journalisten. Die Fußball-EM soll in 12 Ländern stattfinden. Hätte man die internationalen Wettbewerbe im Sport nicht in der Pandemie alle absagen oder weiter verschieben sollen?
Britta Dassler: Letztes Jahr habe ich gesagt, dass man diese Veranstaltungen nur stattfinden lassen kann, wenn die Sportler geimpft sind. Das waren sie aber nicht. Diesbezüglich habe ich Dr. Thomas Bach vom IOC kritisiert. Die Absage letztes Jahr kam viel zu spät. Aber da kommt wieder der monetäre Faktor ins Spiel. Ich finde aber, Sicherheit ist das oberste Gebot der Stunde! Es gibt viele Sportler, die sich für Olympia qualifiziert haben, aber trotz Impfung nicht wissen, ob sie sich trauen, nach Tokio zu fahren. Eine Problematik seitens der Sportler muss man noch bedenken. Letztes Jahr wollten einige Olympioniken ihre sportliche Karriere mit dem Höhepunkt Tokio 2020 beenden. Teilweise sind sie nach der Absage in ein Loch gefallen und mussten die Entscheidung treffen, ob sie trotzdem aufhören oder noch ein Jahr dran hängen. Dieses zusätzliche Jahr muss auch wieder finanziert werden. Einige hatten nur die Gelder von der Deutschen Sporthilfe bis Oktober. Wir vom Sportausschuss haben aber Gelder gegeben, dass eben diese Sportler ein Jahr länger finanzielle Unterstützung bekommen.
Ein ganz anderes Thema … haben Sie die Diskussion um Trainer Heiko Vogel mitbekommen, der angeblich zwei Schiedsrichterassistentinnen sexistisch beleidigt haben soll. Daraufhin sanktionierte der Westdeutsche Fußballverband ihn damit, dass er sechsmal eine Mädchen- oder Frauenmannschaft trainieren soll. Wie war ihre Reaktion?
Britta Dassler: Da kann ich nur den Kopf schütteln. Aber sexuelle Gewalt im Sport ist ein Riesenthema, nicht jetzt auf den Trainer bezogen. Aber im Olympiastützpunkt Chemnitz oder in Würzburg hatten wir den Fall. Trainer sind immer für Kinder und Jugendliche die Bezugspersonen. Der Sport muss da viel genauer hinschauen, dass da wirklich nichts passiert. Mit dem DFB wurde diskutiert, dass in jedem Verein ein Beauftragter sein soll, an den man sich wenden kann, wenn mit den Kindern etwas passiert. Das finde ich wichtig und richtig. Nicht nur im Fußball, sondern auch in jedem anderen Verein.
Zudem darf es keine Strafe, sondern es ist eine Ehre, eine Frauenmannschaft zu trainieren. (OD)
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