Katharina Althaus und Karl Geiger: „Wir sind ja dabei, uns durchzuboxen“.
Der in Planica frisch gekürte Skiflug-Weltmeister und die aktuell beste deutsche Skispringerin waren im exklusiven Interview für „go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe“ und haben sich über Skifliegen, Gleichberechtigung und Geisterspringen ausgetauscht. Im Interview sprechen die beiden Oberstdorfer außerdem über die an sie gerichteten Erwartungen, wenn im Verband an der Spitze steht.
Karl, auf der größten Schanze der Welt, dem Vikersundbakken in Norwegen, sind Weiten um die 250 m nicht ungewöhnlich. Was ist das für ein Gefühl, kurz bevor man 7, 8 Sekunden fliegt?
Karl Geiger: Da geht der Pulsschlag schon in die Höhe, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Auf so einer großen Schanze muss man auf Attacke gehen und darf nicht zögerlich sein. Erwischt man einen guten Sprung und kommt ins Fliegen, ist es ein unbeschreiblich geiles Gefühl.
Katharina, kannst Du dieses Gefühl nachvollziehen?
Katharina Althaus: Jein. Ich bin noch niemals Ski geflogen, wir Frauen dürfen es leider noch nicht. Es reizt mich aber sehr, weil ich glaube, dass das Gefühl noch extremer ist. Die Geschwindigkeit, die Höhe … das lässt sich nur bedingt mit dem Skispringen vergleichen.
Kein Skifliegen und keine Vierschanzentournee, obwohl ein klares Agreement der Tournee-Orte besteht und die Sponsoren ihre Bereitschaft signalisiert haben. Wieso hat das Frauen-Skispringen so einen schweren Stand?
Katharina Althaus: Wir sind ja dabei, uns durchzuboxen. In den letzten Jahren haben wir viel erreicht. Bei der WM gibt es ja vier Wettbewerbe, genau wie bei den Herren. Und wir haben inzwischen wesentlich mehr Springen auf der Großschanze. Aber alles braucht mehr Zeit, als wir es gerne hätten. Skifliegen, okay, da würde ich sagen, das bekommen die besten 15 des Weltcups sicher hin. Jedoch sehe ich kein Problem darin, wieso es nicht auch eine Vierschanzentournee für Damen geben sollte.
Karl, könnte es mit der Tournee überhaupt funktionieren?
Karl Geiger: Organisatorisch ist es wohl nicht ganz einfach zu lösen, hinter der Tournee steckt viel Aufwand. Es bräuchte daher ein gutes Konzept, aber wieso sollte es nicht möglich sein?
Unterschiede gibt es auch bei den Preisgeldern. Während diese z.B. im alpinen Ski-Weltcup angeglichen wurden, erhalten Skispringer für jeden Weltcup-Punkt 100 Schweizer Franken, die Frauen nur 38. Kannst Du die Frustration der Damen verstehen?
Karl Geiger: Natürlich. Ich weiß nicht genau, wie sich diese ganzen Preisgelder zusammensetzen, aber grundsätzlich müsste man sagen: Die Frauen machen genauso einen Wettkampf wie wir, mit 50 Starterinnen im ersten und 30 im zweiten Durchgang. Sie bringen theoretisch also die gleiche Leistung und sollten dafür eigentlich das gleiche kriegen. Woran das genau scheitert, weiß ich aber nicht, vielleicht an den Werbeinnahmen.
Katharina Althaus: Wir wollen ja gar nicht, dass die Männer weniger verdienen. Aber es wäre schön, wenn das nach und nach ein bisschen angeglichen würde. Dieses Jahr ist aber gar nichts passiert.
Bei der WM gibt es etwas Gleichberechtigung. Gemeinsam habt Ihr 2019 Gold im Mixed-Team gewonnen. Wie ist das Miteinander?
Karl Geiger: Ich habe das Mixed-Team als äußerst coolen Wettkampf in Erinnerung. Es besteht ja nur aus zwei Männern und zwei Damen, das macht es schwierig, sich intern dafür zu qualifizieren. Schafft man das, spricht das für eine gute Form. Das Miteinander pusht uns enorm. Und obwohl sich Frauen und Männer über das Jahr nicht so oft sehen, sind die Abläufe bei allen gleich.
Katharina Althaus: In einem Wettkampf mit den Jungs zu springen, ist immer ein bisschen aufregender und macht richtig viel Spaß. Wir hatten dadurch natürlich auch viel mehr Zuschauer als sonst. Und ich denke, es ist für die Betrachter auch spannend zu sehen, dass wir Damen sogar mit etwas mehr Anlauf die gleichen Weiten erzielen können.
Bei der WM wurde bei den Frauen erstmals eine Weltmeisterin auf der Großschanze gekürt. Kommt Dir diese Entwicklung entgegen?
Katharina Althaus: Ich sehe auf großen Schanzen schon einen Vorteil für mich, weil ich gut fliegen kann. Das wirkt sich dort natürlich mehr aus als auf einer Normalschanze und macht mehr Spaß. Mittlerweile habe ich aber ein gutes Mittelmaß zwischen Absprung und Flug gefunden.
Es ist die 10. Weltcup-Saison, für Damen gibt. Du warst bei allen am Start. Bei Deinem Debüt warst Du erst 15 Jahre alt.
Katharina Althaus: Es sind noch einige aus diesen Anfangsjahren am Start, aber bei uns im Team bin ich die einzige, im gesamten Weltcup eine der wenigen, die tatsächlich bei allen Saisons komplett dabei war, und zum Glück von schweren Verletzungen verschont geblieben bin.
In den letzten 4 Jahren warst Du im Gesamt-Weltcup immer Top5. Mit welchem Ziel gehst Du in die neue Saison?
Katharina Althaus: Ich will wieder versuchen, von Anfang an vorne mit dabei zu sein. Und bei der WM daheim ist es natürlich mein Wunsch, in allen Springen um Medaillen mitzukämpfen. Dieses Jahr ist es wegen der Pandemie allerdings schwierig einzuschätzen, wo man steht, weil es zuletzt wenig direkte Vergleiche gab.
Karl, Du hast in der vergangenen Saison endgültig den Durchbruch geschafft: Wie gehst Du mit Deiner neuen Rolle um?
Karl Geiger: Es herrscht schon ein bisschen mehr Trubel. Ich bin mir aber auch bewusst, dass letztes Jahr ein sehr, sehr gutes Jahr war und es keine Garantie dafür gibt, dass es nun genauso gut läuft. Um sich auf Erfolgen auszuruhen, dafür ist die Leistungsdichte einfach zu groß, das geht dann ratzfatz.
Als Skispringer steht man in Deutschland sehr stark im Lichte der Öffentlichkeit und muss sich, wenn es mal nicht so läuft, auch Kritik anhören. Wie nimmst Du das wahr?
Karl Geiger: Das alles beeinflusst einen schon. Die mediale Wahrnehmung, die unser Sport erfährt, ist nicht selbstverständlich und dafür sind wir sehr dankbar. Wenn es sportlich nicht läuft, macht es der Druck von außen aber nicht wirklich leichter. In den letzten Jahren hatten wir immer das Glück, dass einer in die Bresche gesprungen ist, wenn es bei einem anderen nicht so gut lief. So ist der Druck für den Einzelnen dann überschaubar.
Stichwort Öffentlichkeit: Du selbst hast Energie- und Umwelttechnik studiert, spielen Gedanken bezüglich des Klimaschutzes bei Dir eine Rolle?
Karl Geiger: Ja, aber etwas differenziert. Wenn wir einen Wettkampf in Japan haben, müssen wir dorthin fliegen, andernfalls findet er eben ohne uns statt. Aber wir versuchen, im Alltag nachhaltig zu arbeiten, auch mit dem Material, um unseren ganzen ökologischen Fußabdruck möglichst gut zu minimieren.
Die nächsten Olympischen Winterspiele finden im Jahr 2022 in und um Peking statt, nicht unbedingt der erste Ort, den wir in Europa oder Nordamerika damit wohl verbindet.
Katharina Althaus: Nicht wirklich. Das war in Pyeongchang aber nicht anders, wo dann bei unserem Springen auch kaum Zuschauer an der Schanze waren. Es ist schade, wenn man genau weiß, dass die Anlagen nach den Spielen kaum noch genutzt werden. Ich war nach 2014 nie wieder in Sotschi, ich war nach 2018 nie wieder in Pyeongchang und in Peking wird es nach 2022 vermutlich ähnlich sein. Da fehlt mir einfach die Nachhaltigkeit.
Während der Pandemie im Frühjahr warst Du häufig in den Medien vertreten, weil Du Masken für Ärzte und Rettungskräfte genäht hast. Hast Du das Echo erwartet?
Katharina Althaus: Ich hätte nicht gedacht, dass das so eine riesige mediale Welle schlägt. Das war für mich wirklich alles ein Stück weit selbstverständlich, ich wollte einfach helfen. Jetzt habe ich dafür sogar den Bayerischen Sportpreis bekommen. Das war krass, aber das sind nun mal die Zeiten. (go!d/TX)