Dieter Hecking: „Derbys will man gewinnen, egal wie man in der Tabelle steht“.
Seit Sommer 2020 hat Dieter Hecking den Trainingsplatz mit dem Schreibtischstuhl getauscht, vom Trainer zum Sportvorstand. Und das auch noch in der Pandemie. Im exklusiven Interview mit „sportflash.online“ gibt er Einblicke in seinen neuen Arbeitsalltag, erklärt die Problematik in Traditionsvereinen, spricht über Herausforderungen durch die Pandemie und schaut auf das anstehende Derby gegen die Nachbarn aus Fürth.
Wie sieht denn Ihr Alltag als Sportvorstand beim 1 FC Nürnberg aus?
Dieter Hecking: Einen ganz normalen Alltag gibt es nicht. Die Inhalte unterscheiden sich täglich. Nur die Abläufe ähneln sich.
Ich komme morgens gegen acht Uhr ins Büro, als erstes haben wir einen Jourfix mit meiner Sekretärin und meinem Assistenten, um den Tag zu besprechen. Dann geht es in die unterschiedlichen Inhalte. Transfers, Nachwuchsleistungszentrum, Arbeit mit dem Pressesprecher, Gespräche mit dem Trainer … um nur ein paar Aufgaben zu nennen.
Ist denn alles genau so eingetroffen, wie Sie es sich vor Beginn Ihrer Tätigkeit als Sportvorstand vorgestellt haben?
Dieter Hecking: Ja, das meiste schon. Wie als Trainer spreche ich am häufigsten über Fußball. Natürlich sind die Themenfelder jetzt andere. Mit der Vermarktung oder einer Etatplanung hatte ich als Trainer wenig Berührungspunkte. Aber ich bin mir auch nicht zu schade gewesen, mir diese Inhalte mit Hilfe unserer Mitarbeiter anzueignen und viele Fragen zu stellen.
Erinnern Sie sich denn eigentlich noch an die Inhalte Ihres Sportmanagement-Studiums? Finden Sie heute etwas im Job wieder, was Sie damals studierten?
Dieter Hecking: Das Studium hilft mir auf jeden Fall. Auch, wenn sich das eine oder andere schon verändert hat. Gewinn und Verlustrechnung, das Lesen von Bilanzen, Abschreibungsmodelle … das alles habe ich abgespeichert. Und jetzt, wenn man wieder damit konfrontiert wird, ist es plötzlich da. Die angedeuteten Veränderungen beziehen sich primär auf Marketing und Vertragswesen. Ich lerne gern dazu.
Was war denn das für ein Moment, als Sie für sich entschieden haben, ich will nicht mehr Trainer sein, ich möchte Sportvorstand werden?
Das war ein Prozess, der bei mir länger angedauert hat. Es gab nicht diesen einen Moment. Vor kurzem hat mir ein Journalist aus Wolfsburger gesagt: „Herr Hecking, das haben Sie schon bei uns 2015 gesagt, dass Sie das im Kopf haben“.
Das zeigt, dass ich schon damals den Prozess begonnen habe, auch nochmal den Fußball von einer anderen Seite kennenzulernen. Nach meiner Zeit in Hamburg gab es für mich zwei Fragen: Bleibe ich beim HSV in der zweiten Liga? Das konnte ich verneinen. Die zweite Frage Nehme ich nach 20 Jahren auf der Trainerbank eine Auszeit? Es hätte mir sicherlich nicht geschadet. Aber dann kam eben die Anfrage aus Nürnberg. Wir haben uns zweimal getroffen. Dann habe ich eine Woche intensiv nachgedacht und mich dafür entschieden. Weil es genau der ideale Moment war, der Trainerbank ade zu sagen und Fußball auf der Vorstandsseite kennenzulernen.
Fehlt Ihnen denn irgendetwas von der täglichen Trainingsarbeit?
Dieter Hecking: Das ist das eigentlich Überraschende. Nein, es fehlt mir gar nichts. Natürlich stehe ich beim Training auch mal am Spielfeldrand und schaue mal zu, aber ich ertappe mich nicht dabei, dass ich eingreifen möchte. Mein Tag ist auch so ausgefüllt genug. Bei 12, 13 Stunden macht man sich sehr wenig Gedanken über Trainingsarbeit oder Vorbereitung, Nachbereitung, Spielvorbereitung, Spielanalyse. Das sind Themenfelder, die mich jetzt auch zeitlich nicht mehr einspannen.
Für Sie war die erste große Aufgabe, einen neuen Trainer zu finden. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?
Dieter Hecking: Zunächst haben wir nur den Markt sondiert. Wer könnte inhaltlich passen? Was passt zum Club? Gemeinsam mit Michael Wiesinger, der den Club ja auch sehr gut kennt, haben wir am Ende die Entscheidung getroffen, dass Robert Klauß als Mensch und Trainer am besten geeignet ist.
Was sagen Sie denn den Kritikern, den Lautsprechern draußen, die sagen, ist ja klar, dass der Hecking so einen Unbekannten holt, weil, wenn es nicht läuft, dann setzt er sich selber wieder auf die Bank …
Dieter Hecking: Das werde ich mit Sicherheit nicht machen! Das steht für mich außer Frage. Ich habe vom ersten Tag an gesagt, dass es keine Rückkehr auf die Trainerbank in Nürnberg geben wird.
Als Spieler hat man möglicherweise Vorbilder, als Trainer sicherlich auch. Hat man als Sportvorstand auch Vorbilder? Sie haben ja auch einige erlebt …
Dieter Hecking: Ich habe nur mit guten Leuten zusammengearbeitet. Ob es Jürgen Springer in Lübeck war oder Jörg Schmadtke als Sportdirektor in Aachen. Dann war ich in Nürnberg und Hannover, da war beispielsweise Christian Hochstätter einer meiner Vorgesetzten, in Nürnberg war es Martin Bader, in Wolfsburg Klaus Allofs, in Gladbach Max Eberl, in Hamburg Jonas Boldt. Das sind schon alles Sportvorstände bzw. Sportdirektoren, die nicht den schlechtesten Ruf in der Branche haben. Und so habe ich mir von jedem etwas angeeignet.
Wenn Sie einen Ratschlag brauchen, wen fragen Sie?
Dieter Hecking: Max Eberl und Jörg Schmadtke sind für mich dann auch wichtige Ansprechpartner. Auch Jonas Boldt, weil er aus der jüngeren Generation kommt, den ich in Hamburg schätzen gelernt habe … aber letztendlich ist es wie immer: Einen Ratschlag können sie mir nur begrenzt geben, weil sie nicht im Tagesgeschäft in Nürnberg verwurzelt sind. Man kann über Vieles reden, aber die Entscheidung muss man dann trotzdem alleine treffen.
Spieler und Trainer haben wahrscheinlich eine Karriereplanung, sie möchten Titel gewinnen, sie möchten einen großen Verein trainieren, sie möchten in der Nationalmannschaft spielen … hat ein Sportvorstand eine Karriereplanung?
Dieter Hecking: Ich glaube, da kann ich mich ein bisschen herausnehmen. Ich möchte einfach gut arbeiten und dem 1. FC Nürnberg strukturell so aufstellen, dass wir wieder von den hinteren Tabellenregionen der zweiten Liga wegkommen. Das sind meine Ziele. Natürlich ist der Club ein Verein, der von vielen gerne auch in der Bundesliga gesehen wird. Im Moment sind wir davon ein Stück weit entfernt. Wenn wir das in meiner Ägide irgendwann hinkriegen, dann würde ich mich freuen, denn dann habe ich auch in meiner Funktion das eine oder andere richtig gemacht. Aber das wird nicht so einfach werden, das weiß ich auch.
Sie waren 2009 bis 2012 schon beim Club in der Funktion des Trainers. Was hat sich denn seitdem beim 1. FC Nürnberg alles geändert?
Dieter Hecking: Eigentlich nicht so viel. Es sind teilweise die gleichen Mitarbeiter noch da, das Trainingszentrum ist gleich, der Trainingsbereich für die Profiabteilung ist ebenfalls gleich geblieben. Aber das ist ein Verein, der mit Aufs und Abs leben gelernt hat. Und im Moment gibt es wieder mehr Abs. Schon deshalb wird es in Zukunft Veränderungen geben müssen.
Sie haben bereits bei vielen Traditionsvereinen gearbeitet. Alemannia Aachen, Hannover 96, Borussia Mönchengladbach, Hamburger SV … jetzt beim Club. Um die Dinge umzusetzen, ist es bei Traditionsverein schwieriger, weil von außen viel mehr Leute darauf schauen. Medien, Fans … ist die Bereitschaft geringer für Veränderungen als vielleicht bei anderen Vereinen?
Dieter Hecking: Das entscheidende ist Überzeugungsarbeit. Du kannst auch mit Traditionsvereinen erfolgreich die Zukunft generell gestalten. Tradition ist beim 1.FC Nürnberg wichtig, weil sie zur DNA gehört. Trotzdem muss man auch gewillt sein, Veränderungen in gewissem Maß zuzulassen. Damit sich sportlicher Erfolg einstellt.
Wie ist das mit Derbys? Sind sie alle gleich? Also ist HSV gegen St. Pauli oder Mönchengladbach gegen Köln vergleichbar mit einem Derby Nürnberg gegen Fürth oder gibt es Unterschiede?
Dieter Hecking: Derbys besitzen eine unglaubliche Wichtigkeit für die Vereine und die Fanszenen. Es geht immer um Emotionen, Rivalität und die Liebe zum Verein. Und es geht nicht darum, wer im Moment der Bessere ist, sondern einfach darum, diese beiden Spiele in einer Saison zu gewinnen.
Haben Sie als Sportvorstand an Niederlagen länger oder kürzer zu knabbern als damals als Trainer?
Dieter Hecking: Deutlich kürzer. Wenn du als Trainer ein Spiel verloren hast, dann rattert der Kopf, dann machst du dir Gedanken? Warum hat es nicht gepasst, wo hat man vielleicht etwas falsch in der Vorbereitung gemacht? Habe ich falsch gecoacht? Habe ich falsche Entscheidungen getroffen? Das sind die Dinge, die dir durch den Kopf gehen. Als Sportvorstand muss ich das Große und Ganze im Blick haben.
Was vermissen Sie am meisten vom Trainerjob?
Dieter Hecking: Am Trainerjob direkt aktuell nichts. Aber grundsätzlich vermisse ich die Fans im Stadion! Ich hoffe und wünsche mir einfach, dass wir bald, nicht nur im Fußball, sondern bei allen Veranstaltungen, wieder Zuschauer haben. Noch so gut gemeinte Videocalls und Videomeetings ersetzen nicht das Live-Erlebnis. Wir und auch die Künstler anderer Veranstaltungen brauchen die Bühne. Wir brauchen das Publikum, wir brauchen die Unterstützung, wir brauchen auch mal die Pfiffe, wenn es nicht so gut läuft. Da fehlt schon im Moment einiges. Es ist mein Wunsch als Sportvorstand, dass wir möglichst bald wieder zur Normalität in vielen Bereichen zurückkommen können. Und mein Trainer sagt: „Ich würde gern einmal erleben, dass 25.000 Zuschauer im Max Morlock-Stadion sind!“ … er kennt das ja gar nicht!
Sie haben Ihre neue Funktion angefangen und da war das Corona-Virus schon da. Sie konnten sich gar nicht richtig einarbeiten, sie hatten gleich eine riesige Herausforderung auf dem Schreibtisch, die Pandemie!
Dieter Hecking: Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dann weiß ich, dass kein Geld da ist und ich freue mich dann, wenn hoffentlich mal wieder ein bisschen finanzieller Spielraum vorhanden ist … aber im Ernst: Es ist eine spannende Herausforderung, aus begrenzten Mitteln das Beste herauszuholen. Und ich bin von Haus aus schon immer ein sparsamer Mensch gewesen. Grundsätzlich sollten wir gar nicht stöhnen. Dafür geht es uns in Deutschland und generell auch im Fußball immer noch gut.
Glauben Sie denn, wenn es tatsächlich mit der Pandemie so weitergeht, dass der eine oder andere Verein „über die Wupper“ gehen wird, oder muss?
Dieter Hecking: Wenn sich die Schlinge weiter zuzieht, werden das viele Vereine nicht schaffen können. Das ist meine Überzeugung. Die Vereine wissen, dass sie wirtschaftlich vor einer riesigen Herausforderung stehen. Dies gilt es sowohl, in erster, zweiter, aber auch in der dritten Liga gemeinsam zu meistern. Darüber hinaus sollten wir den Amateurfußball nicht vergessen. Und den Jugendbereich. Jugendliche im Alter von 18, 19 Jahren verlieren gerade ein komplettes Jahr für ihre fußballerische Ausbildung. Das sind auch Auswirkungen der Pandemie, die müssen wir erst einmal wieder auffangen.
Was glauben Sie? Auch darüber gibt es ja unterschiedliche Diskussionen … wenn es dann weitergehen sollte, vielleicht schon im Sommer, glauben Sie, dass alle wieder in die Stadien strömen? Oder glauben Sie, dass es auch eine Entwöhnung gegeben hat?
Dieter Hecking: Ich glaube schon, dass wir den einen oder anderen Fan verloren haben. Auch da müssen wir erstmal Wege finden, wie wir die Leute auch wieder zurück ins Stadion bekommen. Ich glaube gar nicht mal, weil sie neidisch auf den Fußball sind oder weil viele in der Gesellschaft immer mit dem Finger auf den Fußball zeigen. Der Fan hat einfach gemerkt, dass es da noch etwas anderes am Wochenende als Fußball gibt. Das merkt man ja auch selber, dass man viel mehr Zeit zu Hause mit der Familie verbringt, sich alles ein bisschen verschiebt, sein Freizeitverhalten verändert und man plötzlich merkt, dass es auch schön sein kann. Ich bin mir schon relativ sicher, dass es da auch Leute gibt, die sagen, ich brauche jetzt nicht mehr jeden Samstag unbedingt ins Stadion fahren.
Was sagen Sie denn denen, die lautstark sagen: „Ich verstehe das nicht! Ich darf meine Kneipe, mein Restaurant nicht aufmachen. Aber der Club spielt Fußball, heute in Aue und morgen gegen Heidenheim“ …
Dieter Hecking: Der deutsche Fußball hat eines geschafft, was viele ihm gar nicht zugetraut haben. Er hat ein nachhaltiges Hygienekonzept erstellt und damit allen Kritikern gezeigt, dass es funktionieren kann. Im deutschen Fußball ist die Anzahl der Infektionsfälle sehr gering sind. Das spricht für das Konzept, welches die DFL mit dem DFB zusammen ausgearbeitet hat. Es spricht aber auch für die Umsetzung in den Vereinen. Es gibt immer mal wieder Einzelfälle, die dann auch natürlich sofort kritisch betrachtet werden, aber es gibt auch viele positive Beispiele. Und Einzelfälle kann man nie ausschließen. Der Fußball hat schon einige Argumente auf seiner Seite, dass man es rechtfertigen kann, dass wir weiterspielen durften.
Warum immer die Neiddebatte? Warum immer auf den Profifußball zeigen?
Dieter Hecking: Verstehen kann ich es auch nicht, aber vielleicht doch … es wird viel Geld umgesetzt und deshalb verdienen die Protagonisten auch viel Geld. Der Fußball hat in der Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert. Bei aller auch zum Teil berechtigte Kritik, es sind doch die meisten froh, dass es den Fußball gibt.
Was ist der Ansporn, morgen um acht Uhr an Ihrem Schreibtisch zu sitzen?
Dieter Hecking: Einfach der Spaß an der Arbeit! Es ist immer abwechslungsreich, man muss sofort reagieren. Das treibt mich an den Schreibtisch. Idealerweise bin ich vorher aber auch schon gelaufen …
Wir haben über das Derby im Frankenland geredet … da gibt es noch eine Scharte auszuwetzen, oder?
Dieter Hecking: Das letzte Spiel haben wir 3:2 verloren, da war Fürth die bessere Mannschaft. Derbys will man gewinnen, egal wie man in der Tabelle steht.
Und wo wird am Ende der Saison der Club landen?
Dieter Hecking: Das, was ich auch vor der Saison gesagt habe. Wir wollen eine sorgenfreie Saison spielen. Damit habe ich klar gesagt, dass wir möglichst nicht in den Abstiegskampf reinrutschen. Wir haben in den letzten Monaten gar nicht auf einem Abstiegsplatz gestanden. Wir haben alles selber in der Hand, uns jetzt von unten zu lösen. Wenn wir das zeitnah hinbekommen, dann ist das für dieses Jahr absolut okay. Aber auch nicht mehr.
Aber der Anspruch in Nürnberg ist wahrscheinlich ein ganz anderer, die Nürnberger wollen ja nicht einfach nur den Klassenerhalt haben, die sehen den Club wahrscheinlich auch schon wieder in der ersten Liga …
Dieter Hecking: Da bin ich ganz gerne realistisch. Natürlich wünsche ich mir, dass der 1. FC Nürnbergmöglichst unter meiner Ägide auch wieder in der Bundesliga spielt. Dafür bedarf es Schritte zu gehen und wir haben die ersten Schritte gemacht. Ganz ehrlich, es sind aber noch viele zu gehen. (OD)