Tobias Sippel: „Gesund bleiben und solange Fußball spielen, wie es noch geht“.
Tobias Sippel war bereits mit 19 Jahren Stammtorwart beim 1. FC Kaiserslautern. Nach mehr als 200 Pflichtspielen für die Pfälzer wechselte der heute 33-jährige Bad Dürkheimer 2015 zu Borussia Mönchengladbach. Am vergangenen Samstag erst das 15. Pflichtspiel für die „Fohlen“, in knapp sechs Jahren. Der ausgelernte Bäcker erzählt „sportflash.online“ im Interview über das Leben als Nummer 2 in der Bundesliga.
Tobi, die Vorrunde zur U21-Europameisterschaft ist gerade vorbei gegangen und die deutsche U21-Auswahl hat sich für die Endrunde qualifiziert. Hast Du mal ein bisschen an die U21-EM 2009 gedacht, als Du zugeschaut hast?
Tobias Sippel: Ja, klar. Damals gehörte ich noch zum jüngeren Jahrgang in der Nationalmannschaft. Das war für mich ein riesiges Highlight, dass ich da mitfahren durfte. In dem Jahr sind wir auch aufgestiegen. Deswegen hat mich Horst Hrubesch mitgenommen. Florian Fromlowitz und Manuel Neuer waren auch dabei. Wenn man die Mannschaft sieht, die mit gekickt hat, wie weit die alle gekommen und teilweise Weltmeister geworden sind. Das war schon etwas Spezielles, ein tolles Erlebnis. Da kann man seinen Kindern irgendwann auch davon erzählen.
Manuel Neuer war damals die Eins. Konnte man schon absehen, dass er mal Welttorwart wird?
Tobias Sippel: Ja. Zu dem Zeitpunkt war es schon bekannt, dass er direkt in die A-Nationalmannschaft aufrückt, da hast du schon gewusst, in was für eine Richtung es bei ihm geht. Durch den Bayern-Wechsel war auch klar, dass die nächsten Jahre die Position Eins in Deutschland komplett gesichert ist.
Woran hast Du das damals schon so gut bei ihm erkennen können?
Tobias Sippel: Er bringt alles mit: Körpergröße, Ausstrahlung, Präsenz. Das macht sehr viel aus und dazu kann er auch extrem gut kicken. Wenn man 10 oder 15 Jahre zurückgeht, da ging es nur darum Bälle zu halten. Es hat sich aber entwickelt. Das Beste ist, dass du deine Mitspieler anspielen kannst. In Gladbach ist es heute so, dass wir extrem wenig lange Bälle spielen, dass wir versuchen immer rauszuspielen. So trainieren wir das auch tagtäglich in kleinen Spielformen, unter Druck. Das macht Spaß. Du wächst damit rein. Ich weiß noch, als ich aus Kaiserslautern gekommen bin, da habe ich nicht so rausgespielt. Aber jetzt macht es echt viel Bock.
Du hast Deinen Vertrag in Gladbach bis 2023 verlängert. Warum?
Tobias Sippel: Wir fühlen uns als Familie hier sehr wohl. Es gab auch ein paar Anfragen, da hätte man sich Gedanken machen können. Aber ich bin nicht der Typ, der von Verein zu Verein zieht und irgendwo wieder was Neues machen will. Wir haben uns bewusst für den Schritt entschieden, hier zu bleiben, ein Haus zu kaufen. Ich fühle mich im Verein pudelwohl. Es macht mir extrem viel Spaß und deswegen war das Gespräch mit Max Eberl kurz und es war alles relativ schnell fix.
Was macht denn eine gute Zwei aus, oder darf man das gar nicht sagen?
Tobias Sippel: So werde ich hier in Gladbach gar nicht genannt. Also, sie wissen, dass ich in jedem Training immer voran gehe. Dann muss man im Spiel von Null auf Hundert funktionieren. Wenn irgendetwas im Spiel passiert, dann musst du direkt da sein. Diese Eigenschaft habe ich mir über die Jahre auch antrainiert. Deswegen ist es im Training auch so, dass ich nicht lange brauche, um mich warm zu machen. Am liebsten zwei Tore hinstellen, los geht’s. So habe ich mich in diese Rolle dann auch rein entwickelt.
Das ist ein interessanter Punkt. Du sitzt auf der Bank und irgendetwas passiert mit Yann Sommer. So wie aktuell beim Spiel in Berlin. Yann fliegt vom Platz und Du musst auf dem Punkt da sein, ins Spiel gehen, Deinen Mann stehen. Du hast kein Zeit Dich einzugewöhnen. Wie kann man so etwas trainieren?
Tobias Sippel: Das kannst du gar nicht speziell trainieren. Du musst dich mental einstellen und wissen, dass immer ein Fehler passieren könnte. Aber du gehst mit einer Coolness rein, dass schon nichts passiert.
Wie bist Du die 90 Minuten auf der Bank? Bist Du schon sehr fokussiert oder kannst Du auch mal abschalten, damit Du nicht verkrampfst?
Tobias Sippel: Ich erlebe das nicht als Edelfan mit dem besten Platz im Stadion. Es ist so, dass man mit einer gewissen Anspannung zum Spiel fährt, weil immer etwas passieren kann. Das ist schon eine andere Anspannung, als wenn man selbst spielt, aber trotzdem immer noch mit dem Fokus, dass es ein Bundesligaspiel ist.
Wird es überbewertet, dass ein Torwart Spielpraxis benötigt?
Tobias Sippel: Ich habe über 200 Spiele gemacht, daher bin ich tiefenentspannt. Für einen jungen Torwart ist es extrem wichtig früh und regelmäßig zu spielen. Es ist schade, dass von den U21-Torhütern keiner Stammtorwart ist. Aber es wäre besser, vielleicht ein, zwei Jahre in der 2. Liga regelmäßig zu spielen und vorbereitet auf die 1. Liga zu werden.
Stichwort „Spielpraxis“ … dann machen wir doch einen kleinen Schlenker … Wenn Du an Alexander Nübels Stelle gewesen wärest, wärest Du dann nicht zum FC Bayern gegangen?
Tobias Sippel: Ich hätte das wahrscheinlich ein bisschen anders gelöst, wie er es gemacht hat. Wenn natürlich eine Anfrage vom FC Bayern München kommt, dann überlegst du. Aber du weißt auch, dass Manuel Neuer vor dir ist und er Minimum noch zwei bis drei Jahre spielen wird. Klar ist es schön, ein Jahr mit ihm zusammen zu trainieren, von ihm zu lernen. Aber der Entwicklung wird es schon schaden. Er hätte bei Bayern unterschreiben und sich dann ausleihen lasen sollen. Im Endeffekt hätte ihm ein Jahr in der Bundesliga, in der zweiten Liga oder im Ausland gut getan.
Um Höchstleistung zu bringen, ist es besser unter Torhütern eine gesunde Konkurrenz im Klub zu haben, oder ist es besser, wenn man freundschaftlich miteinander klar kommt?
Tobias Sippel: Bei uns in Gladbach gilt beides. Yann und ich, wir verstehen uns blind, wir verstehen uns super. Trotzdem wissen wir auch, was beide können. Von daher gibt es im Training auch immer Vollgas mit der klaren Rollenverteilung. Es gibt auch kein böses Wort von mir, ich bin nicht der Typ dafür. Da gibt es in anderen Klubs andere Richtlinien, wie die Torhüter miteinander umgehen sollen. Du merkst, dass es dem Erfolg schadet, wenn der Stammtorwart gewisse Schwankungen hat, weil es intern nicht stimmt. Das ist bei uns gar nicht der Fall.
Du hast Gerry Ehrmann als Torwarttrainer hautnah erlebt. Dann hattest Du die Gladbacher Legende Uwe Kamps als Coach und mittlerweile macht es Steffen Krebs. Was macht denn einen richtig guten Torwarttrainer aus? Sind sie völlig unterschiedlich oder doch sehr ähnlich in ihrer Arbeit?
Tobias Sippel: Es gibt riesige Unterschiede. Ich bin froh, dass ich bei Gerry durch die Schule gegangen bin. Er hat damals, als ich 13 oder 14 Jahre alt war, keinen Unterschied gemacht zu einem 18-jährigen Torwart oder zum Profitorwart. Er hat genauso mit mir trainiert, wie mit den Älteren. Ich habe schon relativ früh meine Kraft bekommen, was ich gerade heute zu schätzen weiß, weil mich relativ wenig bei hartem Training aus der Bahn wirft. Hier in Gladbach muss schon viel passieren, dass ich richtig kaputt bin. Hier habe ich jedoch den Feinschliff bekommen. Das fußballerische Element haben wir in Lautern nie gemacht, das Kicken und auch das taktische nicht, Bei Gerry habe ich Springen, Fangen, alle Grundtugenden gelernt. Eine Mischung aus Gerry und Steffen wäre optimal. Wenn ich also in die Schiene einschlagen und Torwarttrainer werden möchte, dann habe ich ein gutes Portfolio.
Mit 19 Jahren warst Du schon Stammtorwart in der Bundesliga, hat sich in der Zeit bis heute etwas geändert?
Tobias Sippel: Es ändert sich immer irgendetwas. Ich bin jetzt nicht der größte Freund von der modernen Technik, zum Beispiel mit iPad zu trainieren und mit irgendwelchen 17.000 Hütchen … Ich bin ein Freund der alten Schule. Einfach ins Tor stellen und Schüsse aus verschiedenen Winkeln abwehren, alles was relativ spielnah ist. Klar, ab und zu etwas Neues einstreuen, um den Kopf zu fordern, ist immer etwas Gutes. Ein bisschen Abwechslung im Training, auch einmal etwas, was extravaganter ist, und Spaß bringt, gehört dazu. Drei Tage Grundübungen in der Woche brauchst du immer.
Früher waren mehr Keeper aus Deutschland zwischen den Pfosten in der 1. Liga. Woran kann das liegen? Gibt es nicht mehr so viele Jungs, die die Lust haben, Torwart zu werden, oder haben ausländische Torhüter so aufgeholt?
Tobias Sippel: Die spanische Torwartschule entwickelt sich im Moment sehr. Aber auch was da alles aus Frankreich kommt … Die machen das extrem gut. Das sind Keeper, die mit jungen Jahren schon konstant spielen. Man nimmt lieber solche Torhüter als welche, die in der Bundesliga nur auf der Bank gesessen haben. Die haben mehr Spiele auf den Buckel, sind konstanter und im Geschäft drin. Ich will aber nicht sagen, dass die deutschen Torhüter schlechter sind, sondern dass viele Vereine sich im Moment auf ausländische Torhüter ein bisschen spezialisiert haben. Ich denke, dass in Deutschland wieder etwas nachkommt.
Wer sind denn für Dich die drei Top-Torhüter weltweit?
Tobias Sippel: Also, ich bin ein brutaler Ederson-Fan. Wir haben zweimal gegen Manchester City gespielt und mir gefällt seine Ausstrahlung. Den interessiert nichts und er spielt mit einer Gelassenheit dahinten die Bälle raus … Meine Torwarttrainer haben gesagt, er wäre relativ unsauber in seiner Fangtechnik, seinem Torwartspiel, aber ich finde das gar nicht. Alles, was er macht, hat Hand und Fuß, ihn finde ich richtig gut. Alisson Becker ist natürlich auch top. Und dann noch Jan Oblak, jedoch hat er das Problem mit Slowenien und wird nie an Weltmeisterschaften teilnehmen.
Torhüter können ja länger spielen. Wenn ich an Gianluigi Buffon denke, dann hast Du ja noch zehn Jahre vor Dir …
Tobias Sippel: Toi, toi, toi, ich habe jetzt keinen Tisch, wo ich drauf hauen kann … aber ich bin relativ verletzungsunanfällig. Ich lasse mich auch wirklich nie behandeln oder pflegen. Das ist überhaupt nicht meins … Ich habe zum Glück echt gute Gene. Ich kann mir durchaus vorstellen noch drei, vier, fünf Jahre zu kicken. Meine Frau sagt auch, ich soll so lange kicken wie es geht, damit ich aus dem Haus bin …
Hast Du denn am Ende Deiner Karriere noch mal Ambitionen, irgendwo die Eins zu sein? Gibt es noch einen Klub, wo Du am Ende spielen möchtest?
Tobias Sippel: Man weiß nie, was hier in Gladbach passiert. Das kann sich jede Saison ändern. Ich weiß auch nicht, ob Yann eventuell noch mal Bock hat, etwas Neues zu machen. Aber im Grunde genommen sehe ich schon meine sportliche Zukunft hier in Gladbach. Klar, ich würde schon noch gerne mal in Lautern spielen, aber ich denke nicht, dass es dazu noch mal kommen wird. Mein Ziel ist es gesund zu bleiben und solange Fußball zu spielen, wie es geht, weil es einfach Spaß macht.
Bist Du rückblickend zufrieden, dass Du Torwart geworden bist, dass Deine Karriere bisher so gelaufen ist?
Tobias Sippel: Auf jeden Fall. Ich trainiere bei uns auch ab und zu mal im Feld und spiele ein bisschen mit. Das macht auch Bock. Von der Kondition würde ich es nicht schaffen … aber ich denke, in der Oberliga würde ich ein paar Tore schießen. (OD)
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