Dr. Ulrich Grünwald: „Wir würden sehr gerne den „Baseline Test“ installieren“.
„Gehirnerschütterungen begleiten die Sportart American Football, aber auch viele andere Sportarten bereits seit Jahren. Zusammen mit deutschlandweiten Experten wollen wir das Thema nun intensiver und tiefgründiger behandeln“, sagte Dr. Ulrich Grünwald bei der Vorstellung der neuen Arbeitsgruppe im AFVD zur Prävention von Gehirnerschütterungen. Auch im exklusiven Interview beleuchten wir das Thema.
Herr Dr. Grünwald seit ein paar Monaten gibt es im AFVD die Arbeitsgruppe zur Prävention von Gehirnerschütterungen. Was ist die Zielsetzung?
Dr. Ulrich Grünwald: Seit es die Initiative „schuetzdeinenkopf.de“ gibt, besteht eine Vernetzung, von daher befassen wir uns nicht erst seit Gründung der Arbeitsgruppe mit der Thematik von Gehirnerschütterungen im Sport!
Ziel ist es, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema zu sammeln, zu analysieren und dann auf den Sport beziehungsweise auf American Football zu übertragen. Das ist nicht ganz so einfach, da die wissenschaftliche Datenerhebung in vielen Ländern unterschiedlich ist. Nach einer Auswertung geben wir dem AFVD sowie den Landesverbänden gewisse Empfehlungen, beispielsweise, wann man mit dem Sport nach einer Gehirnerschütterung wieder beginnen sollte oder wann man generell erst mit American Football beginnen sollte. Die Daten sind äußerst vielfältig und diese Arbeitsgruppe ist ebenso vielfältig aufgestellt.
Was ist eigentlich genau eine Gehirnerschütterung?
Dr. Ulrich Grünwald: Eine sehr interessante Frage, bis vor ein paar Jahren gab es mehrere Definitionen dafür. Es hängt nämlich davon ab, welcher Fachrichtung man angehört. Ein Neurochirurg hatte beispielsweise eine völlig andere Definition als ein Unfallchirurg. Erst vor zwei oder drei Jahren wurde bei einer Konferenz in Berlin ein Konsens gefunden, der erstmals definiert was eine Gehirnerschütterung ist.
Also, eine Gehirnerschütterung ist eine strukturelle Schädigung des Gehirns, welche ohne eine Beeinflussung von Medikamenten, allen Arten von Drogen oder ähnlichen Dingen zu einer generellen Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung führt.
Aus den Vereinigten Staaten und Kanada sind zahlreiche Fälle von Footballern und Wrestlern bekannt, die aufgrund der Folgen durch Gehirnerschütterungen förmlich durchgedreht sind. Was führt zu diesen Veränderungen?
Dr. Ulrich Grünwald: Es nennt sich chronisch traumatische Enzephalopathie, kurz CTI. Die Menschen erfahren Wesensveränderungen, Konzentrationsstörungen sind keine Seltenheit, das Aggressionspotenzial kann teilweise steigen, die allgemeinen Leistungen solch eines Menschen werden schlechter … es ist ein breites Spektrum an neurologischen Ausfällen. Ein sehr harter Prozess!
Auf einer Pressekonferenz hat ein deutscher Fußballer, welcher einige Zeit mit einem Helm gespielt hat und auch schon einige Gehirnerschütterungen hatte, gesagt: Dieser Helm würde nichts gegen Gehirnerschütterungen bringen. Ist es überhaupt realistisch, das Gehirn zu schützen?
Dr. Ulrich Grünwald: Im American Football helfen die generelle Ausrüstung und vor allem die modernen Helme schon. Die großen Helmhersteller investieren richtig viel in die Forschung, damit die Dämpfersysteme der Helmer besser und besser werden. Das gilt aber wirklich nur für die ganz modernen Helme im American Football!
Dazu gab es in den vergangenen Jahren massive Regeländerungen. Früher wurde der Kopf samt Helm beispielsweise direkt zum Takeln eingesetzt, das ist heute zum Glück strikt untersagt. Zudem ist man wesentlich sensibler für das Thema, und die Spieler werden bei neurologischen Auffälligkeiten aus einem Spiel genommen.
Die Rugby Union hat mittlerweile einen „Baseline Test“ und nimmt Spieler, die diesen nicht bestehen, direkt aus dem Spiel. Wäre dies ein Ansatz?
Dr. Ulrich Grünwald: Dies würden wir zu gerne auch vor der Saison für alle Teams installieren. Das ist aber sehr aufwendig und braucht viel Vorbereitungszeit. Aber so könnten wir die Spieler anhand dieser Ergebnisse checken.
Ich weiß aus den Vereinigten Staaten, dass ehemalige Footballer und Wrestler ihre Gehirne nach ihrem Ableben der Forschung spenden? Gibt es solch einen Ansatz auch in Deutschland oder für ganz Europa?
Dr. Ulrich Grünwald: Das ist ein äußerst hilfreicher Ansatz, aber in Deutschland in dieser Form rechtlich gar nicht zu realisieren. In Deutschland wird beispielsweise im Bereich der Blutmarker dafür intensiv geforscht, dazu kommen noch entsprechende Untersuchungstechniken der bildgebenden Diagnostik und es fließen Erkenntnisse aus anderen Sektionen zusammen: Unfallopfer, aus dem Militär … wahrscheinlich wird es irgendwann so weit sein, dass man mittels der Bildgebung und passenden Blutmarkern es besser nachweisen kann, die Diagnose somit verifizieren kann.
Was würden Sie mir raten, kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, wenn ich eine Gehirnerschütterung hätte? Was sollte ich im Idealfall tun?
Dr. Ulrich Grünwald: Unmittelbar mit dem Sport aufhören und zum Arzt gehen, sich diagnostizieren lassen. Bitte die Anweisungen befolgen … nach der Freigabe dann bitte nicht volldurchstarten. Es gibt das Programm „return to sports“, welches einen Stufenplan bei der Rückkehr in den Sport verfolgt. Man wird langsam und kontrolliert an die Belastung herangeführt, wenn man absolut symptomfrei ist! Und sollte es zu etwaigen Rückschlägen kommen, dann muss man immer wieder eine Stufe zurück, bis man am Ende wieder die volle Belastung hat. Auf jeden Fall körperliche Aktivität unmittelbar einstellen und sich in ärztliche Behandlung geben.
Das Wissen hat sich deutlich verändert. Früher war es so, dass man den Patienten absolute körperliche Ruhe verordnet hat. Heute orientiert man sich an den einzelnen Symptomen und passt die Aktivitäten diesen Möglichkeiten an. (TX)
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