Alejandro Agag: „Die Extreme E hat ein geschlechterparitätisches Sportformat“.
Mit dem Desert X Prix in der Wüste von Al Ula (Saudi-Arabien) feierte die Extreme E ihre Premiere. Eine Offroad-Rennserie, die mit elektrischen SUV und futuristischen Technologien in einigen der extremsten Umgebungen unseres Planeten unterwegs ist und künftig sein wird. Dabei verfolgt die neue Rennserie visionäre Ideen. Gründer und CEO Alejandro Agag erklärt im exklusiven „sportflash.online“-Interview diese Ziele …
Herr Agag, das erste Event der Extreme E in der Wüste von Saudi-Arabien ist gemeistert. Können Sie Ihre Gefühle in Worte fassen?
Alejandro Agag: Es war unglaublich und erstaunlich zu sehen, dass sich all die harte Arbeit der letzten Jahre nun auszahlt. Die Extreme E ist viel, viel mehr als nur Motorsport, und ich hoffe, die Menschen haben erkannt, dass die Klimakrise ein großes Thema ist, mit dem wir gerade konfrontiert sind. Es gibt wirklich viele kleine Maßnahmen, die wir ergreifen können, um den Planeten zu retten.
Die Welt steht im Zeichen von COVID-19. Ganz ehrlich: Wann wussten Sie, der Desert X Prix wird wirklich stattfinden? Beunruhigt Sie diese ganze Situation?
Alejandro Agag: Natürlich bereitete COVID-19 uns Sorgen, aber wir haben eng mit unseren Gastgebern im Land und unseren Vertragspartnern zusammengearbeitet, um Sicherheitsmaßnahmen und -tests durchzuführen, damit wir über die ganze Zeit die Sicherheitsstandards hoch halten konnten. Es hilft auch, dass wir keine Fans vor Ort hatten und bereits geplant hatten, in dieser Hinsicht ein „closed door“-Event zu sein. Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels, wenn es um COVID-19 geht. Unsere Freunde in der Formel E hatten ja bereits einige Rennen durchgeführt, also wussten wir, es ist möglich, wenn die richtigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.
Das Team hat so hart gearbeitet, um diese neue Serie auf den Weg zu bringen, und obwohl COVID-19 die Dinge noch schwieriger machte, freue ich mich, dass wir unseren ersten X Prix veranstalten konnten. Die Klimakrise ist ein globales Problem, das nicht verschwinden wird, es gibt keinen Impfstoff dafür, also wollten wir unsere zielgerichtete Botschaft nicht verzögern. Wir müssen handeln, jetzt!
Wie aufwendig ist das Sicherheits- und Hygiene-Konzept für eine Rennserie, die es in dieser Art und Weise nie zuvor gegeben hat? Spielt es Ihnen aktuell sogar in die Karten, dass die Extreme E ohne Zuschauer geplant ist? Wollen Sie an diesem Ansatz auch in der Zukunft festhalten?
Alejandro Agag: Es war immer unser Plan, keine Zuschauer vor Ort zu haben. Wir wollen den Austragungsort immer ohne jede Spur verlassen. Indem wir die Anreise der Fans weglassen, definieren wir die Serie sowohl als Pionier des nachhaltigen Sports als auch als reines Medienprodukt. Die Extreme E ist kein Zuschauersport. Die Atmosphäre wird durch Innovationen in unserem Medienpaket und den Live-Übertragungen geschaffen.
Sicherheit ist jedoch ein Schlüsselaspekt der Serie und wir arbeiten sehr hart daran, ein Format zu schaffen, das nicht nur unterhaltsam, sondern auch sicher ist. Das ist der Schlüssel und etwas, das ständig analysiert wird.
Die gesamte Entwicklung, die komplette Logistik und die finanziellen Aspekte, all das benötigt viel Zeit, oder Jahre. Vor allem unter den geforderten Auflagen der Nachhaltigkeit. Wann haben die Planungen für die Extreme E begonnen? Und ab wann wurde aus der visionären Idee ein ganz real greifbarer Moment?
Alejandro Agag: Die Idee wurde vor drei Jahren geboren, und vor etwas mehr als zwei Jahren wurde sie öffentlich vorgestellt.
Momente wie die Enthüllung des Wagens, die Bekanntgabe von Teams, Fahrinnen und Fahrern sowie die Veranstaltungsorte waren ebenso wichtige Meilensteine auf diesem Weg wie unsere verschiedenen Testevents im Vorfeld. Und hier sind wir heute, unglaublich stolz darauf, unseren ersten X Prix durchgeführt zu haben! Was für eine Reise unter unglaublich herausfordernden Umständen.
Welche Kernziele verfolgt die Extreme E ganz genau?
Alejandro Agag: Die Extreme E ist eine radikal neue Offroad-Rennserie, welche elektrische SUV und futuristische Technologien in einigen der abgelegensten und extremsten Umgebungen der Welt vorstellt.
Diese globale Reise mit insgesamt fünf Events nutzt ihre sportliche Plattform, um Elektrifizierung, Umwelt und Gleichberechtigung in einem innovativen und überaus unterhaltsamen Format zu fördern. Das Ziel der Serie ist es, die Auswirkungen des Klimawandels in einigen der entlegensten Gegenden der Welt zu verdeutlichen, die Einführung von Elektrofahrzeugen weiter zu fördern, um schließlich den Weg für eine kohlenstoffärmere Zukunft zu ebnen, und dazu eine erste geschlechtergerechte Motorsportplattform weltweit zu bieten.
Als erste Sportart, die aus einem sozialen Zweck heraus entwickelt wurde, zielt die Extreme E darauf ab, die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren, aber das Bewusstsein zu maximieren. Die Rennen finden an den Orten statt, die bereits vom Klimawandel geschädigt oder betroffen sind, und bringen die Fans tief in das Herz der dringendsten Probleme, die die Zukunft unseres Planeten betreffen.
Und nicht nur das: Die Extreme E hilft zudem der Autoindustrie, zukunftsweisende Technologien zu entwickeln, indem es den Rennsport als Plattform für Innovationen auf der Straße nutzt, was den Wandel um das Zehnfache beschleunigt
Aktuell sind fünf Events bestätigt. Müsste es nicht noch mehr Events werden?
Alejandro Agag: Der Grund, warum wir weniger Events haben als andere Serien, ist, dass wir unser Schiff als zentrales Reisemittel nutzen, was nachhaltiger ist als Flugreisen, aber natürlich nicht so schnell.
Die Extreme E möchte auf der ersten Staffel aufbauen, indem es möglicherweise mehr Teams hat und neue Orte besucht, die unter der Klimakrise gelitten haben, und so verschiedene Umweltprobleme auf der ganzen Welt aufzeigt. Schauen wir mal, was die Zukunft bringen wird.
Sie haben sich mit der Formel E einen Namen im Motorsport gemacht. Doch wie schwer war es für dieses so völlig andere Projekt Sponsoren, Teams und Piloten zu begeistern und dann auch fest zu machen?
Alejandro Agag: Wir hatten sofort eine positive Resonanz, als wir das Konzept von der Extreme E vorstellten. Von Anfang an erhielten wir Unterstützung von einigen der größten Marken der Welt, darunter Continental und jetzt von Zenith, LuisaVia Roma, Bosch, Karcher, Allianz und NeatBurger.
Wir haben auch eine der stärksten Reihen von Teameignern, darunter Giganten des Motorsports wie Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Michael Andretti, Zak Brown, Chip Ganassi und Jenson Button, die alle ihre Namen für Teams zur Verfügung stellen, was ein enormer Schub war.
Entscheidend ist auch, dass wir bereits drei Herstellerpartner in der Serie haben; CUPRA, GMC und Lotus, was ein fantastisches Ergebnis für eine Eröffnungssaison ist, und ich bin zuversichtlich, dass noch mehr dazukommen werden.
Bei jeder neuen Idee werden viele genau beobachten, wie sie sich entwickelt, und ich bin mir sicher, dass wir im Laufe der ersten Saisons weitere Partnerschaften bekannt geben werden, aber ich muss sagen, dass wir mit der Resonanz schon in diesem frühen Stadium sehr zufrieden sind.
Wenn man sich die Namen der Teams anschaut, die Eigner hinter den Teams, die Pilotinnen und Piloten. Damit setzen Sie eine Benchmark. Wie kann man sich ein Gespräch mit Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Jenson Button oder mit Sébastien Loeb so vorstellen? Und wie viele Stars verkraftet eine Rennserie?
Alejandro Agag: Wir hatten das Glück, gleich große Namen für die Extreme E zu gewinnen. Jeder von ihnen glaubt an unseren starken, zweckorientierten Ethos rund um Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung, gemischt mit einem wirklich spannenden Sportformat. Sie wollen ihre Plattform für mehr als nur Sport nutzen, die Extreme E bietet ihnen die Möglichkeit dazu.
Auch wenn ich in der vorherigen Frage nur Männer aufgezählt habe, Frauen spielen eine gewichtige Rolle in der Extreme E. Gleichberechtigung ist oftmals nur ein Lippenbekenntnis. Was ist Ihnen daran so wichtig?
Alejandro Agag: Die Extreme E hat ein geschlechterparitätisches Sportformat, bei dem die Teams jeweils einen männlichen und einen weiblichen Fahrer einsetzen … eine Weltneuheit im Motorsport. Aber das ist noch nicht alles. Die Extreme E hat viele Frauen, die in wichtigen internen Funktionen arbeiten, von der Technik bis zum Eventmanagement, und setzt sich dafür ein, das Profil von Frauen in unserem Sport auf allen Ebenen zu schärfen, um zukünftige Generationen zu inspirieren.
Die Leute haben gefragt: Warum? Warum denn nicht? In anderen Sportarten wie Tennis und Segeln ist die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern bereits fest verankert, aber bisher haben wir nicht den gleichen Fortschritt für Frauen auf dem höchsten Niveau des Motorsports gesehen.
Ich denke, wenn man etwas Neues von Grund auf aufbaut, wird es zu einem ganz aufregenden Ort für neue Ideen, und das ist es, was ich beim Aufbau der Extreme E wirklich genossen habe. Wir wollten, dass die Extreme E eine positive Plattform für die Zukunft ist, und diese Idee, weiblichen Rennfahrern eine wertvolle Plattform zu geben, war ein wichtiger Aspekt für uns.
Einmalig ist auch das schwimmende Fahrerlager. Hat diese Idee funktioniert?
Alejandro Agag: Das hat es! Unsere St. Helena ist das Herzstück der Extreme E, wir haben viel Zeit damit verbracht, es auf die Reise vorzubereiten, einschließlich einer über 18-monatigen Renovierung. Das Schiff ist nicht nur unsere Fracht- und Logistikdrehscheibe, die es uns ermöglicht, die Fahrzeuge und die Infrastruktur der Serie auf eine nachhaltigere Art und Weise zu transportieren, es ist eine Hospitality-Einrichtung von Weltklasse, auf der wir unsere Teams, Fahrer und Gäste in einer einzigartigen Umgebung unterbringen können.
Während des Desert X Prix haben wir dort Vorträge und Workshops mit einigen der angesehensten Wissenschaftler der Welt abgehalten, bei denen unsere Fahrer von unseren Wissenschaftlern sowie lokalen Experten zu wichtigen Themen wie dem Schutz von Schildkröten und Korallenriffen hören konnten.
Und die Reise wird weitergehen. Wissenschaftler, die von der Extreme E und dem wissenschaftlichen Gründungspartner, der Enel Foundation, ausgewählt werden, um im Bordlabor der St. Helena zu forschen, um das Wissen über die weiteren Folgen des Klimawandels sowie über Anpassungs- und Abmilderungsstrategien für unsere Weltmeere und unseren Planeten zu erweitern.
Alle Teams sind mit den gleichen Fahrzeugen am Start. Die Fahrzeuge wurden eigens für die Extreme E entwickelt. Was macht die Fahrzeuge so besonders? Wie war das Feedback der Teams nach dem ersten Event?
Alejandro Agag: Das Meisterschaftsfahrzeug ist ein vollelektrischer SUV mit dem Namen ODYSSEY 21. Um den harten Bedingungen standzuhalten, sind die 550 PS in der Lage, das 1.780 Kilogramm schwere sowie 2,3 Meter breite Elektro-SUV in 4,5 Sekunden von 0 auf 62 km/h zu beschleunigen, und das bei Steigungen von bis zu 130 Prozent.
Jeder Wagen besteht aus einem gemeinsamen Paket von standardisierten Teilen, gebaut von Spark Racing Technology mit einer Batterie, die von Williams Advanced Engineering produziert wird. Dazu gehören ein Rohrrahmen aus Niob-verstärkter Stahllegierung sowie eine Crash-Struktur und ein Überrollkäfig, während die Reifen, die für die extremen Bedingungen völlig neu gebaut wurden, vom Gründungspartner Continental Tires entwickelt wurden.
Das allgemeine Feedback der Teams und Fahrer war wirklich gut. Wir werden noch an einigen Problemen arbeiten, aber das ist ein normaler Lernprozess nach einem allerersten Rennwochenende.
Die legendäre Rallye Dakar will 2022 eine „grüne Klasse“ einführen. Sehen Sie darin eine Konkurrenz, oder begrüßen Sie es als ein Zeichen für die Umwelt?
Alejandro Agag: Ein herzliches Willkommen in der „grünen Klasse“. Wir haben alle das gleiche Ziel und wollen das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die Umwelt schärfen. Es ist also immer gut, einen mehr unter dem Gürtel zu haben, um für den Planeten zu rennen …
Herr Agag, in der Vorbereitung auf das Interview habe ich mich auch mit Ihrer Vita befasst: Ich habe viel über Politik und Wirtschaft gelesen. Über aktiven Motorsport habe ich nichts gefunden. Woher kommt also diese Liebe? Und können Sie heute mehr bewirken als einst im EU-Parlament?
Alejandro Agag: Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für den Motorsport und bin sehr glücklich, dass ich in diesem Bereich Karriere gemacht habe.
Die Frage, wo ich am besten etwas bewirken kann, ist schwierig. Natürlich bietet die Arbeit im Parlament eine riesige Chance, etwas zu bewirken, aber ich denke, dass die Wirtschaft das auch tut. Indem die Extreme E auf die Klimakrise aufmerksam macht, übt es Druck auf die Wirtschaft aus, etwas zu ändern. Letztendlich müssen wir alle in diesem Wettlauf um unseren Planeten zusammenarbeiten, aber ich sehe den Sport als ein sehr nützliches Mittel für ein Engagement auf Massenebene. (SW)
Foto: Alejandro Agag 5- Web Copyright Extreme E
You must be logged in to post a comment.